2005: Das Jahr beginnt schlecht in Sachen Menschenrechte
Fijáte 327 vom 2. Feb. 2005, Artikel 1, Seite 1
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2005: Das Jahr beginnt schlecht in Sachen Menschenrechte
In ihrem Bericht über die im Jahr 2004 begangenen Menschenrechtsverletzungen schreibt die Gruppe gegenseitige Hilfe (GAM), dass entgegen aller Hoffnung, im ersten Regierungsjahr von Oscar Berger würde sich die Menschenrechtssituation verbessern, sich diese verschlechtert habe. Die GAM schreibt dies einer fehlenden Sicherheitspolitik zu. Sie berichtet von insgesamt 4505 Fällen von Menschenrechtsverletzungen, über die Hälfte davon, nämlich 2348, haben in gewaltsamen Morden geendet. Die GAM kritisiert, dass die Regierung die internationale Unterstützung bei der Bekämpfung der Gewalt abgelehnt habe, indem die Einrichtung der CICIACS torpediert wurde. amnesty international veröffentlichte am 21. Januar ein Comuniqué zur Menschenrechtslage in Guatemala, in dem die Organisation grosse Besorgnis um die Sicherheit sich exponierender MenschenrechtsaktivistInnen ausdrückt. ,,Die Anzahl der Angriffe gegen MenschenrechtsverteidigerInnen hängt möglicherweise in einem Zusammenhang mit dem mangelnden politischen Willen der Regierung, das Problem der fehlenden Justiz und der klandestinen Gruppen anzugehen", schreibt amnesty international, und weiter: ,,Wiederholt hat sich die Regierung Berger dazu verpflichtet, der Straflosigkeit ein Ende zu setzen, doch bisher sind keine konkreten Resultate ersichtlich. Die Straflosigkeit, unter der die klandestinen Gruppen operieren können und der Schaden, der damit dem Rechtsstaat angetan wird, ist eines der grössten Hinternisse, mit dem die aktuelle Regierung zu kämpfen hat". Wir berichten im Folgenden über einige aktuelle Fälle, zu manchen hat amnesty international ,,Urgent Aktions" verschickt. Florentín und Makrina Gudiel, URNG-Mitglieder Florentín Gudiel, der Bürgermeister von Cruz de la Esperanza, Escuintla, ist am 20. Dezember 2004 ermordet worden. Er war mit dem Fahrrad auf dem Heimweg aus dem nahegelegenen Ort Santa Lucía Cotzumalguapa und wurde von zwei anderen Radfahrern eingeholt, zuerst in den Rücken und dann mit dem Gnadenschuss in die Schläfe ermordet. AIDOS, die Kriegsverletztenvereinigung der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) des Westens und Südens des Landes mit Sitz in Queztaltenango erklärte in einem Comuniqué, dass es sich nicht um einen ,,gewöhnlichen" Überfall, sondern um einen geplanten politischen Mord handle, der alle Charakteristika einer aussergerichtlichen Hinrichtung aufweise: Drohungen über längere Zeit hinweg, Zielgerichtete Verfolgung, Gnadenschuss und keinerlei Spur der Täter. Florentín Gudiel starb 74-jährig. Er war aktives Mitglied der URNG, lebte bis nach den Friedensabkommen im Jahr 1996 während 18 Jahren im mexikanischen Exil und kehrte nach Guatemala zurück, wo er sich in der Gemeindepolitik engagierte. Im Jahr 2002 wurde er dafür als ,,anonymer Held" des Jahres gewählt. In seiner Gemeinde war er ausserdem zuständig für die Umsetzung des Hausbauprojekts für demobilisierte URNG-KämpferInnen, initiiert von der Stiftung Guillermo Toriello. Am Tag der Totenwache für Florentín Gudiel erschien eine Militärpatrouille unter Leitung eines Angehörigen einer Sondermilitäreinheit (Kaibil) in