"Ich gebe dir 24 Stunden..."
Fijáte 289 vom 16. Juli 2003, Artikel 1, Seite 1
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"Ich gebe dir 24 Stunden..."
Eine Welle von Morddrohungen und Einschüchterungen gegen diejenigen, die es wagen, die Regierung zu kritisieren, diese der Korruption, der Verletzung von Menschenrechten oder gar der Verwicklung in das organisierte Verbrechen zu beschuldigen, geht in diesen Wochen durch das Land. Im Visier sind dabei besonders jene, die das, was vorgeht, an die Öffentlichkeit bringen. Doch die Situation ist offensichtlich, und Erklärungen liegen nahe. So ist in der Tageszeitung Prensa Libre zu lesen: ,,Jene, die unbedingt ihre Macht behalten wollen, finden in der Presse ein Hindernis für ihre düsteren Absichten. Dies erklärt die persönliche Verfolgung und Bedrohung von JournalistInnen, während auf institutioneller Ebene versucht wird, das Ansehen der Presse und ihrer Angehörigen zu verunglimpfen. Die Liste der verfolgten KollegInnen ist lang. Anhand der Methoden ist zu erkennen, dass sich dahinter die ,,parallelen Mächte" befinden, die unter dem Schleier der Straflosigkeit, die von den Einrichtungen des Staates gewährleistet wird, operieren. Die Drohungen zielen darauf ab einzuschüchtern, zu verängstigen und der Glaubwürdigkeit derer zu schaden, die die Korruption, das organisierte Verbrechen verwurzelt in den Staatsstrukturen , die Straflosigkeit und die verwaltungstechnische Unfähigkeit der Regierungspartei FRG anprangern. Wenn schon der Generalstaatsanwalt verbal die Opfer niedermacht, ist keine gerechte Ermittlung zu erwarten. Es ist besorgniserregend, dass die Fälle, die Ablehnung und Empörung hervorrufen, lediglich die Spitze des Eisbergs darstellen, der von der Regierungspartei genährt wird. Verletzt durch den steten Verlust an Ansehen versucht sie, diese Situation mit schwarzen Kampagnen gegen alle ihre Gegner umzudrehen und kann dabei auf einen mächtigen Apparat regierungsgesinnter Medien zählen." Inforpress fühlt diesem Aspekt noch mehr auf den Zahn: ,,Die in jeglicher Hinsicht zu verurteilende Attacke (gegen Zamora, s.u., die Red.) spiegelt ein ,,ziemlich gewöhnliches" Ereignis wider, in dem sich die bestialische Seite des Zentauren dem Tageslicht zeigt. Und dies auf Kosten der scheinbaren Legitimität eines politischen Systems, dazu fähig, die sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen des nationalen Lebens zu regulieren. Die Krise der Repräsentationsbefugnis der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) fällt zusammen mit Bewegungen und Rissen in den realen Machtsektoren des Landes. Ein Grossteil dieser Turbulenzen steht in Verbindung mit den Auseinandersetzungen darüber, wer die privilegierten Plätze des unterirdischen Lebens in Guatemala wird einnehmen können. Veränderungen in den Regeln der Macht und der Akkumulation auf internationaler Ebene, die Unsicherheit in Bezug auf die zukünftige Interpretation der Vergangenheit und Konflikte in der Oligarchie selbst nähren diese unterirdischen Flammen, die nur schwierig zu zügeln sind, besonders in einem Wahljahr." Am 24. Juni drangen zwölf Schwerbewaffnete, die sich als Angehörige der Staatsanwaltschaft ausgebend an den Wachposten des Stadtviertels vorbeimogelten, in das Wohnhaus von José Rubén Zamora und seiner Familie ein, schlugen, knebelten und bedrohten alle Anwesenden zwei Stunden lang. Mit dem Rat an Zamora, er solle auf seine Familie aufpassen und nicht mit einer Anzeige ,,die da oben" belästigen sowie mit drei entwendeten Kreditkarten und Waffen aus der häuslichen Sammlung, verschwanden sie schliesslich. Zamora ist Journalist und Präsident des Verlagsrates der Tageszeitung elPeriódico. Er selbst sieht eine mögliche Verbindung der Tat mit seiner am Tag zuvor in der Zeitung veröffentlichten Kolumne unter dem Titel: ,,Ríos Montt, einige Stichpunkte". Darin benennt Zamora den Kongresspräsidenten als den fundamentalen Bestandteil der parallelen Machtstrukturen, der in den letzten 20 Jahren das Land regiert habe und der Kopf des organisierten Verbrechens sei. Auf nationaler und internationaler Ebene wird der Übergriff auf Zamora scharf verurteilt und der Staat zu einer gründlichen Ermittlung aufgefordert. So