Die Stille ist oft stärker als jedes Wort
Fijáte 290 vom 30. Juli 2003, Artikel 1, Seite 1
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Die Stille ist oft stärker als jedes Wort
Mit einer ungewöhnlichen Pilgerreise erinnerten Padre Rigoberto Pérez und Mitglieder seiner Kirchengemeinde Ende Februar an den Brandanschlag auf das Pfarrhaus in Nebaj (siehe ¡Fijáte! 280 und 258). Anfang Juni war Padre Rigoberto in der Schweiz und wir hatten Gelegenheit, mit ihm über diese und andere Formen von Protest zu sprechen. Frage: Vor einigen Wochen haben Sie und Angehörige ihrer Kirchengemeinde eine Pilgerreise von Nebaj nach Antigua Guatemala gemacht. Weshalb diese Reise? Rigoberto Pérez: Anlass für diesen Marsch für Frieden und Versöhnung war der erste Jahrestag (21. Februar 2002) des Brandes des Pfarrhauses von Santa Maria Nebaj. Wir begannen diesen Gedenkanlass mit einer Messe morgens um halb vier Uhr. Die Kirche war voll. Zu neunt sind wir dann losmarschiert, Leute aus verschiedenen Gemeinden von Nebaj, alles Ixiles. Wir brauchten sechs Tage, um die ca. 250 Kilometer von Nebaj nach Antigua Guatemala zurückzulegen. Ziel der Reise war, denjenigen zu verzeihen, die das Pfarrhaus in Nebaj angezündet hatten. Gleichzeitig wollten wir uns für die nationale und internationale Solidarität bedanken, die wir bekommen haben. Wir alle auch ich persönlich haben uns entschieden, zu verzeihen, ohne gleichzeitig unserem Gerechtigkeitssinn abzuschwören. Wir fordern nach wie vor eine Aufklärung des Verbrechens und haben eine entsprechende Anzeige bei der guatemaltekischen Justiz eingereicht. Obwohl ich nicht daran glaube, dass die materiell und intellektuell Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, dafür herrscht zuviel Straflosigkeit in Guatemala! Unser Marsch war ein kleines und stilles Ereignis inmitten politischer Wirren: Es war die Zeit der landesweiten LehrerInnenstreiks. Das war einerseits schön, denn alle sozialen Bewegungen waren auf der Strasse, war aber gleichzeitig auch gefährlich, weil die politische Stimmung sehr polarisiert war. Frage: Wie wurden Sie von der Bevölkerung in den Dörfern, wo Sie durchgekommen sind, empfangen? R.P.: Wir sind schweigend durch die Dörfer marschiert und haben ein Transparent mitgetragen, auf dem stand, wer wir sind und was wir machen. Es gab Orte, wo uns die Leute kein Essen verkaufen wollten, weil sie Angst hatten, und weil ihre Erinnerung an die Zeit der Repression noch zu frisch ist. In Chichicastenango wollte mich ein Mann angreifen, doch die Gruppe hat mich geschützt. Scheinbar war dieser Mann ein Mitglied der Zivilpatrouillen und hat mich mit einem Anführer des LehrerInnenprotestes verwechselt. Obwohl mich das erstaunt, denn wir hatten unser Kommen über ein lokales Kabelfernsehen und über Radio angekündigt, und die Leute waren informiert. Frage: Was haben Sie mit dem Marsch erreicht? R.P.: In erster Linie haben wir uns selber bestätigt, dass das, was wir machen, richtig ist. Der Brand des Pfarrhauses war mehr als eine Drohung, es war ein Attentat mit dem Ziel, mich zu töten. Natürlich war die Bevölkerung sehr eingeschüchtert. Vor allem diejenigen, die die 80er Jahre erlebt hatten, fühlten sich an die Praktiken der "verbrannten Erde" zurückerinnert. Wir wollten unser Versprechen bestätigen, für einen wirklichen und würdevollen Frieden einzustehen. Gegenüber der Bevölkerung wollten wir zeigen, dass wir mit unserer Arbeit weiter machen und sie auf ihrer Suche nach Gerechtigkeit begleiten. Frage: Das bezieht sich auf die lokale Ebene, was aber haben Sie auf nationaler oder internationaler Ebene erreicht? R.P.: Auf lokaler Ebene war es eine schöne und wichtige Erfahrung. Auf nationaler Ebene ist unsere Aktion wegen der LehrerInnenstreiks etwas untergegangen. Trotzdem machte der Marsch für uns Sinn, denn ich glaube, gerade in so hektischen Zeiten braucht es stille Formen des Protestes. Die Stille ist oft stärker als jedes Wort. Frage: Welche anderen