einem nicht gekennzeichneten Fahrzeug am Haus der Familie. Offenbar wollten die Militärs die BewohnerInnen und die BesucherInnen der Trauerfamilie einschüchtern und verängstigen. Seit der Ermordung von Florentín Gudiel hat seine Familie zahlreiche Morddrohungen erhalten, vor allem seine Tochter Makrina Gudiel Álvarez, die sich als URNG-Gemeinderatsmitglied ebenfalls politisch engagiert. Bereits in den vergangenen zwei Jahren hat sie etliche Morddrohungen erhalten, die nach der Ermordung ihres Vaters noch weiter zunahmen. So war bereits im November 2003 der Anruf eines ehemaligen "Kaibil" bei ihr eingegangen, der damit drohte, sie, ihren Sohn und ihren Vater umzubringen. Wenige Tage zuvor hatte der Mann sein Amt als Vorsitzender im Bildungsausschuss des Ortes an Florentín Gudiel abtreten müssen, der ihm Unterschlagung vorgeworfen hatte. Während des Jahres 2004 hatte Makrina Gudiel Álvarez einige Auseinandersetzungen im Gemeinderat, weil sie öffentlich auf Vorwürfe hingewiesen hatte, in denen Beamten der Gemeinde Veruntreuung zur Last gelegt worden war. Am 17. November 2004 erschienen bewaffnete und maskierte Männer bei ihr Zuhause, zogen sich aber wieder zurück, als sie feststellten, dass Makrina Gudiel Álvarez nicht dort war. Am 14. Januar wurde aus einem anderen Fahrzeug Benzin auf das fahrende Auto von Makrina und einem Kollegen gegossen, wohl mit der Idee, dieses in Flammen zu setzten. Die beiden InsassInnen merkten jedoch rechtzeitig, dass es sich um Benzin und nicht um Wasser handelte, das auf ihre Windschutzscheibe gespritzt wurde und konnten sich auf dem Parkplatz eines Restaurants in Sicherheit bringen. amnesty international äusserte grösste Sorge um die Sicherheit von Makrina Gudiel und ihrer Familie und die Menschenrechtsombudsstelle hat ihr einen sicheren Ort angeboten, wo sie sich mit ihrer Familie vorübergehend verstecken kann. Armando Sánchez, Rechtsanwalt Am 23. Dezember 2004 ging ein anonymer Anruf auf dem Mobiltelefon des Rechtsanwalts Armando Sánchez ein, in dem ihm gedroht wurde, er werde getötet, wenn er nicht innerhalb von fünf Tagen das Land verlasse. Er meldete die Morddrohungen und man gewährte ihm daraufhin Polizeischutz rund um die Uhr. Am 26. Dezember 2004 erschienen um 2 Uhr nachts drei Männer im Wohngebiet von Armando Sánchez und fragten in der Nachbarschaft nach dem Haus des Rechtsanwalts. Die Unbekannten hielten sich aber von dem Haus fern, weil zwei Polizisten vor der Tür standen. Der permanente Polizeischutz erstreckte sich über eine Woche und wurde danach auf drei Stunden pro Nacht reduziert. Am 6. Januar 2005 erschienen die Polizisten jedoch nicht, obwohl Polizeischutz zugesagt worden war. Offenkundig stehen die Morddrohungen gegen Armando Sánchez mit seiner Arbeit als Rechtsanwalt in mehreren Verfahren in Zusammenhang. Zu seinen MandantInnen gehören eine lokale Menschenrechtsorganisation, deren Mitglieder Vertretern der örtlichen Behörden vorwerfen, einem Mordverdächtigen zur Flucht verholfen zu haben, sowie eine Frau, deren Ehemann von Drogenhändlern ermordet worden sein soll, ferner LandarbeiterInnen und KleinbäuerInnen, die in Auseinandersetzungen mit Grundbesitzern stehen. Zudem geht es in den Gerichtsverfahren um rechtswidrige Entlassungen, Unterschreitung der Mindestlöhne, ausstehende Lohnzahlungen und die Vertreibung