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Naturschutzgebiete oder Niemandsland?

Fijáte 410 vom 21. Mai 2008, Artikel 1, Seite 1

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Naturschutzgebiete oder Niemandsland?

Fast das gesamte Flussufer des Río Dulce ist in Privatbesitz. "Ehemalige Präsidenten, höhere Staatsbeamte, ausländische Industrielle, wer immer etwas auf sich hält in Guatemala, will ein Haus am Ufer des Río Dulce", erklärt der Direktor des Nationalparks Río Dulce, Manuel Henry. Zuerst werden die ansässigen BewohnerInnen ausgetrickst oder erpresst, danach das zuständige Amt bestochen, um zu einer Besitzurkunde von Uferland zu kommen. Die jüngsten Forderungen und Geiselnahmen der Bewegung Encuentro CampesinoNF (siehe ¡Fijáte! 406 und 408) illustrieren die Situation in Izabal.

In den 90er Jahren schwand der Wald in der so genannten Biosphäre Maya um 3000 ha jährlich, heute sind es 23'000 ha jährlich. Aktuell gibt es im Petén rund 40 Landbesetzungen. Im Vergleich zu Alta Verapaz verfügen im Petén die wenigsten Gemeinden über Besitzurkunden des von ihnen bebauten Landes. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass es zu eigenartigen Symbiosen zwischen LandarbeiterInnen und FincabesitzerInnen kommt. Die Ausbreitung der Afrikanischen Palme verdrängt viele BäuerInnen aus dem Süden des Petén. Sie verkaufen ihre Ländereien und ziehen in den Norden. Dort sind es vor allem die Familien Molina Botrán und Köng, die gross im VGPalmölgeschäftNF sind. Auf deren Fincas findet ein Bruchteil der umgesiedelten ArbeiterInnen Arbeit, während der Rest arbeits- und landlos ist. Gemäss lokalen Nichtregierungsorganisationen stammen 60% der in der Biosphäre Maya lebenden BäuerInnen aus dem Süden des Petén, aus Alta Verapaz und Izabal.

Ein weiteres Problem im Petén ist das Aufkommen von sogenannten Narco-Zonen. Die Tageszeitung VGelPeriódicoNF vom 14. April veröffentlichte eine Satellitenaufnahme von einem Gebiet von 136 km², auf der geometrische Muster zu sehen sind, welche die Abholzung des Gebietes zeigen. Das abgeholzte Gebiet ist unter der ansässigen Bevölkerung als Finca Los Mendoza bekannt und befindet sich teilweise in einer Naturschutzzone. Offiziell gibt es keine Angaben über die "Besitzer" dieses Gebietes. Die Präsenz des Staates ist quasi Null, täglich werden VGDrogenNF und "illegale" VGMigrantInnenNF durch dieses Gebiet geschleust.

Es gibt auch (nicht unberechtigte) Gerüchte, dass bereits mexikanische Drogenkartelle die Region unter Kontrolle halten und ihre Geschäfte dort abwickeln. Ein Beispiel dafür ist die "Abrechnung" unter Drogenkartellen in VGZacapaNF (siehe ¡Fijáte! 407). Die Präsenz mexikanischer Kartelle (auch in guatemaltekischen Naturschutzgebieten) ist nicht neu, doch die Antwort darauf, der von den USA mitfinanzierte "Plan MéridaNF" zur Bekämpfung des Drogenhandels in der Region, dagegen schon. Interessant ist dabei die Rolle der guatemaltekischen Militärsondereinheit VGKaibilesNF, berühmt-berüchtigt für ihre unmenschlichen Praktiken während des internen bewaffneten Konflikts. Heute werden ihre Mitglieder (wenn sie nicht gerade an internationalen Friedensmissionen teilnehmen) entweder für die Bekämpfung des Drogenhandels im Petén eingesetzt oder aber von den mexikanischen Drogenkartellen als Sicherheitsleute angeheuert. Laut jüngsten Zeitungsberichten werden sie via Piratensender aus Mexiko, deren Reichweite bis nach Guatemala strahlt, angeworben. Der Ruf nach Kaibiles wird aber auch aus Naturschutzkreisen laut, da sie offenbar die einzigen sind, welche die Bedingungen im Urwald aushalten und deshalb überhaupt in der Lage sind, eine gewisse Kontrolle auszuüben. Und tatsächlich wurden in den letzten Wochen 500 Kaibiles von ihrer Stammkaserne in Poptún, in die Militärkaserne von VGPuerto BarriosNF verlegt. Ihre Aufgabe: Die Bekämpfung des Drogenschmuggels.

