Alle Jahre wieder: Die UNO-Menschenrechtssession
Fijáte 333 vom 27. April 2005, Artikel 1, Seite 1
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Alle Jahre wieder: Die UNO-Menschenrechtssession
Anfang April hat in Genf die 61. Sitzung der UNO-Menschenrechtskommission stattgefunden. Am 13. April war, wie jedes Jahr, auch die Menschenrechtssituation in Guatemala ein Thema. Staatliche wie nichtstaatliche VertreterInnen haben ihre Sicht der Dinge und ihre Forderungen an den guatemaltekischen Staat und die Internationale Gemeinschaft dargelegt. Leider können wir an dieser Stelle nicht über konkrete Massnahmen berichten, die aufgrund der UNO-Menschenrechtssession getroffen worden wären, möchten aber doch einige Themen aufgreifen, die damit im Zusammenhang stehen. Einleitend die Worte des Menschenrechtsprokurators Sergio Morales vor der UNO-Kommission. Herr Präsident: Ich gratuliere Ihnen zu der hervorragenden und engagierten Arbeit, die Sie an der Spitze dieser ehrenhaften Kommission leisten. Ebenso möchte ich eine öffentliche Ehrung aussprechen für die Arbeit von Frau Louise Arbour, der Hochkommissarin für Menschenrechte. Als Menschenrechtsprokurator habe ich die Hoffnung, dass mein Land dank dem Einsatz seiner Bevölkerung und mit Hilfe der Internationalen Gemeinschaft in naher Zukunft eine spürbare Verbesserung der Menschenrechtssituation erreichen wird. Vor acht Jahren, nach langen politischen Verhandlungen zwischen der Regierung und den aufständischen Bewegungen, wurde das Abkommen über einen festen und dauerhaften Frieden unterzeichnet. Dieses Ereignis weckte in der Bevölkerung grosse Erwartungen, weil in diesem sowie in vorgängig unterzeichneten Teilabkommen eine Agenda festgelegt wurde, um die Diskriminierung, den Ausschluss und die Gewalt zu bekämpfen, die unter anderem Ursache für den 36 Jahre dauernden bewaffneten Kampf waren. Leider haben die rechtsstaatlichen und demokratischen Entwicklungen nicht die erhofften Ausmasse angenommen. Weder konnten die Lebensbedingungen der Bevölkerung nennenswert verbessert werden, noch konnte die Intoleranz der öffentlichen Machthaber gegenüber Andersdenkenden und gegenüber den sozialen Forderungen abgebaut werden. Dazu folgende Daten: 56% der guatemaltekischen Bevölkerung leben in Armut, eine Situation, die sich in ländlichen Gebieten auf 82% verschärft. Die indigene Bevölkerung ist davon zu 72% betroffen. Die Möglichkeiten, diesen Teufelskreis der Armut zu durchbrechen, sind heute gleich Null. Bezüglich des Landbesitzes besteht weiterhin eine ungerechte Verteilung. Dieses Missverhältnis in der Landverteilung hat allgemein ungerechte Auswirkungen auf den Landwirtschaftssektor. Die Schwäche des Staates in Sachen Steuerpolitik, welche die Friedensabkommen mit einem Fiskalpakt, der nie zur Anwendung kam, zu überwinden suchten, verunmöglicht das angestrebte Ziel von Steuereinnahmen von 12% des Bruttoinlandprodukts. Im Gegenteil, die letzte Steuerreform lässt befürchten, dass in Zukunft die Steuereinnahmen gar unter die während der letzten acht Jahre gehaltenen 10% ausfallen. Mit der zusätzlichen Verschärfung, dass ja der Staat für die Garantie der öffentlichen Dienste wie die Bildung, die Gesundheitsversorgung und die öffentlichen Sicherheit zuständig ist. Gegenüber den zunehmenden und immer verzweifelter geäusserten sozialen Forderungen aufgrund der hier beschriebenen Situation, kommt ein Staat, der keine Antwort auf die nationale Problematik weiss, schnell in die Versuchung, zu repressiven Mitteln zu greifen und den sozialen Protest zu kriminalisieren, wie das im Moment in Guatemala wieder der Fall ist. Ich betone dies wegen der Auswirkungen, die eine solche Politik auf die Demokratie und die Menschenrechte hat. Ich muss aber an dieser Stelle auch sagen, dass mir die Regierung zugesichert hat, dass die in letzter Zeit im Rahmen von Fincaräumungen und Demonstrationen von Sicherheitskräften begangenen Menschenrechtsverletzungen untersucht werden sollen. Das Gewaltniveau, die Diskriminierung, der Ausschluss und die Straflosigkeit, zusammen mit der Präsenz des organisierten und transnationalen Verbrechens, sind weitere Aspekte, welche die Anstrengungen zur Schaffung einer Demokratie torpedieren. Die Anzahl gewaltsamer