Who is Who - Kräftemessen in der Regierung von Álvaro Colom
Fijáte 411 vom 04. Juni 2008, Artikel 1, Seite 1
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Who is Who - Kräftemessen in der Regierung von Álvaro Colom
Die Regierung von Álvaro Colom und seine Partei der Nationalen Einheit der Hoffnung (UNE) ist ein Verbund widersprüchlicher Kräfte und Interessen, in dem auch bald fünf Monate nach Amtsantritt ein Kampf um Vorherrschaft und Macht stattfindet. Vorläufig haben der Präsident und die ihm nahestehenden Personen noch die Oberhand, doch ist dies eine Momentaufnahme, denn gleichzeitig gärt es innerhalb der Partei- und Regierungsstrukturen, und es gibt einzelne Personen und Gruppen, die dezentrale Kräfte bilden. Während der Wahlkampagne traten diese Kräfte noch geeint auf und bildeten eine Allianz, weil sie das gemeinsame Ziel hatten, die Wahlen zu gewinnen. Jetzt hingegen, wo sie die Regierung bilden, verändern sich die Prioritäten der verschiedenen Gruppierungen, und es geht darum, wer das grösste Stück vom Kuchen bekommt. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die verschiedenen Sektoren, die Álvaro Colom zur Macht verholfen haben und nun Anspruch auf ihren Teil des Gewinns erheben (Ausschnitte aus: El Observador 11/12, Februar bis April 2008). Die ExekutiveDie wichtigste Gruppe bewegt sich im näheren Umfeld von Álvaro Colom und seiner Ehefrau Sandra Torres Casanova. Ihr Aktionsrahmen ist die Exekutive. Die Mitglieder dieser Gruppe arbeiten in jenen Ministerien oder Institutionen, die für die Regierung wichtig sind zur Durch- und Umsetzung ihrer angekündigten Sozialpolitik. Dazu gehören unter anderem der kürzlich eingesetzte Rat für soziale Kohäsion und demokratische Entwicklung, die Sozialfonds und das Sekretariat für soziale Werke der Präsidentengattin (SOSEP). Es sind Leute, die sich selber als SozialdemokratInnen bezeichnen, ehemalige Militante oder SympathisantInnen der nicht mehr existierenden Sozialdemokratischen Partei Guatemalas bzw. der ebenfalls aufgelösten Christdemokratischen Partei, also jene, die letzten Endes die logischen AnhängerInnen von Colom (der sich auch Sozialdemokrat nennt) und der UNE sein sollten. Dazu gehören z.B. Luis Zurita (Sekretär für Interinstitutionelle Beziehungen), Oscar Figueroa (Leiter des Planungssekretariats, SEGEPLAN) oder Fernando Fuentes Mohr, Berater des Präsidenten, aber auch der aktuelle Aussenminister Haroldo Rodas sowie der Arbeitsminister Edgar Rodríguez und Intellektuelle wie der Ex-Rektor der Universität San Carlos und heutiger Agrarminister Luis Leal oder Edgar Balsells, Anwalt und ehemaliges Mitglied der Wahrheitskommission CEH. Dieser Gruppe gehören aber auch ehemalige Mitglieder der Linksparteien Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG), Allianz Neue Nation (ANN) und Encuentro por Guatemala an, wie z.B. der Ökonom Juan Alberto Fuentes Knight als Finanzminister oder Carlos Barreda und Orlando Blanco als Vertreter der sozialen Organisationen, die heute als Menschenrechtsfachmänner in der Regierung sitzen. Es gibt eine zweite Gruppierung, die sich auch in der Exekutive bewegt und ebenfalls Colom nahesteht, deren Mitglieder aber alles andere als sozialdemokratische Wurzeln haben oder gar aus der Linken stammen, sondern UnternehmerInnen und VertreterInnen transnationaler Konzerne sind. Sie haben den politischen Werdegang von Colom seit seinem Austritt aus der ANN finanziert. Dazu gehören Männer wie Carlos Meany, der als Energieminister amtet, Jeronimo