Naturschutzgebiete oder Niemandsland?
Fijáte 410 vom 21. Mai 2008, Artikel 1, Seite 1
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Naturschutzgebiete oder Niemandsland?
Unter der Regierung von Alvaro Colom haben die Besetzungen von Naturschutzgebieten zugenommen. Auffallend ist, dass das Phänomen zeitgleich mit einer neuen Strategie auftaucht, mit der Zentralamerika, Mexiko und die USA den Drogenhandel bekämpfen wollen. In Guatemala hat dies eine Militarisierung der betroffenen Regionen zur Folge. Um die Konflikte zu verstehen, die sich um die Naturschutzgebiete abspielen, muss man die Dynamiken analysieren, die sich in den jeweiligen Gebieten als Ergebnis mangelnder staatlicher Präsenz eingeschlichen haben: Das Fehlen einer nachhaltigen Politik seitens der zuständigen Umweltinstitutionen, der Mangel an finanziellen Ressourcen und ein schwacher Rechtsstaat. Unter diesen Bedingungen werden die Naturschutzgebiete zu einen Paradies für die alten und neuen Interessen von LandbesitzerInnen, FunktionärInnen, transnationalen Unternehmen und Drogenhändlern. Auf der anderen Seite ist die Region vom Ixcán über die Franja Transversal del Norte bis zur Grenze zu Honduras von grossem Interesse für den Freihandel und die Megaprojekte, für deren Umsetzung ein gewisses Mass an Regierbarkeit und eine Kontrolle des Drogenhandels unabdingbar sind. Die Grundlage des folgenden Artikels ist eine Untersuchung von Rossana Gómez vom Institut für Konjunkturanalysen der Universität San Carlos über die Ursachen der Landkonflikte in den Naturschutzgebieten Guatemalas. Die Besetzungen von Naturschutzgebieten haben dieses Jahr ein ungewöhnliches Ausmass angenommen bis hin zur Geiselnahme von vier belgischen TouristInnen (siehe ¡Fijáte! 407) und einer Medienaufmerksamkeit, die neu ist für das Thema. Die Vizeministerin für Umwelt, Alejandra Sobenes, stellt eine "beeindruckende Migrationswelle aus allen Landesteilen fest" in Regionen, in denen Naturschutzgebiete und archäologische Ausgrabungsstätten liegen. Sie erklärt dies zu einem Teil mit den Waldbränden, die meist vor einer neuen Aussaat ausbrechen (oder absichtlich gelegt werden) und die es erlauben, den Boden einer neuen Nutzung zuzuführen. Aktuell gibt es in Guatemala 109 deklarierte Naturschutzgebiete, die sowohl staatliche Ländereien und Gemeindegebiete umfassen wie auch Land, das in Privatbesitz ist. Insgesamt machen diese Gebiete 32% der Fläche Guatemalas aus. Erstmals wurde 1870 ein Waldgebiet unter Schutz gestellt, um den Holzschlag besser kontrollieren zu können. 1955 wurden 58 Gebiete unter Schutz gestellt, darunter die 33 Vulkane des Landes, den Río Dulce sowie die Mayastätte Tikal. 1989 wurde dann ein entsprechendes Naturschutzgesetz erlassen und damit der Nationale Rat für geschützte Gebiete (CONAP) geschaffen, dem die Landwirtschafts-, Umwelt- und Kulturministerien, die Nationale Vereinigungen der Gemeinden (ANAM), das Tourismusinstitut INGUAT und das Zentrum für Naturschutz (CECON) der Universität San Carlos angehören. In den ersten Jahren seiner Existenz fokussierte CONAP seine Politik darauf, möglichst viele Gebiete unter Schutz zu stellen, vergass aber dabei, die dort lebende Bevölkerung und die Gemeinden in seine Strategie einzubeziehen. Die geschützten Gebiete werden eingeteilt in Biotope, Naturreservate, geschützte Quellen, Nationalparks, Jagdschutzgebiete und private Naturschutzgebiete. In ihnen ist ein Aufenthalt nur für Forschungszwecke und bestimmte Formen von Tourismus erlaubt. In den als Biosphäre deklarierten Gebieten hingegen sind auch - unter gewissen Nutzungsbedingungen - menschliche Ansiedlungen erlaubt. Gemäss Francisco Castañeda, Direktor von CECON, handelt es sich bei den Landbesetzungen um ein strukturelles Problem, und die