gewaltfreien Ausdrucksformen kennt und nutzt die guatemaltekische Bevölkerung, um ihren Protest auszudrücken? R.P.: Im Moment sind gewaltfreie Demonstrationen fast die einzige Ausdrucksform der zivilen Bewegungen. Niemand will in die gewalttätige Vergangenheit zurück, und alle geben sich extrem Mühe, diesen kleinen Spielraum, den uns die Friedensabkommen geöffnet haben, zu bewahren. Auch das Wissen und trotzdem Schweigen, das bewusste Vermeiden von Konfrontation ist eine Form gewaltfreien Protestes. Sicher bleibt viel Schmerz im Verborgenen, doch die Leute sind sich bewusst, wo die Macht sitzt und sind sehr vorsichtig und bedächtig im Provozieren dieser Macht. Frage: Unterschiedliche Formen des gewaltfreien und gewalttätigen Protests haben in letzter Zeit die Ex-PAC angewendet und damit die "Macht" provoziert ohne dass diese übrigens mit Gewalt reagiert hätte! Wie muss man sich heute das Zusammenleben in den Gemeinden vorstellen, in denen sowohl Täter wie Opfer und Hinterbliebene von Opfern wohnen? R.P.: Die PAC folgen einer komplizierten, paramilitärischen Struktur. Mit den PAC wurde die Zivilbevölkerung in den schmutzigen Krieg involviert. Es wäre aber falsch zu sagen, die PAC seien die Täter, denn sie bildeten den Schluss einer Hierarchie, an deren Spitze der Staat und das Militär standen. Die wirklich Verantwortlichen müssen also auf dieser Stufe gesucht werden, obwohl es auch unter den PAC Leute gab, die ihren Dienst freiwillig leisteten und ihre Macht genossen und missbrauchten. Für mich ist das Wiedererstarken der PAC ein politischer Schachzug der FRG, die ihre Macht demonstrieren will. Wie stark sich unterdessen eine Eigendynamik entwickelt hat, ist mir nicht ganz klar. Auf alle Fälle ist diese Verquickung der Grund dafür, dass die Regierung nicht mit Gewalt auf die Proteste der PAC reagiert hat. Das Zusammenleben der ehemaligen und aktuellen PAC mit dem Rest der Bevölkerung ist künstlich. Alle wissen, wer wer ist, und wer welche Geschichte hat. Es ist ein erzwungenes Zusammenleben, zu dem es keine Alternative gibt. Wo sollen die Leute auch hingehen? Dieses Zusammenleben ist nur möglich, weil die Opfer verzeihen konnten, was eindrücklich und aussergewöhnlich ist. Frage: Wie geht die Kirche mit dem Thema Versöhnung um? R.P: Die Versöhnung ist seit 1996 das Hauptthema in unserer pastoralen Arbeit. Das Projekt REMHI hat geholfen, eine alternative Vision des Friedens und der Versöhnung umzusetzen. Nach oben |
Monseñor Gerardi und alle, die wir beim REMHI mitgearbeitet haben, haben gesehen, dass die Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses und Suche nach Wahrheit unabdingbar sind, um einen wirklichen Frieden zu erreichen. Wir dachten, dass die Verantwortlichen erschüttert sein würden, wenn sie sich bewusst werden, was sie angerichtet haben. Leider war dies nicht so, sie wurden noch härter. Genau daran scheitert der Friede in Guatemala! Versöhnung darf nicht dazu dienen, die Leute zum Schweigen zu bringen und die begangenen Verbrechen zu verschweigen. Deshalb beschreiten wir den Weg der Wahrheit. Wahrheit bedeutet: Nichts Verschweigen, nicht "Schwamm drüber" und Neuanfang, nicht Vergessen. Es ist nicht dieser ironische Friede, die ironische Versöhnung, von denen die Vereinigten Staaten sprechen, nach allem, was sie im Irak angerichtet haben. Eine Versöhnung, die auf der Wahrheit basiert, erlaubt das Verzeihen, die Konversion, aber auch die Verfolgung der Gerechtigkeit als Fundament des Friedens. Versöhnung ist die einzige Form für ein weiteres Zusammenleben in den Gemeinden, doch leider hat sie noch nicht überall stattgefunden. Vielleicht ist die Versöhnung im Kleinen, auf Gemeindeebene einfacher, weil die Leute wissen oder nachvollziehen können, was geschehen ist. Vielleicht hilft es ihnen auch, die wirkliche Verantwortung an andere, höhere und entferntere Ebenen delegieren zu können. Frage: Wie wird in den Gemeinden, in denen Sie arbeiten, das nationale politische Panorama