Lancerío, der als einziger Indígena in Coloms Kabinett den Posten des Kulturministers innehat, oder der Ex-General und Vieh- und Rassepferdezüchter Carlos Quintanilla, heute Leiter des Sicherheitssekretariats SAAS und zuständig für die persönliche Sicherheit des Präsidenten und seiner Familie. Ihm wird nachgesagt, er sei "der Schatten des Präsidenten" und wache sehr genau über sein Tun. Über den Vizepräsidenten Rafael Espada übt auch die Handelskammer ihren Einfluss auf die Regierung aus, ist doch Espadas Bruder, Carlos Vielmann, ein ehemaliger Präsident der Handelskammer (und Ex-Innenminister unter der Regierung Berger, aus der er wegen des Skandals um die Ermordung der drei PARLACEN-Abgeordneten letztes Jahr zurücktreten musste). Die LegislativeEine dritte Machtgruppe innerhalb der Regierung von Álvaro Colom agiert aus dem Kongress und schart sich um den wiedergewählten Abgeordneten und Kongresspräsidenten Eduardo Meyer Maldonado. Der Traumatologe war Anfang der 90er Jahre ebenfalls Rektor der Universität San Carlos. Eng mit ihm verbandelt ist der ebenfalls wiedergewählte Abgeordnete César Fajardo, der im Jahr 2006 die Parlamentarische Wahlkommission präsidierte, welche die Wahlreformen erarbeitete, die bei den Wahlen 2007 in Kraft traten und z.B. die Mindestmitgliederzahlen für Parteien erhöhte, damit diese überhaupt zu den Wahlen antreten konnten. Fajardo wird nachgesagt, er habe enge Beziehungen zu ehemaligen Hardlinern des Militärs und zu Gruppen des organisierten Verbrechens. Diese These wurde von José Carlos Marroquín, dem ehemaligen Leiter von Coloms Wahlkampagne verbreitet, der in einem ernsthaften Disput mit Fajardo stand und diesem die Verantwortung für ein Attentat gegen ihn und seine Familie anlastet. Fajardo wurde danach auf Anordnung von Colom als oberster Wahlleiter der UNE und Ansprechperson der Partei gegenüber dem Wahlgericht abgesetzt. Doch kaum war Colom gewählt, erschien Fajardo wieder an seiner Seite. Kürzlich war er während einer Parlamentssitzung fast in handgreifliche Auseinandersetzung mit dem Fraktionspräsidenten der UNE, Mario Taracena, verwickelt. Nach oben |
Eine andere UNE-Abspaltung innerhalb des Kongresses gruppiert sich um Manuel Baldizón Tager, ein Unternehmer aus dem Petén, der einer einflussreichen Handelsfamilie in jenem Departement entstammt. Baldizón hat sich den Kampf für höhere Renten für die älteren Generationen auf die Fahne geschrieben und gehört der Finanzkommission des Kongresses an. Um ihn schart sich eine Gruppe von 15 - 20 Abgeordneten, die ihm hörig sind. Seine Loyalität dem Präsidenten und der UNE gegenüber hängt davon ab, ob seine politische Rechnung aufgeht und er die Führung der Partei übernehmen kann, wenn diese dann vom Alltagsgeschäft verbraucht ist, oder ob er besser daran tut, sich mit anderen Kräften innerhalb der Partei zusammenzuschliessen, um seine künftigen Präsidentschaftsaspirationen zu pflegen. In dieser opportunistischen Rolle kann er für Colom eine einigende Schlüsselperson sein, kann aber auch zum drückenden Stein im Schuh werden, sollte er beginnen, seine eigene Suppe zu kochen. Eine weitere Gruppe von UNE-Abgeordneten, die eine Einheit innerhalb des Kongresses bilden, haben dem Präsidenten nahegelegt, die Verstaatlichung der zwei privaten Stromverteilungsunternehmen in Betracht zu ziehen, was Colom jedoch ablehnte. Daneben gibt es noch ein paar dem Präsidenten nahestehende Abgeordnete, die als Einzelpersonen auftreten wie z.B. der bereits erwähnte Mario Taracena, Roberto Kestler