Razzien, Festnahmen, Deportation
Fijáte 410 vom 21. Mai 2008, Artikel 6, Seite 6
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Razzien, Festnahmen, Deportation
Guatemala, 17. Mai. Seit Anfang dieses Jahres sind 8´947 GuatemaltekInnen aus den USA nach Guatemala deportiert worden. Gut ein Zehntel davon sind Minderjährige. Jede Woche landen entsprechende Flugzeuge auf dem Gelände der guatemaltekischen Luftwaffe. Anfang dieser Woche löste eine Grossrazzia in einer Fleischverpackungsfabrik im US-Bundesstaat Iowa, einen Sturm der Empörung aus. Unter den 390 papierlosen Personen die festgenommenen wurden, befanden sich 287 GuatemaltekInnen. Dreissig von ihnen konnte der zuständige guatemaltekische Konsul aus humanitären Gründen davor bewahren, wie die übrigen 257 zum Teil gefesselten Personen in einer Viehpräsentationsarena festgehalten zu werden. Dennoch sind auch unter diesen Minderjährige, Schwangere, Kranke und Alleinerziehende, deren Kinder ohne Betreuung zu Hause sind. Eine Nonne aus der neben der Fabrik liegenden Kirche berichtete, die Angehörigen hätten angesichts des Grossaufgebots von Seiten der Migrationsbehörde völlig panisch in dem Gotteshaus um ein sicheres Obdach gebeten, während zwei Helikopter immer noch das Gelände überflogen. Ihr selber, die im Moment der Razzia den Arbeitenden zur Hilfe kommen wollte, wurde der Zutritt verweigert. Anlass für die Razzia seitens des Immigrations- und Zollbüros (ICE) sei laut dessen Sprecher die Suche nach Beweismaterial für den Diebstahl von Identitätspapieren, Sozialversicherungsnummern und nach illegal im Land lebenden Personen gewesen. Bevor ihnen irgenwelche Straftaten angehängt werden, zogen es 133 der Festgenommenen vor, darum zu bitten, deportiert zu werden. Ihre Rückführung wird in der nächsten Woche erwartet. 97 Personen dagegen bleiben weiterhin in Haft, angeklagt des Diebstahl von Ausweispapieren. Selbst Firmen, die Personen ohne Dokumente anstellen, fordern von diesen die Angabe einer Sozialversicherungsnummer. Nur mit dieser können die Arbeitenden unter anderem ihren Lohn kassieren und ein Konto eröffnen - über das sie auch Geld zu ihren Familien ins Heimatland schicken können. Daraus ist inzwischen ein florierendes Geschäft mit Identitätspapieren entstanden. Erst vierzehn Tage vorher war Präsident Álvaro Colom bei seinem US-amerikanischen Kollegen gewesen. Dabei hatte er bei Bush einen humaneren Umgang mit den guatemaltekischen EinwanderInnen und in erster Linie die Option für GuatemaltekInnen beantragt, einen temporären Aufenthaltsstatus (TPS) ausgestellt zu bekommen. Bushs Antwort, er werde diesen Aspekt analyiseren, desilusionierte die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die im Vorfeld extra noch Colom mit ihren rechtlichen und sozialen Forderungen an die US-Regierung instruiert hatten. Denn gerade im Jahr des US-Wahlkampfes haben sie diese "Zusage" schon verschiedenen vernommen, ohne dass es zu einer positiven Umsetzung gekommen ist. Einerseits verschärfen die einzelnen US-Bundesstaaten den Umgang mit den in ihrem Territorium lebenden Personen ohne Dokumente, indem sie gewöhnlichen Sicherheitskräften und Behörden mehr ausführende Kompetenz verleihen, gegen die MigrantInnen vorzugehen. Andererseits werden Geschäfte und Produktionsstätten geschlossen, entweder aus Strafe für die Anstellung von "Illegalen" oder aber aufgrund der wachsenden Anzahl von Deportationen. Diese wiederum haben zur Folge, dass die nicht gefassten papierlosen ArbeiterInnen ebenfalls davonziehen, um irgendwo einen sichereren Platz zu finden, wo sie das Geld für sich und ihre Familien verdienen können. So fehlen im Bundesstaat