Dialoge, wie es in solchen Situationen üblich wäre, greifen im Petén nicht mehr. Die MediatorInnen der zuständigen Behörde zur Lösung von Landkonflikten, VGCONTIERRA, haben ihre Vermittungsbemühungen aufgegeben. Die Strategie der Behörden basiert nun auf zwei Pfeilern: Erstens wird die Schuld den besetzenden BäuerInnen zugeschoben, und zweitens wird die Präsenz von Sicherheitskräften gefordert. Ende März gab es 10 Räumungsbefehle, die aber wegen fehlender Koordination zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Militär und mangels Personal und Equipment nicht ausgeführt wurden. Bemängelt wird auch, dass diese Räumungen, wenn sie denn ausgeführt würden, nicht "nachhaltig" seien. Zwei Tage nach der Räumung seien die Gebiete erneut besetzt, beklagt sich Vizeinnenminister VGEdgar HernándezNF. Und statt Geld für entwicklungspolitische Projekte für die Region zu fordern, will Hernández das Budget von Polizei und Militär aufstocken.

Das Thema der VGStraflosigkeitNF darf nicht behandelt werden ohne gleichzeitig über die ungerechte Anwendung des Gesetzes zu sprechen. Auf der einen Seite herrscht paradiesische Immunität für die wirtschaftlich Mächtigen: Ihre "Probleme" werden legalisiert, und sie werden in Ruhe gelassen. Auf der anderen Seite, so kritisiert VGDaniel PascualNF von der BäuerInnenvereinigung VGCUCNF, werden die Campesin@s im Gegensatz zu den Drogenhändlern und GrossgrundbesitzerInnen als InvasorInnen bezeichnet. Er kenne keinen einzigen Fall, wo eine Räumung gegen einen Grossgrundbesitzer angeordnet wurde, der mit illegalen Mitteln zu seinen Ländereien kam.

Mit der VGRegierung BergerNF hat im Jahr 2004 als Antwort auf die zunehmenden Landkonflikte eine Politik der gewaltsamen Räumungen begonnen. VGAmnesty InternationalNF weist darauf hin, dass seit Beginn dieser Politik den vertriebenen Personen keine Alternativen zum Leben angeboten wurden und auch keine Überlebensnothilfe. Es sei ein Missbrauch des Justizsystems festzustellen, der sich in Verfolgung und Bestrafung von BäuerInnen ausdrücke und zwar in einem Mass, das in keiner Weise gerechtfertigt sei. Seit neustem werden VertreterInnen von BäuerInnenorganisationen als "Feinde der inneren Sicherheit" betitelt. Präsident Colom ging gar soweit, sie als "Terroristen" zu bezeichnen. Dies rechtfertigte offenbar den Einsatz von 400 Sicherheitsspezialisten, zusammengesetzt aus Polizei und Militär, um die erwähnten TouristInnen zu "befreien", die von den Campesin@s als Geiseln genommen wurden, um einen unrechtmässig verhafteten Bauern freizubekommen.

Nicht zuletzt müssen auch Inkompatibilitäten zwischen den Forderungen der BäuerInnen- und der Umweltbewegung genannt werden. Aktuell besagt das Strafgesetzbuch, dass auf der widerrechtlichen Aneignung (Besetzung) einer Immobilie eine Haftstrafe von 1 - 3 Jahren steht. Diese kann durch Haftersatzmassnahmen, z.B. Kaution oder Bewährung ersetzt werden. In "schweren" Fällen, was die Anzahl besetzender Personen und die Dauer der Besetzung betrifft bzw. bei Sachschaden auf dem besetzten Gelände, kann eine Strafe bis zu 6 Jahren Haft ausgesprochen werden, wobei es ab 5 Jahren generell keine Ersatzoption mehr gibt.

Während nun die BäuerInnen fordern, dass das Strafgesetz insofern abgeändert werden müsse, dass Landbesetzungen generell kein Delikt mehr darstellen, fordern die UmweltschützerInnen genau das Gegenteil: Nämlich verschärfte Strafen und überhaupt keine Haftersatzmassnahmen. Und auch wenn die Umweltorganisationen mit diesen Forderungen wohl eher die Grossgrundbesitzenden, die Drogenkartelle und die illegal arbeitenden Holzfäller im Auge haben, trifft es, solange das Gesetz so angewendet wird wie im Moment, wohl in erster Linie die um ein Stück Land kämpfenden BäuerInnen.

Es wird wohl kein Weg an Verhandlungen zwischen den diversen InteressensvertreterInnen vorbeigehen. Aber es braucht als ebenso unabdingbare Voraussetzung für die Durchsetzung aller Vereinbarungen einen funktionierenden Rechtsstaat.


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