oder Roberto Alejos, der Eduardo Meyer Maldonado die Präsidentschaft des Kongresses streitig machen will. Was hier klar ersichtlich wird ist, dass es innerhalb der UNE-Abgeordneten an einer Person fehlt, die das Ganze zusammenhalten und eine gewisse Einigkeit und Ruhe in die Fraktion bringen könnte. Auch gibt es niemanden, nicht einmal den Präsidenten selber, der von ausserhalb Einfluss auf die UNE-Abgeordneten hat. Es fehlt sowohl an politisch verlässlichen Personen wie auch an einer Figur, welche die Brücke zwischen Legislative und Exekutive bilden könnte. Im Gegenteil: ein Teil der Abgeordneten äusserte deutlich ihr Missfallen darüber, dass der Präsident ihnen nach gewonnenen Wahlen nicht einen Job in irgendeinem Ministerium angeboten und von vornherein Quoten und jegliche familiären oder geographischen Begünstigungen ausgeschlossen hat. Ein weiterer Machtpol innerhalb der Regierung der UNE dreht sich um die Bereiche Sicherheit, Militär und Verteidigungsministerium. Diese Gruppe hat aber keine klare Interessensvertretung wie z.B. der Wirtschaftsverband CACIF oder die Handelskammer, sondern sie agiert meist unabhängig oder im kleinen Kreis. Die neue Regierung befindet sich in einer Zeit der Justierung und der Umjustierung, in der es sehr darauf ankommt, wie Colom mit dem Druck umgeht, der von verschiedenen Seiten innerhalb der Partei auf ihn ausgeübt wird. Es ist eine Zeit der Standortbestimmung und Standortneubestimmung, ein Prozess des Definierens und Umdefinierens innerhalb der Strukturen der Partei. Das Zentrum der Macht innerhalb der Regierung ist weder Colom noch seine Ehefrau Sandra Torres. Es sind auch nicht die PolitikerInnen und Fachleute, die sich als SozialdemokratInnen bezeichnen, ebenso wenig wie es die Ex-Militanten der Linken, die AktivistInnen der sozialen Bewegungen oder die Zugewanderten der linken Parteien wie der ANN oder der URNG sind. Eine Gruppe, die offensichtlich ein Zentrum der Macht bildet, sind die Financiers der Wahlkampagne von Colom, von denen einige wichtige Posten innerhalb der Regierung einnehmen. Ihre Devise ist, die Regierung solange zu unterstützen, wie sie nicht gegen ihre Interessen handelt. Die Mitglieder dieser Gruppe gehören einem ökonomisch starken Sektor an, der aber nicht unbedingt aus dem Unternehmertum erwächst. Seinen Einfluss auf die Regierung übt dieser Sektor durch Personen aus, die nicht aus seinen engsten Strukturen kommen, sondern ihm zugetan sind und innerhalb der Regierung seine Interessen vertreten. Kein Wunder also, dass der Diskurs von Colom oft widersprüchlich ist. So hat er z.B. auf der einen Seite versprochen, eine Versöhnung anzustreben, die auf der Anerkennung der Verantwortung des Staates an den Kriegsverbrechen basiert, und andererseits bei einer Militärparade erklärt, es sei endlich an der Zeit, im Buch der Geschichte Guatemalas eine neue Seite aufzuschlagen und den bewaffneten Konflikt hinter sich zu lassen. Ein weiteres Beispiel für diesen alles andere als kohärenten Diskurs ist das Weiterführen einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, die Vergabe von Konzessionen an private nationale oder transnationale Unternehmen für den Bau von Infrastrukturprojekten auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Versprechen: "Heute beginnt das Privileg der Armen". Es bleibt abzuwarten, auf welche Seite das Pendel in diesem internen Machtkampf ausschlägt oder ob es gar die Figur des "lachenden Dritten" gibt. |
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