Todesfälle ist im Vergleich zur EinwohnerInnenzahl eine der höchsten der Region. Während des Jahres 2004 wurden 4´507 Personen ermordet, 497 davon waren Frauen. In 81% der Fälle waren Schusswaffen im Spiel. Von den überhaupt angezeigten Fällen werden die wenigsten strafrechtlich verfolgt. Um dieser Situation zu begegnen, habe ich in meiner Funktion als Menschenrechtsprokurator zusammen mit Menschenrechtsorganisationen im Jahr 2002 die Schaffung einer Untersuchungskommission für illegale Körperschaften und klandestine Strukturen (CICIACS), vorgeschlagen. Zusammengesetzt aus internationalen UNOFunktionärInnen und guatemaltekischen Fachleuten hätte eine solche Kommission die nationalen Sicherheitskräfte und Gerichte bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens und der Straflosigkeit unterstützen sollen. Leider wurde diese Initiative nicht umgesetzt. Hier und heute wiederhole ich die Notwendigkeit einer solchen Kommission mit internationalem Charakter, weil ich glaube, dass der von der Regierung erarbeitete Alternativvorschlag nicht wirksam ist, da er die traditionellen Schwächen unseres Systems nicht überwindet, das ernsthafte jegliche Untersuchungsbestrebungen sowie eine effiziente Strafverfolgung neutralisiert bzw. verunmöglicht. Einmal mehr und angesichts der landesweiten Forderung nach öffentlicher Sicherheit, reagiert der Staat wie in vergangenen Zeiten mit Repression anstatt mit einem demokratischen Sicherheitskonzept, wie es das Zentralamerikanische Abkommen für demokratische Sicherheit und das Friedensabkommen über die Stärkung der zivilen Kräfte und die Funktion der Armee in einer demokratischen Gesellschaft vorsehen. Der Einsatz von Militärkräften für Aufgaben der öffentlichen Sicherheit widerspricht den Abmachungen der Friedensabkommen. In diesem Zusammenhang ist auch die zunehmende Anzahl von Leichen ein alarmierendes Signal, die mit dem Gnadenschuss (in die Schläfe) und Folterspuren aufgefunden werden und als Anzeichen der Wiederkehr der ominösen Praxis der sozialen Säuberung zu deuten sind. Fast scheint es, dass der Staat die Professionalisierung und die Stärkung der zivilen Sicherheitskräfte nicht als dringend notwendig erachtet, ebenso wenig die Technologisierung der Strafuntersuchungen. Dazu kommt, dass seit neuestem zivile Polizeikräfte in den Militärkasernen untergebracht werden. Herr Präsident, ich muss Ihnen auch sagen, dass VerteidigerInnen der Menschenrechte, MitarbeiterInnen des Justizwesens, soziale Medienschaffende sowie soziale und religiöse VertreterInnen weiterhin Zielscheibe von Attentaten, Einschüchterungen und Drohungen sind, ohne dass die Behörden weitergehende Untersuchungen einleiten würden. Dies hat uns in mehreren Fällen gezwungen, Schutzmassnahmen bei interamerikanischen Gerichtsinstanzen zu erbeten, um den Bedrohten eine minimale Sicherheit zu garantieren. Bei strikter Einhaltung meiner Funktion und institutionellen Möglichkeiten, habe ich die Einrichtung eines Büros des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte unterstützt. Eine Forderung, die ich aufrecht erhalte und von der ich hoffe, dass sie bald Realität wird. Nach oben |
Ich bin nach Genf gekommen um in die Wichtigkeit eines solchen Büros zu insistieren, weshalb ich mir erlaubt habe, einen kurzen Überblick über die Menschenrechtssituation in meinem Land zu geben und die Herausforderungen zu unterstreichen, denen sich ein unabhängiges Menschenrechtsbüro des Hochkommissariats zu stellen hätte. Die Zusammenarbeit mit internationalen Organismen war für unser Land sehr zuträglich, wie es die Arbeit der UNO-Mission MINUGUA manifestiert hat, deren Mandat leider kürzlich zu Ende ging. Herr Präsident, geehrte Mitglieder der Kommission, mit meiner Anwesenheit bei dieser 61. Sitzung der UNO-Menschenrechtskommission möchte ich Ihnen versichern, dass eine Allianz und Zusammenarbeit des Menschenrechtsprokurats mit dem Büro des UNO-Menschenrechtskommissariats von grossem Gewinn für die GuatemaltekInnen und ihre Rechte wären. Vielen Dank. Die Forderungen der Menschenrechtsorganisationen Die nach Genf gereisten VertreterInnen der guatemaltekischen Menschrechtsorganisationen wiesen ebenso wie der Ombudsman Sergio Morales auf die sich verschlechternde Menschenrechtslage