von KleinbäuerInnen von zwei Fincas in der Umgebung. Im August vergangenen Jahres erstattete Armando Sánchez Anzeige gegen die Lokalpolizei, der er vorwarf, in seiner Heimatstadt Coatepeque im Departement Quetzaltenango eine wichtige Durchgangsstrasse rechtswidrig gesperrt zu haben. Nachdem er die Anzeige erstattet hatte, warf ihm ein Staatsanwalt Nötigung und Anstiftung zu einer Straftat vor. amnesty international betrachtet die Anschuldigungen als unbegründet und sieht sie als Versuch an, den Rechtsanwalt von seiner Tätigkeit abzuhalten. Carlos Chen, ADIVIMA Seit der Besetzung des Staudamms Chixoy im vergangenen September sind gegen acht, von der Polizei als sog. Drahtzieher identifizierte Personen Haftbefehle ausgestellt. Am 20. Januar wurde einer von ihnen, der Menschenrechtsaktivist und Koordinator von ADIVIMA, der Organisation der durch den Staudammbau umgesiedelten oder massakrierten Gemeinden, Carlos Chen, in Salamá, Baja Verapaz, verhaftet. Nach oben |
Die Anschuldigungen gegen Chen lauten: Illegales Festhalten und bedrohen von zwei Angestellten des Staudamms Chixoy, Hausfriedensbruch gegen das Nationale Elektrizitätsinstitut INDE, Aktivitäten gegen öffentliche Einrichtungen sowie Gefährdung der inneren Sicherheit der Nation. Chen wurde kurz nach seiner Verhaftung wieder freigelassen, die Anklage gegen ihn wurde jedoch aufrechterhalten. Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen sind um die Sicherheit von Chen und anderen ExponentInnen der Region Rabinal besorgt. Das Menschenrechtszentrum CALDH protestierte in einer Presseerklärung dagegen, dass Arbeits-, Land- und soziale Konflikte kriminalisiert und das verfassungsmässige Recht der BürgerInnen auf zivilen Widerstand nicht gewährt würden. Weiter erinnert CALDH daran, dass sich die Regierung verpflichtet hat, die durch den Bau des Staudamms geschädigten Personen oder deren Hinterbliebenen zu entschädigen, ein Versprechen, das bis heute nicht eingelöst ist. Alvaro Ramazzini, Bischof von San Marcos Am 22. Januar wurde ein Mordanschlag auf Bischof Ramazzini aufgedeckt. Unter anderem ruft die Interdiözesane Landpastorale die internationale Gemeinschaft um Solidarität und Beobachtung des Falles auf. Als Informant gilt ein ehemaliger Angestellter des staatlichen Geheimdienstes, der sich im Schutz von Menschenrechtsorganisationen befindet, da er als Schlüsselzeuge im Mordfall an Bischof Gerardi im April 1998, gilt. Vorhanden ist ein Video, auf dem die Auftragsübergabe von einer unbekannten Frau an jenen Zeugen aufgezeichnet ist, Monsignore Álvaro Ramazzini für 50.000 US-$ umzubringen, über den sie bereits genaue Angaben seines Tagesablaufs hätte. Die Landpastorale vermutet verschiedene Motive hinter diesem Plan. Die starke Opposition des Bischofs und seiner Diözese gegenüber dem Minenbergbau allgemein, aber speziell in San Marcos, ist als solches sicher nicht zu vernachlässigen. Zumal nicht nur die Interessen des lizensierten kanadischen Unternehmens, sondern auch die Verwicklung von Regierungspersonal höchsten Ranges im Spiel sind. Die öffentliche Konfrontation und Anschuldigung Präsident Bergers hinsichtlich der Verantwortung Ramazzinis für das Geschehen in Sololá (siehe ¡Fijáte! 