Pennsylvenia aktuell beispielsweise PflückerInnen für die Tomatenernte. Es ist also nicht nur die US-amerikanische Finanz- und Immobilienkrise, welche sich auf die Arbeitssituation der GuatemaltekInnen und anderen MigrantInnen auswirkt, und zur Folge hat, dass diese zum Teil bereits monatelang ohne Arbeit sind und somit keine Möglichkeit haben, die im Schnitt US-$330 im Monat ihren Familien im Heimatland zu schicken. Die verschärften Migrationsbestimmungen führen auch dazu, dass durch die Deportationen und den Wegzug in tolerantere Gegenden die MigrantInnen weder als Arbeitende noch als Konsumierende zur lokalen Wirtschaft beitragen. Doch weder in den USA noch in diesem Fall in Guatemala existieren Programme, Pläne oder gar rechtliche Rahmenbedingungen, mit dieser Situation umzugehen. So kommen die Deportierten zurück ohne Perspektive und ohne irgendeine Wiedereingliederungshilfe. Und ihre Familie muss zudem auf die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland verzichten. Immerhin hat Colom angekündigt, drei neue Konsulate in den USA zu eröffnen, und zwar in jenen Zonen, in denen besonders viele ausgewanderte GuatemaltekInnen leben. Bei einem Treffen der Aussenminister des Kontinentes schlug Honduras in diesen Tagen vor, eine konsularische Zusammenarbeit zwischen den zentralamerikanischen Ländern ins Leben zu rufen, um die Betreuung der zentralamerikanischen MigrantInnen zu verbessern. Diese Idee muss jetzt in den jeweiligen Parlamenten diskutiert und verabschiedet werden. Nach oben |
Dagegen ist es längst an der Zeit, den bereits im Oktober geschaffenen Nationalrat für die Betreuung des guatemaltekischen Migranten (CONAMIGUA) auch tatsächlich in Funktion zu bringen. Neben VertreterInnen verschiedener Menschenrechtsinstanzen und der GuatemaltekInnen, die im Ausland leben, sollen auch das Parlament und die Exekutive darin vertreten sein. Bislang haben diese beiden jedoch ihre Delegierten noch nicht ernannt und erst jetzt forderte Colom die in den USA aktiven Migrationsorganisationen auf, ihre RepräsentantInnen vorzuschlagen. Eine der Aufgaben des Rates ist die Lobbyarbeit zu Gunsten der MigrantInnen ohne Papiere vor den Autoriäten der USA in Sachen Menschenrechte und der Gewährung der Staatsbürgerschaft oder zumindest einer zeitweiligen Arbeitserlaubnis. Zwar wurde Ende März vom Sondergesandten für Migration der Vereinten Nationen, Dr. Jorge Bustamente, am Ende seiner Inspektionsreise durch Guatemala und Mexiko vor allem letzterem ein äusserst negatives Zeugnis in Bezug auf den Umgang mit den das Land passierenden MigrantInnen ausgestellt. Doch die Tageszeitung Washington Post sorgte dieser Tage mit einer Reportage auch wieder einmal für Entrüstung über die US-amerikanische Praxis. So sollen seit 2003 mindestens 250 Personen, die deportiert werden sollten, vor ihrem Flug mit einer Medikamentenmischung sediert worden sein, die für gewöhnlich bei starken psychischen Erkrankungen gegeben wird. Zum Teil seien die Dosierungen so stark gewesen, dass die Personen nur im Rollstuhl ins Flugzeug geschafft werden konnten. Es gibt durchaus Deportationsbestimmungen, die die medikamentöse Ruhigstellung indizieren, doch sei, so der Zeitungsbericht, in den genannten Fällen weder von einer dafür notwendigen psychischen Einschränkung noch von besonderer Aggression die Rede gewesen. Als Grundlage ihrer Untersuchung nennt die Zeitung ärztliche Unterlagen, interne Dokumente und Interviews mit betroffenen Personen. Auch in Europa wurde bereits wiederholt von Menschenrechtsorganisationen auf eine derartige Abschiebepraxis hingewiesen. |
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