im Land hin sowie auf die mangelnde polizeiliche und juristische Verfolgung der Verantwortlichen von Menschenrechtsverletzungen. Die Mirna Mack-Stiftung zum Beispiel bezeichnet in ihrem der UNO vorgelegten Bericht das Jahr 2005 als entscheidend für den Justizsektor, speziell für die Staatsanwaltschaft und das Verfassungsgericht. In beiden wird nächstes Jahr die Führungsspitze neu besetzt. Von der Staatsanwaltschaft werden dieses Jahr konkrete Ergebnisse in den Prozessen gegen Mitglieder der ehemaligen Regierung erwartet. Ebenso wird die seit langem angestrebte institutionelle Stärkung der Staatsanwaltschaft gefordert, die eine effiziente und unparteiische Strafverfolgung garantiert, unabhängig davon, wer als Generalstaatsanwalt die Institution leitet. Die Mirna Mack-Stiftung weist darauf hin, dass unbedingt vermieden werden müsse, dass die Wahl der höchsten juristischen Autoritäten politisiert wird und dass diese Wahl transparent verlaufen müsse. Sowohl die Vertreterin der MackStiftung wie auch andere Organisationen unterstützen die Forderung von Morales nach der Einsetzung des Büros des UNO-Hochkommissariats sowie die Schaffung der CICIACS. Eine weitere Forderung ist die Entsendung eines oder einer UNO-Sonderbeauftragten für verschwundene Personen. Obwohl in Guatemala während des Krieges Tausende von Personen verschwunden sind und man von vielen bis heute keine Spur über ihren Verbleib hat, besuchte die UNO-Arbeitsgruppe zum Thema ,,Verschwundene" das Land noch nie. Die Menschenrechtsorganisationen wünschen sich, dass eine solche Kommission die Politik des Verschwindenlassen untersuche, da Guatemala ein Exempel dieser Praxis sei, und die entsprechende Empfehlung an die Regierung richte, wie Nery Rodenas vom Erzbi- schöflichen Menschenrechtsbüro (ODHAG) erklärte. Rosalina Tuyuc, die ebenfalls nach Genf reiste, äusserte den Wunsch nach einem Besuch der Sonderbeauftragten für Indigene Völker, modernen Rassismus und Menschenrechte, würden in Guatemala doch nach wie vor die Rechte der indigenen Bevölkerung verletzt. Die Position der Regierung Im Wissen darum, dass die Forderung nach der Einsetzung der CICIACS ein Thema in Genf sein wird, hat die guatemaltekische Regierung kurz zuvor ein Dekret erlassen, mit dem sie eine Sonderstaatsanwaltschaft für die Untersuchung von illegalen Körperschaften und klandestinen Strukturen ernennt. Somit grub sie im voraus den Forderungen der Menschenrechtsorganisationen das Wasser ab und umgeht eine internationale Beteiligung, wie es die ursprüngliche CICIACS vorsieht. Stutzig macht auch die Aufgabenbeschreibung der neuen Staatsanwaltschaft. Sie soll nämlich die Staatsanwaltschaft für Menschenrechtsvergehen integrieren und die in letzter Zeit zunehmenden Fälle von Drohungen gegen MenschenrechtsaktivistInnen, GewerkschafterInnen, JournalistInnen etc. untersuchen sowie die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also die "historischen Fälle", wie zum Beispiel die gegen die Generäle Efraín Ríos Montt und Lucas García. Geschickt aus dem Fokus gerückt wird somit wieder einmal der aktuelle Kontext, der das Bestehen der illegalen Körperschaften (CIACS) überhaupt möglich macht. Die Unklarheit in der Aufgabenbeschreibung sowie die fehlenden Angaben über die Finanzierungsquelle einer solchen Sonderstaatsanwaltschaft, werden denn auch von der Koalition für eine CICIACS, der verschiedene Menschenrechtsorganisationen anghören, kritisiert. Ebenso die Anbindung an die Staatsanwaltschaft, die ja für ihre parteiischen Urteile bekannt ist, wird beanstandet. Ein weiterer Schachzug der Regierung im Vorfeld der Session in Genf war die erneute Aufnahme der Diskussion um die Abschaffung der Todesstrafe und die Eingabe einer entsprechenden Gesetzesänderung im Kongress. Ein sehr kontroverses Thema in der aktuellen Gewaltsituation, die im Land herrscht. Entsprechend verwundert es auch nicht, dass die guatemaltekischen Medien viel ausführlicher über diesen Vorschlag bericheteten als über die Schaffung einer CICIACS-Sonderstaatsanwaltschaft, von der zu befürchten ist, dass das Vorhaben, jetzt wo die UNO-Session vorbei ist, bald in den Schubladen der zuständigen Instanzen verschwindet. |
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