326), macht diesen zur ,,Angriffsflanke" gegen die Regierbarkeit des Landes von Seiten aller interessierter Sektoren. Darüber hinaus ergriff Bischof Ramazzini immer wieder Partei in Konflikten in der Agrarfrage, als jüngster ist der Fall der Finca Nueva Linda zu nennen, wo die Besitzer inzwischen in einige Verbrechen verwickelt sind. Angefangen bei der mutmasslichen Geiselnahme des Verwalters Héctor Reyes, dessen Verbleib immer noch nicht aufgeklärt ist, die wiederholte gewaltsame Räumung der Finca, bei der 7 BäuerInnen und 4 Polizisten umkamen, bis hin zur aktuellen, vorübergehenden Geiselnahme von drei Bauern der Finca. Ramazzini ist aktives Mitglied des Zusammenschlusses Plataforma Agraria (PA), von der inzwischen bekannt ist, dass es Pläne gibt, auch sie von der politischen Bühne zu räumen. Sei es mittels Abwertung, Abnutzung oder halt der Eliminierung der wichtigsten Köpfe. Gegen Juan Tuyuc, einem weiterer Führer der PA, wurde zwei Tage nach den Unruhen in Sololá bei der Staatsanwaltschaft eine Klage wegen Hinterziehung von Geldern eingereicht, im Dezember war bereits eine entsprechende Zeitungsreportage über ihn erschienen (siehe separater Artikel). Yira Argueta Lopéz, 2-jährige Tocher eines Menschenrechtsaktivisten Eine Gruppe vermummter Männer drang in der Nacht vom 20. Januar ins Haus des Menschenrechtsaktivisten Gumercindo Argueta in El Tejar, Chimaltenango, ein. Sie schlugen die Frau von Argueta und erstickten die 2-jährige Tochter Yira. Die Allianz gegen Straflosigkeit sieht in diesem Verbrechen einen weiteren Angriff auf die Menschenrechtsbewegung. Argueta ist lokaler Koordinator des Projekts REMHI zur Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses. Finca El Corazo, Suchitepéquez Die Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM) verurteilte das von den Sicherheitskräften der Finca El Corazo, Retalhuleu, und der Polizei am 24. Januar begangene Massaker an Bauern der Gemeinde Tzampoj aufs Schärfste. Während einer gerichtlichen Untersuchung auf der Finca El Corazo über das Verschwinden des Bauern Pedro Mariano Tambriz, entführt am 18. Januar von Sicherheitspersonal der Finca, zückte der Fincabesitzer Jorge Fernández seine Pistole und es kam zu einer Schiesserei. Dabei wurden fünf Personen ermordet, darunter Bauern sowie Sicherheitskräfte des Fincabesitzers. Gemäss Aussagen des Gemeindekomitees CODECA und der GAM, denen Tambriz angehörte, wurde er von den Wächtern der Finca überrascht, als er zusammen mit zwei Jugendlichen versuchte, ins Gelände der Finca zu gelangen. Die Jugendlichen konnten entwischen, nicht so der verschwundene Tambriz, weshalb Leute aus seiner Gemeinde beim Friedensrichter vorsprachen. Bei dieser Anhörung kam es zur besagten Schiesserei, wobei auch die Polizei involiert war, die ,,nur" Verletzte zu beklagen hatte. CODECA und die GAM verlangten einen Haftbefehl gegen den Fincabesitzer, weil sie befürchten, er würde das Land verlassen. Unterdessen wurde er aus gesundheitlichen Gründen in ein Krankenhaus eingeliefert, wobei vermutet wird, dass dies bloss eine Ausrede ist, um einer Verhaftung zu entgehen. Der Fall erinnert sehr an die Vorkommnisse auf der Finca Nueva Linda vom August letzten Jahres, interessanterweise sind denn auch die Fincabesitzer miteinander verwandt. Unterdessen wurde der verschwundene Pedro Mariano Tambriz gefunden: Ermordet durch einen Schuss in die Schläfe. |
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