Naturschutzgebiete werden zu einem "Ventil für die wachsende ländliche Krise". Immer häufiger wird die Bevölkerung von den GrossgrundbesitzerInnen und durch die Folgen des exportorientierten Wirtschaftsmodells von ihrem Land vertrieben. Während der 70er Jahre z.B. diente als Ventil für den Landdruck die Kolonisierung der Franja Transversal del Norte (FTN), wo 850 ha Wald zur Besiedelung freigegeben wurden. Auch der Petén wurde zu dieser Zeit besiedelt. Der grösste Teil dieser Ländereien wurde aber während des Krieges von Militärs und GrossgrundbesitzerInnen enteignet. In den 90er Jahren wurde vom Staat wieder Land zurückgekauft, um es den zurückgekehrten Flüchtlingen und den demobilisierten Guerilla-KämpferInnen zu überschreiben. Diese Wiederansiedelungen haben aber nicht funktioniert, da RückkehrerInnen und Demobilisierte ihre Schulden nie bezahlen konnten und so auch keine Landtitel erhielten. Heute stehen wir vor der Situation, dass das fruchtbare Land zumeist in festen Händen ist und neue Formen von Exportwirtschaft auch neue Forderungen nach Ländereien aufkommen lassen. Auch die Viehzucht beansprucht mehr Land. Und schliesslich sind diese abgelegenen Gebiete auch für den Drogenhandel interessant. Alle diese InteressentInnen nutzen die verschiedensten Mittel, um der dort lebenden Bevölkerung das Land abzukaufen. Diese verkaufen es zu Spottpreisen, weil sie nicht über das notwendige Startkapital verfügen, um das Land zu bepflanzen. Dabei handelt es sich um dasselbe Land, das sich im Besitz von Grossgrundbesitzern im wahrsten Sinne des Wortes in eine Goldgrube verwandelt. Oft ist die Landvergabe auch ein Mittel der Wahlpropaganda von BürgermeisterInnen und Kongressabgeordneten. Wenn es aber darum geht, das Wahlversprechen einzulösen, stellt sich heraus, dass gar kein nutzbares Land zu vergeben ist, und die "betrogene" Bevölkerung weicht auf die Naturschutzgebiete aus. All dies sind Ursachen, die zu den bekannten Landkonflikten führen können. Sie manifestieren sich jedoch regional unterschiedlich. Gemäss Daten des Menschenrechtsprokurats (PDH), die am 31. März in der Tageszeitung Prensa Libre veröffentlicht wurden, gibt es in Guatemala 1554 Landkonflikte, 565 davon im Nordosten des Landes (Petén, Alta und Baja Verapaz und Izabal). Die Ursachen für diese Konflikte gehen von ungeklärten Besitzverhältnissen über Grenzstreitigkeiten, Gemeindelandbesetzungen und Verhandlungen über Parzellenverkäufe bis zu Besetzungen staatlicher Ländereien und den darauf folgenden gewaltsamen Räumungen. Vor allem in Alta Verapaz geht es oft um alteingesessene Gemeinden, die plötzlich auf Land leben, das als Naturschutzgebiet deklariert wurde. "Diese Leute sind keine LandbesetzerInnen", erklärt Francisco Castañeda vom CECON, "sondern die Bevölkerung wurde umgekehrt vom Naturschutzgebiet besetzt". Das Problem ist, dass die Regierung, als sie das Gebiet als schützenswert deklarierte, den Status der darin lebenden Bevölkerung nicht regulierte. In Izabal hingegen sind die Landkonflikte eher ökonomisch bedingt. In dieser Region sind die Viehzucht und die Anpflanzung der Afrikanischen Palme verbreitet, rund um den Izabal-See ist es die Fischzucht. Ebenfalls ist der Bergbau in diesem Gebiet ein wichtiger Industriezweig. Gemäss einer Veröffentlichung der Diözese von Izabal, welche die gegen die Minen protestierende Bevölkerung begleitet, sind bereits 70% des Seeufers im Besitz von Minenunternehmen (über den See- und Flussweg gelangt man einfach und verhältnismässig billig zum Frachthafen Santo Tomás). Die Aktivitäten der Minenunternehmen haben verschiedentlich zu gewaltsamen Räumungen der am Seeufer gelegenen Q'eqchí-Dörfer geführt. Nach oben |
