Die Medien in der (Selbst-)Kritik
Fijáte 318 vom 8. Sept. 2004, Artikel 1, Seite 1
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Die Medien in der (Selbst-)Kritik
Ein anonymer Brief, der in der ersten Augustwoche per E-Mail unter JournalistInnen und sozialen Organisationen kursierte, wirft der nationalen Presse Selbstzensur und Verschleierung von Information über Korruptionsfälle in der aktuellen Regierung vor. Die offensichtlich aus JournalistInnenkreisen stammenden BeschwerdeführerInnen drücken eine wachsende Besorgnis hinsichtlich der Beobachtung aus, dass die Medien parteiisch agierten und ihre Recherchen auf Korruptionsfälle der vorhergehenden Regierung und sozialen Organisationen konzentrierten derweil sie die aktuelle Staatsführung von ihrer Kritik verschonten. Die Studie ,,Die Demokratie in Lateinamerika" vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (PNUD) (siehe ¡Fijáte! 310) bestätigt laut dem Autor des vorliegenden Artikels, Matthew Creelman, in gewisser Weise diesen Verdacht, indem sie darauf hinweist, dass ,,der grosse Einfluss der Medien eine Restriktion für den Demokratie-Prozess gewesen ist". Erschienen ist der nachfolgende Artikel in Inforpress Centroamericana. Ein neuer Journalismus? Seit der Wahlkampagne im Jahr 2003 hat sich der E-MailVerkehr zu einem wichtigen Mittel der Meinungs- und Informationsweitergabe über Themen von öffentlichem Interesse entwikkelt. Auch wenn die Anonymität der Informationsquellen deren Nützlichkeit für die journalistische Arbeit in Zweifel zieht, beziehen sich durchaus inzwischen einige nationale Medien in ihren Artikeln auf diese anonym ,,gefilterten" Quellen. Insbesondere beruht die Rubrik ,,El Peladero" in der Tageszeitung elPeriódico vornehmlich auf Tratsch und nicht bestätigten Informationen. In dem Anfang August per E-Mail verschickten anonymen Brief wird nicht nur auf mutmassliche Komplizenschaft zwischen Besitzenden und DirektorInnen der grössten Massenmedien und FunktionärInnen der amtierenden Regierung hingewiesen, sondern es werden auch konkrete Korruptionsfälle mit einigen dieser AmtsinhaberInnen in Verbindung gebracht. Ausschnitte aus dem anonymen Brief: ,,Verehrte Freunde, wir haben uns dazu entschieden, euch darüber zu informieren, was innerhalb der schriftlichen, TV- und Radio-Medien vor sich geht. Als ReporterInnen sind wir dafür zuständig, verschiedene Quellen abzudecken, in denen wir täglich die Nachrichten vorfinden, die wir versuchen, der allgemeinen Bevölkerung zukommen zu lassen. Doch es gibt JournalistInnen unter uns, die damit konfrontiert sind, dass ihre Recherchen und Berichte von den Redaktionsleitungen unserer Presseorgane verändert oder ignoriert werden, vor allem, wenn es sich um die Aufdeckung von Korruptionsfällen geht, in die amtierende Regierungsleute involviert sind. Wir, das sind JournalistInnen der Tageszeitungen Siglo XXI, Prensa Libre, Diario, La Hora, Nuestro Diario, Al Día, elPeriódico, den TV-Sendern Guatevisión, Telediario, Notisiete, La Sonora sowie den Radiosendern Emisoras Unidas und Radio Punto. Mit diesem Schreiben erheben wir Anzeige: Erstens: Tagtäglich wird unsere professionelle, akademische und physische Integrität durch folgende Faktoren bedroht: Als JournalistInnen sind wir in den letzten zehn Monaten ZeugInnen davon geworden, wie ökonomische Interessen die Wahrheit verdecken, wie diese Interessen unsere Kommunikationsmedien kaputt machen und wie sie sich einmischen, um zu verhindern, dass die GuatemaltekInnen die ganze Wahrheit erfahren. Anfangs glaubten wir, dass es sich um einen Effekt der Wahlen handelt, der sich wieder legt, sobald die neue Regierung Fuss gefasst hat. Aber in den letzten sieben Monaten haben wir gesehen, dass dieses Phänomen inzwischen unvorstellbare, von einem Ende weit entfernte Ausmasse angenommen hat. Die Beschneidung der Wahrheit geschieht jeden Tag aufs Neue in unseren Arbeitsstätten. Die Besitzenden der Medien nehmen durch die Redaktionsleitung parteiische Positionen zu Gunsten der aktuellen Regierung ein. Alle Nachrichten gelangen am Ende des Tages in die Redaktionsbüros und werden haargenau überprüft. Und die Artikel, in denen von irgendeinem Regierungsmitglied in negativer Form die Rede ist, werden gekürzt oder gleich archiviert. Als ReporterInnen glauben wir, dass die GuatemaltekInnen das Recht darauf haben, die Wahrheit über die täglichen Vorkommnisse zu erfahren und dass es nicht das Recht der Eigentümer der