Ríos Montt als Trauergast?
Fijáte 289 vom 16. Juli 2003, Artikel 4, Seite 4
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Ríos Montt als Trauergast?
Guatemala, 27. Juni. Eine Woche im Voraus hatte die Opferorganisation ADIVIMA die Bevölkerung von Rabinal, Baja Verapaz, eingeladen, die aus vier in der Umgebung entdeckten Massengräbern exhumierten Überreste von 70 Opfern von Massakern, die vornehmlich während des bewaffneten Konflikts 1981-82 stattfanden, aus den Händen der Stiftung für forensische Anthropologie (FAFG) am Freitag, den 13. Juni in Empfang zu nehmen und am Samstag in Würde zu beerdigen. Gemäss der Tradition der lokalen AchíBevölkerung wurden die Opfer mit einer Zeremonie geehrt, und es wurde die Nacht über eine Totenwache abgehalten. Doch für den Samstagvormittag meldete sich tags zuvor noch anderer Besuch an: Begleitet von Helikoptern, zahlreichen Autos und in Bussen aus den Nachbarorten herangekarrten ehemaligen Zivilpatrouillen (Ex-PAC) kam General Efraín Ríos Montt, Präsidentschaftskandidat der Regierungspartei FRG, um just an diesem Tag in Rabinal seine Wahlkampagne durchzuziehen. Dieser Zynismus ist nicht zu überbieten, ist doch der aktuelle Kongresspräsident Ríos Montt als damaliger Präsident (1982-83) einer der Hauptverantwortlichen für die Massaker und Verbrechen an der guatemaltekischen Bevölkerung, die u.a. die Gegend um Rabinal besonders heimsuchten. Nun schallten laut Musik und Wahlslogans aus den aufgestellten Lautsprechern durch die Strassen, und FRG-TShirts wurden verteilt, als sich der Trauerzug mit den Särgen auf den Weg zum Friedhof machte. Ihre Wut und Verletzung drückten die Familienangehörigen mit Plakaten und Transparenten aus, auf denen sie den General und seine Partei ihrer Verbrechen anklagten sowie Gerechtigkeit forderten. Mit entsprechenden Rufen unterstützten sie das Geschriebene, sich der aufgestellten Bühne nähernd. Während die Ex-PAC sich an der Seite hielten, flogen zwischen den Angehörigen der Opfer und den FRG-AktivistInnen schnell wüste Beschimpfungen hin und her. Der schliesslich erscheinende Ríos Montt wurde mit geworfenen Steinen und Stökken empfangen, floh aber direkt wieder von der Bühne und blieb unverletzt. Dagegen wurden einige anwesende JournalistInnen und FRG-Mitglieder getroffen. Nach oben |
AnhängerInnen der Regierungspartei beschuldigten anschliessend die Opposition und ausländische Organisationen der Aufwiegelei und des Komplotts gegen die FRG, doch die Ermittlungen der Zivilpolizei (PNC) konnten keine entsprechenden Anzeichen entdecken. Vielmehr fasst der in Rabinal lebende und arbeitende Fernando Suazo die Situation in erklärende Worte: ,,Obwohl sie an nichts sparten, mit einer lauten Musik- und Animations-Anlage und hunderten von Ex-PAC aufwarteten, wurde die FRG ohne Mühe von einer erregten Menge übertroffen, die spontan und ohne vorherige Strategie handelte. Die Wut der Leute muss im Rahmen des Begräbnisses verstanden werden: Was ist von ihnen zu erwarten, wenn sie just in diesem Moment Besuch von dem Hauptmörder ihrer Angehörigen bekommen? Wie würden jene reagieren, die das Handeln der Bevölkerung von Rabinal verurteilt haben? Laut der allgemeinen Überzeugung der MayaAchí-Bevölkerung waren es die Verstorbenen selbst, die sich erhoben, um ihren Mörder zu beschämen. Das Volk zweifelt nicht an der übermenschlichen Macht, die die Opfer besitzen und schreibt dieser die Niederlage der FRG trotz der ungleichen Machtverhältnisse zu. Dieses Mysterium hatte auch Einfluss u.a. auf die anwesenden Ex-PAC und liess alle erstarren. Vom Standpunkt der FRG spiegelt das Ereignis die Deformierung der Realität wider: Nicht einmal ,,ihre" Ex-PAC krümmten einen Finger, um sie aus der Situation zu retten." Ein ähnlicher Tumult spielte sich wenige Tage später in Nebaj, Quiché, ab. Das lokale Stadion, das für die Wahlkampfaktion der FRG organisiert war, wurde hermetisch abgeriegelt, und einer Gruppe von Ex-PAC, die dem General ein Forderungsschreiben in Bezug auf die von der FRG versprochenen Entschädigungszahlungen überreichen wollte, wurde der Zugang verwehrt, was schliesslich auch in Handgreiflichkeiten und Körperverletzungen gipfelte. Ríos Montt zog inzwischen seine Konsequenzen. Er will zukünftig die ,,konfliktiven" Gegenden meiden und seine Tour durch das Land nur noch per Hubschrauber durchführen. |
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