Fast das gesamte Flussufer des Río Dulce ist in Privatbesitz. "Ehemalige Präsidenten, höhere Staatsbeamte, ausländische Industrielle, wer immer etwas auf sich hält in Guatemala, will ein Haus am Ufer des Río Dulce", erklärt der Direktor des Nationalparks Río Dulce, Manuel Henry. Zuerst werden die ansässigen BewohnerInnen ausgetrickst oder erpresst, danach das zuständige Amt bestochen, um zu einer Besitzurkunde von Uferland zu kommen. Die jüngsten Forderungen und Geiselnahmen der Bewegung Encuentro Campesino (siehe ¡Fijáte! 406 und 408) illustrieren die Situation in Izabal. In den 90er Jahren schwand der Wald in der so genannten Biosphäre Maya um 3000 ha jährlich, heute sind es 23'000 ha jährlich. Aktuell gibt es im Petén rund 40 Landbesetzungen. Im Vergleich zu Alta Verapaz verfügen im Petén die wenigsten Gemeinden über Besitzurkunden des von ihnen bebauten Landes. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass es zu eigenartigen Symbiosen zwischen LandarbeiterInnen und FincabesitzerInnen kommt. Die Ausbreitung der Afrikanischen Palme verdrängt viele BäuerInnen aus dem Süden des Petén. Sie verkaufen ihre Ländereien und ziehen in den Norden. Dort sind es vor allem die Familien Molina Botrán und Köng, die gross im Palmölgeschäft sind. Auf deren Fincas findet ein Bruchteil der umgesiedelten ArbeiterInnen Arbeit, während der Rest arbeits- und landlos ist. Gemäss lokalen Nichtregierungsorganisationen stammen 60% der in der Biosphäre Maya lebenden BäuerInnen aus dem Süden des Petén, aus Alta Verapaz und Izabal. Ein weiteres Problem im Petén ist das Aufkommen von sogenannten Narco-Zonen. Die Tageszeitung elPeriódico vom 14. April veröffentlichte eine Satellitenaufnahme von einem Gebiet von 136 km², auf der geometrische Muster zu sehen sind, welche die Abholzung des Gebietes zeigen. Das abgeholzte Gebiet ist unter der ansässigen Bevölkerung als Finca Los Mendoza bekannt und befindet sich teilweise in einer Naturschutzzone. Offiziell gibt es keine Angaben über die "Besitzer" dieses Gebietes. Die Präsenz des Staates ist quasi Null, täglich werden Drogen und "illegale" MigrantInnen durch dieses Gebiet geschleust. Es gibt auch (nicht unberechtigte) Gerüchte, dass bereits mexikanische Drogenkartelle die Region unter Kontrolle halten und ihre Geschäfte dort abwickeln. Ein Beispiel dafür ist die "Abrechnung" unter Drogenkartellen in Zacapa (siehe ¡Fijáte! 407). Die Präsenz mexikanischer Kartelle (auch in guatemaltekischen Naturschutzgebieten) ist nicht neu, doch die Antwort darauf, der von den USA mitfinanzierte "Plan Mérida" zur Bekämpfung des Drogenhandels in der Region, dagegen schon. Interessant ist dabei die Rolle der guatemaltekischen Militärsondereinheit Kaibiles, berühmt-berüchtigt für ihre unmenschlichen Praktiken während des internen bewaffneten Konflikts. Heute werden ihre Mitglieder (wenn sie nicht gerade an internationalen Friedensmissionen teilnehmen) entweder für die Bekämpfung des Drogenhandels im Petén eingesetzt oder aber von den mexikanischen Drogenkartellen als Sicherheitsleute angeheuert. Laut jüngsten Zeitungsberichten werden sie via Piratensender aus Mexiko, deren Reichweite bis nach Guatemala strahlt, angeworben. Der Ruf nach Kaibiles wird aber auch aus Naturschutzkreisen laut, da sie offenbar die einzigen sind, welche die Bedingungen im Urwald aushalten und deshalb überhaupt in der Lage sind, eine gewisse Kontrolle auszuüben. Und tatsächlich wurden in den letzten Wochen 500 Kaibiles von ihrer Stammkaserne in Poptún, in die Militärkaserne von Puerto Barrios verlegt. Ihre Aufgabe: Die Bekämpfung des Drogenschmuggels. Dialoge, wie es in solchen Situationen üblich wäre, greifen im Petén nicht mehr. Die MediatorInnen der zuständigen Behörde zur Lösung von Landkonflikten, CONTIERRA, haben ihre Vermittungsbemühungen aufgegeben. Die Strategie der Behörden basiert