Medien ist, uns diese Freiheit zu nehmen. Wir glauben, dass jedeR, der/die gegen das Gesetz verstösst, ein Verbrechen begeht oder direkt oder indirekt in Korruptionsfälle verwickelt ist, angezeigt werden muss. Wir sind zudem der Auffassung, dass die Presse stets aufmerksam diejenigen Aktionen verfolgen muss, die die Bevölkerung generell begünstigen oder benachteiligen. Wir als KommunikatorInnen dürfen nicht für oder gegen einen bestimmten Sektor Partei ergreifen. Einige PressekollegInnen sind vom Honig der wirtschaftlichen Macht verführt worden und haben sich darauf eingelassen, sich in UntertanInnen und RegierungsfunktionärInnen zu verwandeln, um die Wahrheit zu verdecken. Zweitens: Wir haben eine Informationskampagne bei den verschiedenen Instanzen auf Regierungs-, Nichtregierungs- und internationaler Ebene begonnen, um auf unsere Arbeitssituation aufmerksam zu machen. Wir haben uns zur öffentlichen Bekanntgabe entschlossen, da wir der Meinung sind, dass es Pflicht des Nationalen Rechnungsprüfungshofs, der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums ist, zu verifizieren, dass solche Vorkommnisse wie die genannten und der Bevölkerung bekannten, sich nicht wiederholen. Entsprechend fordern wir den Menschenrechtsproku- rator auf, eine Ermittlung innerhalb der Medienbetriebe zu starten, um unser Recht, die Wahrheit zu verteidigen, zu garantieren. Ebenso fordern wir die UNMission für Guatemala (MINUGUA) dazu auf, ihre Delegierten zu den verschiedenen Presseorganen zu schicken, um unsere hier vorgebrachten Anklagen zu überprüfen. (...) (Es folgen Beschwerden über den Verkehr von Einflüssen und Korruption in der vorherigen, aber besonders in der aktuellen Regierungsverwaltung) Guatemala, 02. August 2004" Inforpress hat versucht, die Identität der AutorInnen dieser Nachricht herauszufinden, doch die befragten JournalistInnen konnten oder wollten keine Angaben über die Urheberschaft machen. Trotzdem bestätigten sie drei der Aspekte der dargelegten Situation. In erster Linie behindern die Arbeitsbedingungen in den Redaktionen der meisten Medienunternehmen tatsächlich die Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit. In zwei der drei Tageszeitungen gibt es keine Gewerkschaften und unter den JournalistInnen kursiert gar die Warnung, dieses Thema besser gar nicht anzuschneiden. Es ist die Rede davon, dass es weder festgelegte noch begrenzte Arbeitszeiten gibt. Nach oben |
Auch bestätigten einige der befragten JournalistInnen, die ihre Identität nicht preisgeben wollten, dass die DirektorInnen der Presseorgane sorgfältig die Recherche-Agenden und Mitteilungen überwachten und Themen wie Korruption in der derzeitigen Regierung, Privilegkonditionen für grosse Firmen des Landes oder jegliche kritische Äusserung über die Medien selbst, änderten oder ablehnten. Schliesslich kamen die Konsultierten zu dem Schluss, dass das Fehlen und der Ausschluss dieser Themen auf die politischen Verpflichtungen ihrer DirektorInnen und der Medienbesitzenden zurückzuführen sei. Ignorierte Klagen Da der üblicherweise praktizierte Journalismus immer mal wieder Rückgriff auf unbestätigte Informationen tägigt und oft Behauptungen aufstellt werden, ohne die Position der entsprechenden Person einzuholen, sollen die in dem Brief aufgeführten Fälle nicht ins Detail verfolgt werden, solange sie nicht bestätigt sind. Entsprechend beschränken wir uns hier auf die grobe Wiedergabe einiger Anschuldigungen. - Der Wechsel des Innenministers stünde in Verbindung mit einem unlauteren Geschäft mit 80 Streifenwagen; - Der Kauf von Medikamenten seitens des Gesundheitsministeriums sei zugunsten von Unternehmen getätigt worden, in denen ministeriale FunktionärInnen Teilhabende seien; - Mittels des Landfonds FONTIERRAS sei eine überbewertete Finca verkauft worden, die Eigentum des Innenministerium war, und andere anormale Geldzahlungen seien vom Fonds getätigt worden; - Die Vorwürfe der Korruption beträfen auch Regierungsmitglieder der alten Amtsführung, die unter der neuen weiterhin wichtige Posten innehätten; - Es seien Schmiergelder geflossen, um den Nachrichtenfluss zu beeinflussen, zudem seien Arbeitsplätze in der Regierung zu Gunsten befreundeter oder affiner JournalistInnen vergeben worden; - Zwischen einem Kooperativenverband und einer Ländlichen Entwicklungsbank hätten unerlaubte Finanzierungen stattgefunden: Der Verband habe einen Kredit beantragt und damit Aktien derselben Bank