Zehn Jahre nach dem Mord an Monseñor Gerardi
Fijáte 409 vom 07. Mai 2008, Artikel 4, Seite 4
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Zehn Jahre nach dem Mord an Monseñor Gerardi
Guatemala, 02. Mai. Anlässlich des 10. Jahrestages des Mordes an Bischof Juan José Gerardi Conedera am 26. April 1998, erinnerte Kardinal Rodolfo Quezada Toruño daran, dass dessen Tod eine offene Wunde für die Kirche darstelle, die durchaus bereit sei zu verzeihen, aber wissen wolle "wem und was sie verzeihe". Im Gedenkgottesdienst an Gerardi versprach der Kardinal, während seiner Amtszeit keine Mühen zu scheuen, die Aufklärung des Mordes zu unterstützen. Monseñor Gerardi war zwei Tage nach der Präsentation des Wahrheitsberichtes "Guatemala - Nunca más", des Projektes zur Wiedererlangung der Historischen Erinnerung (REMHI) in seinem Pfarrhaus ermordet worden. In dem Bericht werden 96% der im bewaffneten internen Konflikt begangenen Verletzungen der Menschenrechte dem Militär angelastet. Mitte 2001 wurden die ehemaligen Militärs Byron Disrael Lima Estrada, dessen Sohn Byron Lima Oliva und Obdulio Villanueva, der 2003 bei einem Aufstand im Gefängnis ums Leben kam, sowie der Priester Mario Orantes Nájera letztendlich zu 20 Jahren Haft wegen Komplizenschaft bzw. Beihilfe verurteilt. Just in diesen Tagen wurde nicht nur bekannt, dass sich die Einschüchterungsversuche und Morddrohungen gegen Mitglieder des Erzbischöflichen Menschenrechtsbüros (ODHAG), die in dem Fall als Nebenklägerin auftritt, wieder verschärft haben. Die Staatsanwaltschaft kündigte ausserdem an, das am Tatort gefundene Beweismaterial erneut zu analysieren und das Verschwinden oder auch den möglichen Tod von 13 verdächtigen Personen zu untersuchen, die wahrscheinlich in irgendeiner Weise mit der Tat in Verbindung standen. Erick Estuardo Urízar Barillas beispielsweise, Militär und Alibi von Lima Oliva, mit dem dieser an jenem Abend zusammen in einer Bar in der Zone 10 gewesen sein will, wurde im Oktober 2003 von Unbekannten erschossen. Ricardo Eliseo Moscoso Celada hingegen verschwand im März 2005 und war wie Urízar Barillas Geschäftspartner von Lima Oliva in mehreren Sicherheitsfirmen, die sich auch dem Handel mit Waffen und Munition widmeten. Es wird vermutet, dass es sich bei der Beseitigung der Personen um eine Strategie handelt, die Leute zum Schweigen zu bringen, die etwas von dem Mord an Gerardi wussten oder gar an ihm beteiligt waren. Der zuständige Staatsanwalt Jorge García sieht diese Taktik in Zusammenhang mit der Desinformation und Verschleierung von Seiten der Mitglieder des inzwischen aufgelösten Präsidialen Generalstabs (EMP), dem auch Lima Oliva angehörte. Diese als Zeugen Befragten hätten sich in ihren Aussagen widersprochen und so manche Erklärung ganz klar an den Haaren herbeigezogen. Derweil wächst die Anspannung bei den Menschenrechtsorganisationen angesichts der nahenden Haftentlassung von Lima Oliva in spätestens einem Jahr und sieben Monaten. Dieser drohte kürzlich in einem Interview mit dem Fernsehkanal Guatevisión, einen Prozess gegen die ehemaligen MitarbeiterInnen des Projektes REMHI anzustreben, konkret hat er dabei den Politanalysten Edgar Gutiérrez im Visier. So meint Lima Oliva: "Bis heute weiss man weder, wer der materielle noch wer der intellektuelle Täter ist, wer Komplize oder Begünstiger. Was die Kirche sagt und was die Menschenrechte (sic) sagen, ist falsch. Der Hauptverursacher dafür, dass die Wahrheit vom Tod Monseñor Gerardis verzerrt wurde, ist Edgar Armando Gutiérrez Girón, Ex-Aussenminister und Ex-Chef des Geheimdienstes des Sekretariats für Strategische Analysen (SAE) von Alfonso Portillo, denn er ist der Ideologe, der diese ganze Lüge zusammengebastelt hat. Wir werden ihn entlarven und ihn dahin bringen, wo er hingehört: nämlich ins Gefängnis." Lima Oliva gibt sich durchaus damit einverstanden, das Gedenken an Gerardi zu pflegen, doch es sollten keine falschen Märtyrer geschaffen werden, meint der Ex-Hauptmann, der überzeugt davon ist, dass der Mord an dem Bischof nichts mit dem REMHI zu tun gehabt habe, sondern Folge eines häuslichen Konflikts gewesen sei: "Er starb, weil er Geld im Pfarrhaus hatte, von dem das Verbrechertum Wind bekommen hatte, da einE AngehörigeR eines Priesters in dem Haus ein- und ausging." Lima Oliva selbst schmiedet bereits Zukunftspläne "unter einer anderen Regierung" einen öffentlichen Posten einzunehmen und unterstreicht im Interview seine ultra-rechte Überzeugung. Laut eigener Aussagen bereitet er gerade einen Prozess im Ausland vor wegen Menschenrechtsverletzungen. Gegen wen, erwähnte er nicht. Inforpress centroamericana versucht