nun auf zwei Pfeilern: Erstens wird die Schuld den besetzenden BäuerInnen zugeschoben, und zweitens wird die Präsenz von Sicherheitskräften gefordert. Ende März gab es 10 Räumungsbefehle, die aber wegen fehlender Koordination zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Militär und mangels Personal und Equipment nicht ausgeführt wurden. Bemängelt wird auch, dass diese Räumungen, wenn sie denn ausgeführt würden, nicht "nachhaltig" seien. Zwei Tage nach der Räumung seien die Gebiete erneut besetzt, beklagt sich Vizeinnenminister Edgar Hernández. Und statt Geld für entwicklungspolitische Projekte für die Region zu fordern, will Hernández das Budget von Polizei und Militär aufstocken. Das Thema der Straflosigkeit darf nicht behandelt werden ohne gleichzeitig über die ungerechte Anwendung des Gesetzes zu sprechen. Auf der einen Seite herrscht paradiesische Immunität für die wirtschaftlich Mächtigen: Ihre "Probleme" werden legalisiert, und sie werden in Ruhe gelassen. Auf der anderen Seite, so kritisiert Daniel Pascual von der BäuerInnenvereinigung CUC, werden die Campesin@s im Gegensatz zu den Drogenhändlern und GrossgrundbesitzerInnen als InvasorInnen bezeichnet. Er kenne keinen einzigen Fall, wo eine Räumung gegen einen Grossgrundbesitzer angeordnet wurde, der mit illegalen Mitteln zu seinen Ländereien kam. Mit der Regierung Berger hat im Jahr 2004 als Antwort auf die zunehmenden Landkonflikte eine Politik der gewaltsamen Räumungen begonnen. Amnesty International weist darauf hin, dass seit Beginn dieser Politik den vertriebenen Personen keine Alternativen zum Leben angeboten wurden und auch keine Überlebensnothilfe. Es sei ein Missbrauch des Justizsystems festzustellen, der sich in Verfolgung und Bestrafung von BäuerInnen ausdrücke und zwar in einem Mass, das in keiner Weise gerechtfertigt sei. Seit neustem werden VertreterInnen von BäuerInnenorganisationen als "Feinde der inneren Sicherheit" betitelt. Präsident Colom ging gar soweit, sie als "Terroristen" zu bezeichnen. Dies rechtfertigte offenbar den Einsatz von 400 Sicherheitsspezialisten, zusammengesetzt aus Polizei und Militär, um die erwähnten TouristInnen zu "befreien", die von den Campesin@s als Geiseln genommen wurden, um einen unrechtmässig verhafteten Bauern freizubekommen. Nicht zuletzt müssen auch Inkompatibilitäten zwischen den Forderungen der BäuerInnen- und der Umweltbewegung genannt werden. Aktuell besagt das Strafgesetzbuch, dass auf der widerrechtlichen Aneignung (Besetzung) einer Immobilie eine Haftstrafe von 1 - 3 Jahren steht. Diese kann durch Haftersatzmassnahmen, z.B. Kaution oder Bewährung ersetzt werden. In "schweren" Fällen, was die Anzahl besetzender Personen und die Dauer der Besetzung betrifft bzw. bei Sachschaden auf dem besetzten Gelände, kann eine Strafe bis zu 6 Jahren Haft ausgesprochen werden, wobei es ab 5 Jahren generell keine Ersatzoption mehr gibt. Während nun die BäuerInnen fordern, dass das Strafgesetz insofern abgeändert werden müsse, dass Landbesetzungen generell kein Delikt mehr darstellen, fordern die UmweltschützerInnen genau das Gegenteil: Nämlich verschärfte Strafen und überhaupt keine Haftersatzmassnahmen. Und auch wenn die Umweltorganisationen mit diesen Forderungen wohl eher die Grossgrundbesitzenden, die Drogenkartelle und die illegal arbeitenden Holzfäller im Auge haben, trifft es, solange das Gesetz so angewendet wird wie im Moment, wohl in erster Linie die um ein Stück Land kämpfenden BäuerInnen. Es wird wohl kein Weg an Verhandlungen zwischen den diversen InteressensvertreterInnen vorbeigehen. Aber es braucht als ebenso unabdingbare Voraussetzung für die Durchsetzung aller Vereinbarungen einen funktionierenden Rechtsstaat. |
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