Unklarheiten rund um die Räumung der Finca Nueva Linda
Fijáte 319 vom 22. Sept. 2004, Artikel 3, Seite 4
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Unklarheiten rund um die Räumung der Finca Nueva Linda
Guatemala, 14. Sep. Während national und international die gewalttätige Räumungsaktion der Finca Nueva Linda in Champerico, Retalhuleu, vom 31. August verurteilt wurde (vgl. ¡Fijáte! 318) und die bei diesem Vorfall von den Polizeikräften bedrohten und ihrer Filmund Fotomaterialien entledigten Journalisten weltweit Solidaritätsbekundungen erhielten, sind die Ermittlungen bislang wenig fortgeschritten. Am 6. Sept. demonstrierten rund 1´000 Personen, allen voran Frauen, vor dem Gericht in Retalhuleu und forderten die Freilassung der Verhafteten. "Con Berger ganamos el masacre de Nueva Linda" - "Mit Berger gewannen wir das Massaker von Nueva Linda", war eine ihrer Parolen, in Bezug auf den Wahlspruch "mit Berger gewinnen wir alle". Mangels Beweisen wurden 29 der mindestens 31 festgenommenen BäuerInnen tatsächlich freigelassen. Zehn gefundene Leichen sind unterdessen forensisch untersucht und zum Teil beerdigt. Die PathologInnen fanden heraus, dass vier der toten Bauern Schüsse in Kopf und Thorax erhielten, drei Bauern an den Folgen von Schlägen und Tritten starben zwei von ihnen waren Minderjährige - und die drei Mitglieder der Polizei-Spezialkräfte (FEP) Schüssen in Rücken und Genick erlagen. Die Zahl der Verletzten ist insofern unklar, weil sich vermutlich noch einige von ihnen aus Angst vor Festnahme versteckt halten und noch keine Gesundheitseinrichtung aufgesucht haben. Zwar wurde bereits mit den Ausgrabungen von vier Klärgruben auf der Finca begonnen, in denen man weitere Leichen vermutet, da sich am Rand der frisch aufgeschütteten Erde Kleidungsstücke fanden und AugenzeugInnen sowie Spuren darauf hinweisen, dass mit schweren Landmaschinen die Erde bewegt und Leichen in die Gruben geworfen worden waren, doch es wurden noch keine Funde bekannt gegeben. Aufgrund von Anklagen hat die Staatsanwaltschaft inzwischen Verfahren gegen die FEP wegen extragerichtlicher Hinrichtung in drei Fällen und Machtmissbrauchs aufgenommen, Verbrechen, auf die 25 30 Jahre Haft stehen. Während die siebenmonatige Finca-Besetzung durch 1´500 BäuerInnen als Druckmittel gegen den Finca-Besitzer, dem das Verschwinden des FincaVerwalters Héctor René Reyes angelastet wird, kaum Thema ist und entsprechende Untersuchungen allein von der UN-Mission für Guatemala (MINUGUA) explizit eingefordert wurde, konzentrieren sich die Medienberichte auf die Widersprüche hinsichtlich der Räumungsaktion an sich, in die sich die Regierungsfunktionäre, allen voran Innenminister Carlos Vielmann, mehr und mehr verstricken. War die Aussage von Präsident Oscar Berger kurz nach dem Vorfall schon in sich verquer, als er meinte, die Regierung würde den Dialog mit den BäuerInnen verstärken und den mit diesen vereinbarten 90 Tage-Pakt der unter anderem in dieser Zeit keine weiteren Finca-Räumungen beinhaltete nicht brechen, vollzogen sich die Verirrungen im Diskurs des Innenministers langsamer. Bei seiner ersten Anhörung zum Fall vor dem Kongress Anfang September schob er die komplette Verantwortung für das Vorgehen auf der Finca der Nationalen Zivilpolizei (PNC) und ausdrücklich deren Chef, Erwin Sperisen, in die Schuhe. Dabei wies Vielmann noch darauf hin, dass die FEP die Angegriffenen waren und sich nur verteidigt hätten. Keine vierzehn Tage später, diesmal von der Opposition befragt, beinhaltete die Aussage des Innenministers, dass die Räumung eine Anordnung vom Richter mit ,,unserer Billigung" war, ,,ich habe sie autorisiert". Ebenfalls zu Aussagen vorgeladen