Systematische Ermordung von Maya-Priestern
Fijáte 286 vom 4. Juni 2003, Artikel 3, Seite 3
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Systematische Ermordung von Maya-Priestern
Guatemala, 21. Mai. In den vergangenen acht Monaten wurden verschiedene Maya-Priester und spirituelle Führer ermordet. Einige von ihnen waren an der Exhumierung von Massengräbern beteiligt und begleiteten die Hinterbliebenen in ihrer Trauer um die Opfer. Alle waren Schlüsselfiguren in ihren Gemeinden und haben sich öffentlich für die Rechte und Identität der indigenen Bevölkerung stark gemacht. In den zwischen September 2002 und Mai 2003 bekannt gewordenen Fällen handelte es sich nicht um Raubmord. Trotzdem versuchen Polizei und Ex-Militärs die Morde dem ,,gemeinen Verbrechen" zuzuschreiben. Da eine ernsthafte Untersuchung der Morde zur Aufdeckung von klandestinen Netzwerken führen könnte, die mit Repression die soziale Kontrolle aufrechterhalten, bleiben die Verbrechen ungeklärt und unbestraft. Am Nachmittag des 3. Mai, während einer Maya-Zeremonie in einem Dorf bei Rabinal, Baja Verapaz, wurde der Maya-Priester Gerardo Camó mitten im Gebet aus nächster Nähe durch sieben Schüsse getötet. Der fliehende Täter wurde von den Anwesenden als ein aus dem selben Dorf wie Camó stammenden Polizisten erkannt, bekannt dafür, dass er des Nachts mit offensichtlich gestohlenen Waffen in der Gegend herumschiesst. Der ermordete Priester arbeitete eng mit der Vereinigung für eine integrale Entwicklung der Gewaltopfer Maya Achí (ADIVIMA) zusammen. Am 3. April wurde der Maya-Priester und Mitlied der Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM), Diego Xon Salazar, in einer Gemeinde in Chichicastenango von schwerbewaffneten Männern aus dem Garten seines Hauses entführt. Später am selben Tag hörten seine Kinder Schüsse in der Umgebung und gingen davon aus, dass ihr Vater ermordet wurde. Am nächsten Tag begannen sie die Suche nach ihrem Vater und baten die lokale Polizei um Unterstützung. Diese brach die Suche jedoch schnell ab und behauptete, sie bräuchte dazu eine richterliche Verfügung. Als die Familie beim lokalen Friedensrichter um diese Verfügung bat, schickte man sie in die Distrikthauptstadt, wo das zuständige Gericht erst am Montag wieder geöffnet hatte. Bereits am Samstag wurde Xon's Leiche auf einem Feld ausserhalb des Dorfes gefunden. Xon unterstützte 17 lokale Menschenrechtsorganisationen, die zusammen mit der GAM Exhumierungen durchführen. Er war Mitglied der Akademie der Mayasprachen (ALMG) und sprach sich im März 2002 öffentlich gegen die Reorganisierung der Zivilpatrouillen aus. Seither bekam er immer wieder Morddrohungen von Mitgliedern der Ex-PAC und von Mitgliedern evangelikaler Sekten, die ihn aufforderten, seine religiösen Aktivitäten einzustellen. Nach oben |
Am 16. Dezember 2002 wurden der 72-jährige Maya-Priester Marcos Sical Perez und seine 71-jährige Frau Marcela im Hof ihres Hauses in Pichec, Rabinal, angegriffen. Sical wurde mit 12 Schüssen ins Gesicht getötet, seine Frau mit fünf Schüssen ins Bein schwer verletzt. Auch Sical arbeitete für ADIVIMA und engagierte sich speziell im Fall des Massakers von Río Negro. Marcela und die Tochter der beiden, die den Überfall beobachtete, erkannten die Täter. Einer von ihnen arbeitet im Nachbardorf für ein privates Sicherheitsunternehmen und durchlief in früheren Jahren die Schule der militärischen Spezialtruppe Kaibiles. Eine Anzeige gegen die beiden Täter konnte erst Ende Januar erstattet werden: die Bezirksanwaltschaft war wegen der Weihnachtsferien geschlossen. Die Männer wurden kurz darauf verhaftet. Eine formale Anklage gab es nie, am 13. März waren sie wieder auf freiem Fuss. Am 9. Oktober 2002 wurde der Maya-Priester, Rechtsanwalt und Mitbegründer der Akademie der Maya-Sprachen, Antonio Pop Caal, entführt und wenige Tage darauf tot aufgefunden (siehe ¡Fijáte! 275). Obwohl die Entführer kein Interesse an Verhandlungen und an einem Lösegeld zeigten, wird das Verbrechen von den Behörden als ,,gemeine Kriminalität" behandelt. Die Familie von Pop Caal und guatemaltekische Menschenrechtsorganisationen sind davon überzeugt, dass es sich um einen politisch motivierten Mord handelt. Am 6. September 2002 wurde in Joyabaj, Quiché, der spirituelle Führer Manuel Garcia de la Cruz brutal gefoltert und ermordet. De la Cruz hatte sich als Mitglied der Witwenorganisation CONAVIGUA für die Exhumierungen in den Gemeinden Joyabaj und Sacapulas eingesetzt und die Hinterbliebenen spirituell begleitet. In seinem Fall wurde niemand verhaftet, die Untersuchungen seitens der Polizei verlaufen schleppend bis gar nicht. Auch wenn all diese Morde sowie die anderen, hier nicht genannten Fälle von Drohung und Einschüchterung von Maya-Priestern offiziell als Einzelfälle und als ,,gewöhnliche Verbrechen" abgehandelt werden, muss man sie in einem breiteren, historischen Kontext analysieren. Gerade in der Zeit der wieder aufkommenden Ex-PAC, der zunehmenden sozialen Kontrolle und Repression während und wegen der anstehenden Wahlen, darf die politische Dimension dieser Morde nicht übersehen werden. In den vorwiegend von Indígenas bewohnten Departements Quiché, Chimaltenango und den Verapaces, die während des Krieges extrem unter den verbrecherischen Praktiken des Militärs gelitten haben, spielen spirituelle MayaFührer eine wichtige Rolle im Wiederaufbau- und Versöhnungsprozess. Sie zu ermorden bedeutet auch heute noch bewusst zu versuchen, den Widerstand der indigenen Bevölkerung zu brechen. |
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