gekauft, inzwischen sei der Geschäftsführer des Verbandes Präsident des Bankenvorstandes. ,,Dies sind nur einige der Informationen, die an die Presse gelangten. In manchen davon wurden die Ermittlungen aufgenommen, konnten jedoch aufgrund der Unternehmenspolitik nicht beendet werden. All diese Anzeigen sind mit den dazugehörigen Beweisen an die zuständigen Behörden weitergeleitet worden, doch bis dato sind noch keine Untersuchungsschritte aufgenommen worden." So endet der Brief. Ende der Flitterwochen? Inforpress befragte einige JournalistInnen hinsichtlich ihrer jeweiligen Arbeitssituation. Ohne Ausnahme beschwerten sich alle über zwei Probleme: Heilige Kühe und Verleumdungskampagnen. Nie würde kritisch über Werbung schaltende Unternehmen berichtet. Beispielsweise gelangten die hohen Zwischenhandelsgewinne von Supermärkten nie an die Öffentlichkeit, um nicht das Risiko einzugehen, die Werbeeinnahmen zu verlieren. Fälle der Steuerhinterziehung oder Zollkorruption, die Produzenten und Importeure von Hühnchen belangten, seien ebenso wenig Thema für journalistische Recherchen. Einer der angesprochenen JournalistInnen stellte die Entscheidung von elPeriódico in Frage, die an einer Hand abzählbaren Anomalien in den Organisationen zu recherchieren, die zur Plataforma Agraria gehörten, während dessen kein einziges Medium ernsthaft den Anzeichen der Steuerhinterziehung in Millionenhöhe nachgehe, die von grossen Unternehmen und Kommunikationsmedien begangen würden. In der Woche, nachdem der Brief in Umlauf gebracht wurde, war dessen Inhalt Diskussionsthema unter den Journa- listInnen, die die verschiedenen Quellen abdecken. Doch niemand, weder KolumnistInnen noch LeitartiklerInnen, traute sich, das Thema direkt anzugehen. Eine konsultierte Quelle schreibt einen Teil der regierungsfreundlichen Umgangsweisen der Presse den traditionellen ,,Flitterwochen" von Medien und neuer Regierung in den ersten Monaten der Amtsführung zu. Diese Wahrnehmung wurde Anfang des laufenden Jahres gestärkt durch die massive gerichtliche Verfolgung von FunktionärInnen der vorherigen Regierung und deren flächendekkenden Berichterstattung in allen Medien. Monatelang belegten die schwerwiegenden Vorwürfe gegen den Regierungsclan der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) die Schlagzeilen und lenkten von dem völligen Fehlen jeglicher Berichterstattung über mögliche Korruptionsvorfälle unter Oscar Berger ab. Doch in den letzten Monaten drückten sich die Risse in der labilen Allianz, die Berger ins Präsidentschaftsamt gehoben hat, in einer stärkeren Öffnung der Medien aus. Dennoch vermögen die politischen Veränderungen die grundlegenden Strukturen in den Verlagshäusern nicht zu beeinflussen. Diese Strukturen, die dazu neigen, die Interessen ihrer Besitzenden und den WerbekundInnen zu begünstigen und sich in Wahlzeiten an ihren KandidatInnen zu orientieren, beinhalten gleichsam eine Perspektive, die generell die wirtschaftliche Globalisierung, die Freihandelsabkommen und die Wirtschaftsvorschläge des Privatsektors favorisiert. Derweil sind die Verteilung des Reichtums, die strukturellen Hintergründe der Korruption und die Suche nach Lösungen für die Agrarkrise Tabuthemen in den meisten Massenmedien. Die Macht der Presse Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (PNUD) hat in seiner Demokratiestudie ein Kapitel dem Thema der Kommunikationsmedien gewidmet. ,,Mit Hilfe der Presse konzentrieren die Unternehmenden noch mehr Macht auf sich, sei es, weil sie ihre EigentümerInnen sind oder weil sie mittels der Steuerung von Werbung entsprechende Konditionen stellen. Diese Allianz ermöglicht ihnen die Macht, die Diskussionsthemen zu bestimmen und Einfluss auf das öffentliche Image von FunktionärInnen, politischen Parteien und Institutionen zu üben", so der PNUD-Bericht. Bemerkenswert am Verfahren der Presse sind die Selektivität, mit der sie die herrschende Korruption recherchiert nämlich als parteipolitisches Problem und nicht als strukturelles und die Popularisierung vom politischen Geschehen, was vornehmlich in den ,,Klatsch- und Tratschspalten" passiert. Eine Analyse der entsprechenden Kolumne ,,El Peladero" (das Wort ,,pelar" kann u.a. sowohl ,,lästern" als auch ,,(Hühnchen) rupfen" heissen, die Red.) in elPeriódico zeigt auf, dass es zwei grosse Leerstellen in den Gesellschaftskreisen gibt, die normalerweise Zielscheibe für die |
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