Auf Demodruck staatliche Gesprächsbereitschaft?
Fijáte 312 vom 16. Juni 2004, Artikel 5, Seite 4
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Auf Demodruck staatliche Gesprächsbereitschaft?
Guatemala, 10. Juni. Tausende von DemonstrantInnen der verschiedensten sozialen und gewerkschaftlichen Sektoren, BäuerInnenorganisationen, Studierende, Lehrende, Frauen, liessen sich von Präsident Bergers Ankündigung nicht einschüchtern, im Zweifel mit Polizeikräften gegen die geplante Grossdemonstration vorzugehen, mittels der die Gesellschaft ihren Unmut gegenüber den gewaltsamen Räumungen der Fincas, dem Fiskalpakt und dem Freihandelsvertrag mit den USA (TLC) am 8. und 9. Juni Ausdruck zu verleihen gedachten. Mit gewissem Erfolg. Bereits der erste Demo-Tag endete im Dialog mit der Regierung und einigen Vereinbarungen. Demnach wird von der Regierung innerhalb der nächsten 90 Tage dem Kongress eine Initiative zur Untersuchung der Landursupation vorgelegt, die Staatsanwaltschaft soll eine eigene Sektion für Agrarangelegenheiten einrichten und die Justiz die Prozesse der Finca-Räumungsfälle überprüfen. In diesem Rahmen liegt es an der staatlichen Agrarkonfliktkoordinationsstelle CONTIERRA, Fall für Fall durchzugehen und Lösungen zu erarbeiten. Hinsichtlich des Steuerthemas, liess sich die Exekutive lediglich darauf ein, entgegen erster Pläne die Besteuerung des Bono 14 und des Weihnachtsgeldes nicht zu unterstützen und von der Einkommenssteuer (ISR) auszuschliessen, wer weniger als 3´000 Quetzales (ca. US-$ 375) monatlich verdiene. Dieses wie auch das Vorhaben seitens der Regierung, den Inhalt der Verhandlungsverträge des TLC in diversen Maya-Sprachen öffentlich bekannt zu machen, waren bereits vorher angedacht gewesen. Im Gegenzug liessen sich die Protestierenden darauf ein, in den nächsten drei Monaten wegen der besagten Themen nicht mehr auf die Strasse zu gehen. Somit hat sich zumindest in Teilen erfüllt, was sich die Mobilisierten erhofft hatten. Rodolfo Pocop von der Gemeinsamen Maya-BäuerInnen-Front wies im Vorhinein darauf hin, dass sie ihrerseits nicht die Schaffung von "Kommissionen auf höchster Ebene" suchten, wie es zu anderen Gelegenheiten der Fall war, sind doch entsprechende Vereinbarungen schliesslich bislang unerfüllt geblieben. So unter anderem die Verpflichtungserklärung von Präsident Berger im Rahmen des Öffentlichen Marsches vom 30. März (siehe ¡Fijáte! 305), den Räumungen gegen die BäuerInnenfamilien Einhalt zu gebieten, die seitdem im Gegenteil noch zugenommen haben. Morgens früh um sechs Uhr begannen die ersten Streikaktionen, die bis auf wenige kleine Ausnahmen den Tag über friedlich verliefen, auch wenn die Zivile Nationalpolizei (PNC) zugegen war. Während Orlando Blanco vom Kollektiv der Sozialen Organisationen (COS) die nationale Demonstration als ,,sehr erfolgreich" bezeichnete, schmälerte die Regierung die Bedeutung der Mobilisierung, die in der Hauptstadt rund 5´000 Menschen zählte. ,,Die Demonstration ist nicht sehr repräsentativ", war Bergers Kommentar am Mittag. Die ManifestantInnen sammelten sich an zahlreichen Punkten der Hauptstadt: GewerkschafterInnen fanden sich am Flughafen, Studierende der Universität San Carlos (USAC) in der Avenida Petapa, COS-Mitglieder am Finanzministerium und MarktpächterInnen am Parque Central, wo sie jeweils Autoreifen anzündeten und mit Plakaten und Slogans ihre Forderungen artikulierten. Doch auch ausserhalb der Hauptstadt wurde der Verkehr an zahlreichen Strassenkreuzungen blockiert. So versammelten sich beispielsweise rund 500 Personen von den Fincas von Colomba Costa Cuca, Departement Quetzaltenango, San Marcos, Retalhuleu und Mazatenango (Suchitepéquez) auf der Route Richtung Pazifik. ,,Wir werden uns nicht von der Stelle rühren, bis wir eine Antwort von der Regierung in der Hauptstadt bekommen. Wir erwarten Antworten, denn wir haben Hunger", so Macario Suruy, ein Zuckerrohrernter, der sich an der Blockade beteiligte. Auch im Hochland gab es an manchen Strassenknotenpunkten kein Durchkommen. Per Helikopterüberflug ergab sich der Überblick, dass auch an der Südküste, in den Departements Alta- und Bajaverapaz, im Osten und im Petén Blockaden errichtet worden waren. Nach oben |