wurde der Gouverneur von Retalhuleu, Carlos Quintana, von dem man weiss, dass er am 31. August, kurz bevor die Räumung der Finca begann, davon sprach, dass es Tote geben werde. Quintana arbeitete früher als Veterinär auf der Finca und war/ist mit den Besitzern bekannt. Menschenrechtsprokurator Sergio Morales berichtete unterdessen von Aussagen einiger Fincabesetzenden, die zu Beginn der Räumungsaktion beobachteten, dass aus der ersten Reihe der BäuerInnen auf die FEP geschossen wurde. Nach einer Viertelstunde wären diese Bewaffneten jedoch in Geländewagen davongefahren. In diesem Zusammenhang kursiert seit jüngstem das Gerücht, dass sich eine Gruppe namens "Landlose Mayas", der zum Teil ehemalige Mitglieder der Guerillafraktion FAR, jedoch auch der verschwundene Finca-Administrator Héctor René Reyes, angehörten, unter die BesetzerInnen gemischt hätte und sie es gewesen sei, welche geschossen und dann sofort verschwunden sei. Obwohl diese Information aus Regierungskreisen stammt, wollte dort vorläufig niemand gegenüber der Presse Stellung nehmen. Was jedoch von der politischen Leitung der ehemaligen Widerstandsdörfer CPR-Sierra bestätigt wurde, welche auf angrenzenden Ländereien der Finca Nueva Linda angesiedelt sind, ist die Teilnahme von Mitgliedern dieser Gruppe an der Besetzung. Nach oben |
Auf dem ihnen zugeteilten Land sei der Platz zu knapp gewesen und die Leute hätten sich andere Überlebensmöglichkeiten suchen müssen, weshalb ein Teil der Familien zu den BesetzerInnen gestossen sei, hiess es, nebst Solidaritätsbekundungen mit den geräumten BäuerInnen, in einer Presseerklärung. Die JournalistInnenvereinigung Guatemalas (APG), die bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) und der Organisation Amerikanischer Staaten (OEA) um Personenschutz für die angegriffenen JournalistInnen anfragte, wirft der Regierung indes Manipulation vor. Zunächst hätte sie ein FEP-Kontingent auf die Finca geschickt in dem Wissen, damit eine widerständische Reaktion bei den BäuerInnen hervorzurufen, um anschliessend die offene Repression zu rechtfertigen und einen Präzedenzfall für den Umgang mit besetzenden BäuerInnen zu setzen. Den Vorschlag von Innenminister Vielmann, die JournalistInnen für ihre materiellen und körperlichen Verluste und Verletzungen zu entschädigen, wies die APG ab. Damit würde die Regierung einen niedrigen Preis für das Erreichen ihrer Absichten zahlen. Zwei weitere delikate Informationen erweitern die Spekulationen um das Regierungsinteresse im Zusammenhang mit der Finca Nueva Linda. Alba Estela Maldonado von der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) gab bekannt, sie wolle der Information nachgehen, dass im Rahmen des Freihandelsplans Plan Puebla Panamá (PPP) just in der Gegend von Champerico der Bau eines Trockenkanals geplant sei, mittels dem die mittelamerikanische Infrastruktur ausgebaut werden soll. Maldonado unterstrich dabei die Bedeutung der Zone als wirtschaftlich strategisch, in der Drogen- und Menschenhandel blühten. Präsident Berger hat derweil eine Kommission ,,humanitären Charakters" einberufen, die die Nueva-Linda-relevanten Berichte von Kongress, Staatsanwaltschaft, PNC und PDH analysieren soll. Dieser angehören sollen nicht nur der Präsidiale Menschenrechtskommissar Frank LaRue, Mariel Aguilar von der Kommission zur Lösung der Landkonflikte (CONTIERRA) und jemand von der BäuerInnenorganisation CONIC, sondern ausgerechnet auch Rigoberta Menchú, Botschafterin des guten Willens, die sich kurz nach dem Räumungseklat den Vorwürfen der Regierung anschloss, die BesetzerInnen gehörten dem organisierten Verbrechen an. |
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