wahrgenommen, wie reagiert man darauf? R.P.: Die Leute sind frustriert und deprimiert über die politische Situation. Die Zeit des relativen Friedens war viel zu kurz. Für mich begann der Friede im Dezember 1996 mit der Unterzeichnung der Abkommen und war im April 1998 mit der Ermordung von Bischof Gerardi zu Ende. Es gibt keine Worte, um zu beschreiben, was die guatemaltekische Gesellschaft gegenüber der aktuellen Regierung fühlt, die bei ihrer Machtübernahme öffentlich verkündete, die Friedensabkommen als Staatsabkommen anzuerkennen. Präsident Portillo übernahm in seinem Diskurs sämtliche Empfehlungen des REMHI und der CEH. Wir glaubten, eine neue Morgenröte würde in Guatemala beginnen, und es war frustrierend zu merken, dass dies nicht so ist. Die Auswüchse der Korruption sind unglaublich. Man hätte sich früher fragen sollen, wovon die Leute, die früher vom Krieg, von den Erpressungen und Entführungen profitiert haben, später leben werden... Frage: Welche Protestformen würden Sie der guatemaltekischen Bevölkerung empfehlen, um sich gegen die aktuelle Korruption und Militarisierung auszusprechen? R.P.: Es ist schwierig zu sagen, ob die Probleme in Guatemala durch Protestaktionen gelöst werden können. Ich glaube, man muss neue, kreative Formen des Handelns finden, um die notwendige Aufmerksamkeit zu bekommen. Es gibt verschiedene Formen des Engagements, und ich bewundere den titanischen Kampf der sozialen und Menschenrechtssektoren, die alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen. Die Verbindungen und Verknüpfungen der sozialen Organisationen müssen verstärkt und ausgedehnt werden, und alles, was seit der Unterzeichnung der Friedensabkommen gewachsen ist, muss sich potenzieren. Guatemala durchläuft eine düstere Phase. Die Wahlen stehen an, und es sieht nicht wirklich nach Veränderung aus. Im Moment geht es darum, diese düstere Zeit durchzustehen und darauf zu warten, dass irgendwo das Licht durchbricht. Derweil ist es wichtig, begonnene Engagements weiterzuführen, aufmerksam zu sein, sich nicht einschüchtern lassen. Beispiele wie das von Helen Mack machen Mut. Man muss sich weiterhin dem Frieden verpflichten. Frage: Wie wird die Bevölkerung im Quiché im November wählen? R.P.: Keine Ahnung! Das ist abhängig davon, was in den nächsten Monaten noch alles geschieht. Ich glaube, die Leute sind gescheit genug, sich nicht durch Geschenke und leere Versprechen manipulieren zu lassen. Das einzige Problem ist, dass es keine wirkliche Alternative gibt, für die zu wählen sich lohnt. So werden sie sich für das kleinste Übel un- ter der zur Auswahl stehenden Parteien entscheiden. Frage: Von wegen "gescheit genug" bei den letzten Wahlen konnte man feststellen, dass die vom Krieg am schlimmsten getroffenen Gemeinden die FRG von Ríos Montt gewählt haben! R.P.: Ja, aber seither hat sich einiges verändert. Das Erstarken der PAC zeigt, wo diese Stimmen angesiedelt waren, und dass es nicht die Opfer waren, die die FRG gewählt haben. Der General hat seine alten Beziehungen ausgespielt, um Stimmen auf dem Land zu gewinnen. Zu dieser Zeit haben ihm die Leute den alten Spruch "Ich lüge nicht, ich stehle nicht" noch abgenommen, aber heute glaubt ihm das niemand mehr. Frage: Seitens der Bevölkerung gibt es aber keinen grossen Protest gegen seine Kandidatur als Präsident. Widerstand dagegen spielt sich nur auf der legalen Ebene ab. R.P.: Stimmt, es gibt keinen grossen Protest. Das hat aber nicht damit zu tun, dass die Leute nicht gegen seine Kandidatur wären, sondern damit, dass niemand in der Lage ist, einen solchen Protest zu mobilisieren. Es gibt keine Persönlichkeit, die einen solchen Protest ins Leben ruft und die Leute hinter sich bringen könnte. Das ist das grosse Problem in Guatemala. Und die wenigen Leute, die das gekonnt hätten, haben ihre sämtlichen Ideale verloren und sind von der Regierung vereinnahmt worden. Besten Dank für das Gespräch! |
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