erklärten u.a. Gonzalo Marroquín, Direktor der guatemaltekischen Tageszeitung Prensa Libre und Vertreter der Interamerikanischen Pressevereinigung (SIP), Mario Polanco von der Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM), die Sprecherin der UN-Mission MINUGUA, Seda Pumpyanskaya sowie Eduardo Bertoni, Gesandter für Meinungsfreiheit der Organisation der Amerikanischen Staaten (OEA) Zamora ihre Solidarität. "Ihn auszuziehen und gefesselt seiner Familie vorzuführen sind Aktionen mit klarem Einschüchterungscharakter. Sie wollten eine grosse Wirkung erzielen, und das haben sie geschafft," meint Menschenrechtsombudsmann Sergio Morales. Zudem erklärt er, dass die für diese Tat seiner Meinung nach verantwortlichen klandestinen Gruppen eine parallele Gesellschaft darstellten, ,,zusammengesetzt aus Personen aller Sektoren: UnternehmerInnen, Militärs, StaatsfunktionärInnen, Sicherheitsagenten und Angehörige der Justiz. Manche haben es gewagt, die Grösse der Netze zu bestimmen und reden von Zellen mit zwischen 2´000 und 20´000 Personen." In Guatemala könnten um die sechs oder sieben solcher Netzte existieren, so der Ombudsmann. Carmen Aída Ibarra von der Myrna-Mack-Stiftung ist davon überzeugt, dass Zamora das Opfer eines systematischen Musters der Gewalt gegen Menschenrechts- aktivistInnen, JournalistInnen und Justizbeschäftigte sei. Die Ausführenden der klandestinen Gruppen seien Mitglieder des Geheimdienstes und der Spezialkräfte, die die Strukturen und Missionen der Staatssicherheitsabteilungen nutzten, um ihre illegalen Aktivitäten zu realisieren. Aufgrund anhaltender Drohungen teilte Zamora schliesslich mit, dass er seine Familie ausser Landes zu schaffen gedenkt. Zudem stellte er fest, dass ,,die Leute sich nicht über die Bedeutung des aktuellen historischen Momentes klar sind, genauer, des Wahlkampfes, bei dem das Schicksal einer Diktatur auf dem Spiel steht, einer Übermacht, die 22 Jahre über der Legislative und Judikative stand. Dass diese Leute verlieren, heisst, dass wir über potentielle Auslieferungen sprechen, über Luft- und Meereskontrollen des Landes, die ihnen ihre wenig orthodoxen Geschäfte ruinieren werden. Das ist Teil der Verzweiflung, die sie hegen," verdeutlichte der Journalist. Bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) habe er die Empfehlung von Sicherheitsmassnahmen seitens des guatemaltekischen Staates beantragt. Die CIDH forderte die Regierung nun auf, innerhalb von fünf Tagen einen Bericht über die Sicherheitsmassnahmen vorzulegen, die sie dem Bedrohten gewähre. Wenn dies nicht geschähe, käme der Schutzbefehl direkt von der CIDH. Unterdessen besuchte Präsident Portillo Zamora persönlich und stimmte mit diesem über die mögliche Beteiligung von parallelen Gruppen überein, die in Verbindung mit dem Militär stehen. Der Staatsmann versicherte eine intensive Untersuchung und bot dem Journalisten an, über den us-amerikanischen Botschafter Ermittlungsunterstützung des FBI zu beantragen. Nach oben |
Generalstaatsanwalt Carlos David de León schmälerte dagegen jegliche Bedeutung des Überfalls in unverschämter Weise und beschränkte sich darauf zu behaupten, dass es sich bei der Tat wahrscheinlich um eine von Zamora selbst inszenierte Show handelte. Der Journalist sei ein Lügner, währenddessen der Generalstaatsanwalt ein seriöser Mann sei, der keine Zeit für Seifenblasen und Dummköpfe habe. Der Präsident bräuchte sich um Zamora keine Sorge zu machen. Während der Abgeordnete der Regierungspartei im Parlament von Zentralamerika (PARLACEN) Mario Rottmann zum einen der Meinung ist, dass sich Zamora in einer angeschlagenen wirtschaftlichen Karriere befinde sowie eine ausgewiesen parteiische Tendenz verfolge und zum anderen behauptet, dass derzeit keinE einzigeR JournalistIn im Land bedroht oder geschlagen werde, sieht die Realität doch etwas anders aus. Allein innerhalb von 72 Stunden seien sechs Klagen von JournalistInnen eingegangen, berichtet Sergio Morales vom Menschenrechtsprokurat (PDH). Bereits seit Mitte Juni summieren sich die Anzeigen wegen Morddrohungen und Einschüchterungsaktionen, unter denen die JournalistInnen im ganzen Land leiden. Dabei wird kein Pressemedium verschont, und es vergeht kaum ein Tag, an