unterdessen, die zahlreichen Hypothesen und Erklärungsversuche der diversen Beteiligten am Fall Gerardi und dessen Aufklärung verständlich darzustellen. Während das ODHAG von Lima Oliva auf dessen Internetseite der Verschleierung für schuldig befunden wird, plant dieses einen Prozess gegen die Staatsanwaltschaft zu eröffnen, speziell gegen Generalstaatsanwalt Juan Luis Florido, den das ODHAG des fehlenden politischen Willens beschuldigt, da in den letzten 10 Jahren keine wirkliche Ermittlung im Fall Gerardi und vor allem keine Untersuchung der involvierten Befehlshierarchien innerhalb und zwischen Militär und Politik stattgefunden habe. Somit mache sich die Staatsanwaltschaft zur Komplizin der militärischen Täter. Nach oben |
Als Anwalt der Familien Berger-Widmann und Gutiérrez-Bosch sowie als langjähriger Freund des damaligen Präsidenten und heutigen Hauptstadtbürgermeisters Álvaro Arzú, habe Florido schon manches Mal ein Auge zugedrückt oder auch gerade Arzú beigestanden, sein Image zu wahren. Zum einen habe dieser nicht gewollt, dass Details des militärischen Tuns unter seiner Regierung öffentlich gemacht würden. Zum anderen, so greift Inforpress auf die Behauptungen des im letzten Jahr erschienenen Buches "Die Kunst des politischen Mordes" vom guatemaltekisch-US-amerikanischen Autoren Francisco Goldmann zurück (siehe ¡Fijáte! 389), wollte Arzú die Homosexualität eines seiner Söhne verheimlichen, der ein Verhältnis mit dem Priester Orantes gehabt haben soll. Dieser hatte ebenfalls im Pfarrhaus gelebt. Auch viele Akteure rund um Gerardi, gerade aus der kirchlichen Hierarchie, hätten einiges zu verstecken gehabt, so Goldmann, wodurch sie leicht unter Druck und als Spione einzusetzen bzw. zum Schweigen zu bringen gewesen seien. Gleichwohl begrüsste ODHAG-Direktor Nery Rodenas, dass die Staatsanwaltschaft jetzt endlich den Fall noch einmal aufrolle und die Ermittlungen ernsthaft zu verfolgen scheine. Und zufällig in diesen Tagen veröffentlicht die Tageszeitung Siglo XXI eine Reportage über eine neue Theorie. Diese geht zurück auf Informationen einer Untersuchung des Falles durch den salvadorianischen Ermittler Leonel Gómez Vides, die er 1999 auf Bitten von Gustavo Porras, dem damaligen Privatsekretär des Ex-Präsidenten Arzú angefertigt hat. Gómez Vides arbeitete für den US-amerikanischen Kongressabgeordneten der Demokraten, Joseph Moackley, und untersuchte für diesen Korruptionsfälle und politische Morde. Laut Gómez Vides nun habe hinter dem Mord an Bischof Gerardi der Drogenhandel gestanden, denn Gerardi habe während seiner Bischofszeit im Departement Quiché Namen und Strategien der narcos im Quiché und in Baja Verapaz herausgefunden, die er nach der Präsentation des REMHI-Berichtes veröffentlichen wollte. Doch diese Hypothese wird skeptisch und eher als erneuter Verschleierungsversuch betrachtet, mit dem die Absicht verfolgt werde, die institutionelle Verantwortung des Militärs und der Regierung Arzú zu minimieren. Inforpress weist derweil darauf hin, dass gerade das Blatt Siglo XXI gewesen sei, das allen möglichen Theorien im Fall Gerardi viel Platz eingeräumt habe, so auch der Behauptung des spanischen Forensikers José Manuel Reverte Coma, laut dem die Kopfverletzungen des Bischofs von dem Schäferhund Baloo stammten, der dem Priester Orantes gehörte. Fraglich ist also, warum die Zeitung, in deren Vorstand einige der wohlhabenden und konservativen Familien des Landes sitzen, gerade jetzt die Drogen-These veröffentlicht. Miguel Ángel Albizures von der Angehörigenvereinigung FAMDEGUA weist indes darauf hin: "Wir schliessen die Beteiligung von hohen Militärs nicht aus und deuten schon seit langem auf diejenigen, die mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung stehen, aber mir erscheint es seltsam, dass sie diese Hypothese gerade zum jetzigen Zeitpunkt ans Licht bringen. Die Staatsanwaltschaft muss das untersuchen ohne die wesentliche Tatsache des Mordes aus den Augen zu verlieren: Mit ihm wurde beabsichtigt, die Kirche zum Schweigen zu bringen, die guatemaltekische Gesellschaft zum Schweigen zu bringen, die Rückgabe des REMHI an die Gemeinden zu torpedieren und das lahm zu legen, wofür das REMHI stand." Edgar Gutiérrez stimmt mit Albizures überein und schlussfolgert, die guatemaltekische Justiz habe eine "Taskforce" verurteilt, zu der zwei ehemalige EMP-Militärs und ein pensionierter militärischer Geheimdienstler gehörten, sowie den Prozess gegen einige ehemalige EMP-Mitglieder noch offen gelassen. Laut Gómez seien all diese Personen im Drogengeschäft, was zuvor noch nie erwähnt worden sei. |
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