So gab es auch an diversen Grenzübergängen nach Mexiko, El Salvador und Honduras Demonstrationen. Entsprechend dem Fortschritt der Verhandlungen mit VertreterInnen der drei Staatsgewalten lösten sich die Proteste gegen Ende des Nachmittags auf. In 90 Tagen soll es ein erneutes Zusammentreffen zur Evaluation der Regierungsversprechen geben. Doch was ist realistischerweise wirklich von den Vereinbarungen zu erwarten? Erwin Pérez dämpft in Incidencia Democrática die Illusionen zumindest, was die grundlegenden Forderungen hinsichtlich der Situation der besetzten Fincas angeht. Dabei weist Pérez auf die ,,kategorischen" Aussagen des stellvertretenden Präsidenten der Justizkammer, José Quezada Fernández hin: ,,Es ist falsch, wir werden keinerlei Räumungen suspendieren", so Quezada einen Tag später. Damit widerspricht er den BäuerInnen, die bestätigen, von Berger das Versprechen erhalten zu haben, weitere Räumungen zu vermeiden. Der Haken an diesem Versprechen: es ist anders wie die weiteren neun Vereinbarungen, nicht schriftlich fixiert und hat somit keine Wirksamkeit für die Justiz, die die Räumungen anordnet. Doch ebenso wenig in papierner Form liegt von Seiten der DemonstrantInnen die Zusage vor, in den nächsten drei Monaten von weiteren Manifestationen abzusehen. ,,Das heisst", so Pérez in seinem Artikel, ,,dass diese zwar durchaus sowohl von der Regierung als auch von den DemonstrantInnen primär eingeforderten Punkte allein in den Wind geschriebener Ausdruck des guten Willens sind. Übersetzt in die Praxis bedeutet das, dass früher oder später die Polizei in irgendeine bäuerliche Gemeinde kommt, die sich auf einer besetzten Finca niedergelassen hat, und die Räumung durchziehen wird. Es ist vorhersehbar, dass diese gewaltsam vonstatten gehen wird und die BäuerInnen wieder dazu übergehen, Strassenblockaden und Demonstrationen oder irgendeine andere Form des Protestes zu organisieren." Allein in den ersten fünf Monaten von Bergers Amtszeit wurden 39 Räumungen von Fincas registriert, 27 davon waren gekennzeichnet von unangebrachter Gewaltanwendung seitens der mit der Räumung Beauftragten, also der Nationalen Zivilpolizei, der diese unterstützenden Armee und privaten Sicherheitskräften. 1´500 Familien leben in Folge dessen derweil auf der Strasse und es fehlt ihnen an den minimalen Mitteln, um sich zu versorgen. Während der Amtszeit von Alfonso Portillo dagegen kam es gerade einmal zu fünf Fincaräumungen. Mit Bergers Antritt haben nicht nur die eingereichten Klagen wegen unerlaubter Landnutzung deutlich zugenommen. Die Räumungsanordnungen wurden zudem mit deutlich grösserer Schnelligkeit und Effizienz durchgeführt als die Haftbefehle gegen die der Korruption Angeklagten der vorherigen Regierung. Weder ist zu bestreiten, dass der Umgang mit den besetzten Fincas eine grundlegend politische Frage ist, in der die grossen Landbesitzer seit eh und je eine einflussreiche Rolle spielen. Ebenso klar ist, dass sich innerhalb von wenigen Monaten ein strukturelles Problem wie das der Landverteilung in Guatemala nicht lösen lässt, was nebenbei gesagt auch niemand erwartet hat. Doch es führt ebenso wenig weiter, dass Prä- sident Berger die gleiche Haltung annimmt, wie sein Vorgänger Portillo und die ,,dunklen Mächte" hinter der Bewegung beschwört, die verhindern wollen, dass er die Regierung in guter Manier führe. Mit den erzielten Vereinbarungen ist kein konkretes Problem gelöst. Die von den Fincas vertriebenen Familien brauchen Kleidung, Nahrung, Sicherheit und eine gewisse Stabilität in den jetzt erreichten Abmachungen ist von keinerlei Hilfe für die Notleidenden die Rede. ,,Im Endeffekt ist das von den VertreterInnen der BäuerInnen und der Regierung im Pakt geschlossenen und Gesagte reine Illusion", so Pérez weiter. ,,Die Räumungen können jederzeit weitergehen und die Zahl der Schutz suchenden Familien wird steigen." Doch trotz des mageren Inhalts der Abkommen ist der Politanalyst Pérez der Ansicht, dass die gesellschaftlichen Sektoren ihr Profil haben steigern können, indem sie Organisationsniveau und operative Allianz demonstriert hätten. Zu Recht hätten sie sich siegreich gezeigt, schliesslich hätten sie erreicht, dass die Regierung ihnen die Türen geöffnet und sich mit ihnen an den ,,Verhandlungstisch" gesetzt habe. Unterdessen habe auch die Regierung ihren Gewinnanteil eingestrichen, schreibt Pérez: ,,Sie hat erreicht, als Regierung der Offenheit und des Dialogs zu imponieren, wie eine "gute" Regierung, die der Gesellschaft zuhört und ihr dient, wie eine tolerante und die Rechte respektierende Regierung, ohne die gewohnte Unterdrückung auszuüben. Am Ende, in propagandistischen Begriffen, war es für beide Seiten ein befriedigendes Ergebnis. Nun wird sich zeigen, wer als Erste fällt. Denn sollten die BäuerInnen Protestaktionen durchführen, werden sie durch die öffentliche Meinung verachtet, da sie die ,,Vereinbarungen" nicht respektieren, auch wenn diese nicht schriftlich vorliegen. Und wenn der Staat erneut die BäuerInnen mittels der Räumungen unterdrückt, wird es Präsident Berger sein, der als Lügner und Demagoge dasteht und sein Wort bricht." |
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