dem die Kommission für Pressefreiheit der JournalistInnenvereinigung von Guatemala (APG) nicht einen Fall von Rechtsverletzung gegen eins ihrer Mitglieder öffentlich verurteilt. So bekommt Pablo Rax Chub, Direktor des Nachrichtensenders La Noticia, der über Radio Cobán im Alta Verapaz ausgestrahlt wird, bereits seit Mai vornehmlich via Telefon diverse Drohungen. Unter anderem berichtete er in seinem Programm über den illegalen Nutzen von Gemeindeverwaltungsgeldern durch FRG-AktivistInnen für den Wahlkampf. Rax Chub schliesst nicht aus, dass die Ermordung seines 18-jährigen Cousins wenige Tage zuvor im Zusammenhang mit den Einschüchterungen ihm gegenüber in Verbindung steht. Dem Direktor des Radio Tamazulapa in Jutiapa wurde unterdessen ebenfalls per Telefon und wiederholt mitgeteilt, dass, sollte er weiter über angebliche Anomalien bei der Kandidatenwahl für den Bürgermeisterposten und die Differenzen zwischen den in der politischen Alianz GANA sich beteiligenden Parteien Patriota und Movimiento Reformador berichten, "sie" kämen und ihn mit Kugeln durchsieben würden. Denn der bereits gekürte Kandidat Basilio Cordero werde Bürgermeister, koste es, was es wolle. Mit solchen und ähnlichen Situationen sehen sich auch der Programmleiter eines Radios in Sololá und zahlreiche MitarbeiterInnen der schriftlichen Presse konfrontiert. Zehn Tage nach dem Überfall auf Zamora wurde in das Haus des ebenfalls bei elPeriódico arbeitenden Journalisten Luis Eduardo de León eingebrochen. Die Eindringlinge entwendeten neben Disketten von de León mit Informationsmaterial über einen in Korruption verwickelten Abgeordneten auch den Computer, Dateien und Papiere der Ehefrau von de León, der US-Amerikanerin Shannon Lockarth, die von 1998 bis 2001 im Erzbischöflichen Menschenrechtsbü- ro (ODHA) beschäftigt war und u.a. an der Übersetzung des Berichtes zur Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses (REMHI) mitgearbeitet hatte. In diesem sind die Verletzungen der Menschenrechte aufgelistet, die während des bewaffneten Konflikts v.a. vom Militär verübt wurden. Nachdem Luis Barillas, Korrespondent der Prensa Libre, der zudem für Nuestro Diario und ein Kommunalradio arbeitet, bereits telefonische Drohungen erhielt, wurde wenige Tage später eine selbst gemachte Bombe in sein Haus in Rabinal, Baja Verapaz, geworfen. Barilla hatte von den Vorkommnissen während Ríos Montts Wahlkampagne in Rabinal berichtet (siehe separater Artikel). Der Journalist hat sich aus Sicherheitsgründen zeitweilig in die Hauptstadt zurückgezogen. ,,Ich gebe dir 24 Stunden, dass du bei Cerigua kündigst, denn du hast mir schon alle Geduld geraubt wegen all der Veröffentlichungen, die es hier gibt. Wenn du meine Forderung nicht erfüllst, werden du und deine Familie die Konsequenzen spüren," war das, was die Korrespondentin des Nachrichtenzentrums Cerigua in Salamá, Baja Verapaz, Carmen Judith Morán Cruz, drei Mal hintereinander nachts am Telefon zu hören bekam. Ausserdem teilte ihr der Anrufer mit, dass sie noch einmal entkommen sei, da sie am vorherigen Samstag nicht zur Universität gegangen sei. Wenige Tage später wurde die Drohung konkreter: Da sie nicht auf ihn gehört habe, habe sie nun ,,verschissen", und jetzt würde das Spiel beginnen, da sie es so wollte. ,,Ich kontrolliere alle deine Bewegungen, es ist leicht, dich zu töten, aber ich werde es nicht tun. Sondern es werden dein Vater, deine Mutter oder jemand anderes deiner Familie sein." Zahlreiche Pressevereinigungen und Menschenrechtsorganisationen verurteilen die durch Terror versuchte Zensur gegen die JournalistInnen. Sie fordern den Schutz der Betroffenen sowie die zügige Aufklärung der einzelnen Fälle. Die sich häufenden Vorfälle der Bedrohung gegen jene, die sich trauen, den Mund aufzumachen, sind auch Anlass für nationale staatliche Organisationen, diplomatische Kreise und internationale Menschenrechtsinstitutionen sowie für Aussenminister Edgar Gutiérrez, die internationalen Verantwortlichen wie MINUGUA bzw. die UNO dazu zu drängen, die Kommission zur Untersuchung illegaler paramilitärischer Verbände und klandestiner Strukturen (CICIACS) endlich zusammenzustellen. |
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