Die Wahrheit ist nichts Absolutes (Teil 2)
Fijáte 343 vom 14. Sept. 2005, Artikel 1, Seite 1
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Die Wahrheit ist nichts Absolutes (Teil 2)
Mit der Herausgabe des Berichts Nunca más und der seelsorgenden Begleitung von Angehörigen bei der Institution. Wie verhält sich die katholische Kirche dazu? Wenn ich als Hinterbliebene zu meinem Gemeindepfarrer gehen und ihn um Rat fragen würde, weil ich einen Justizprozess anstreben möchte, würde er mich dabei unterstützen oder würde er mir raten, die Sache auf sich beruhen zu lassen? J.H.: Die Kirche würde Sie an eine Organisation verweisen, die zum Thema Strafjustiz arbeitet. Dazu braucht es spezialisiertes Wissen plus die drei Elemente, die ich vorhin genannt habe: Geld, einen Anwalt und den politischen Willen. Einen Prozess zu führen ist nichts einfaches, es reicht nicht, mit ein paar Beweismitteln und ZeugInnen zu kommen. Und dann beginnt der ganze politische Verschleiss, dem man sich aussetzen muss. Die katholische Kirche begleitet diese Prozesse, die Exhumierungen sind ein erster Schritt dabei. Danach arbeitet sie eng mit den Organisationen zusammen, die juristische Begleitung und Beratung anbieten. Die Kirche puscht solche Prozesse nicht, sie ist bloss Bindeglied zwischen den Gemeinden und diesen Organisationen. Sie war z. B. sehr engagiert im Fall von Candido Noriega oder ,,den Witwen von Tululché", wie ich es lieber nenne, weil ich mich nicht mit Noriega sondern mit den Witwen identifiziere. Dies ist der einzige Fall, wo die Kirche in einem Justizfall eine aktive Rolle eingenommen hat. In allen anderen Fällen hat sie Pastoralarbeit geleistet, hat die Leute auf unterschiedliche Weise begleitet. Frage: Zurück zur religiösen Praxis. Die meisten Gemeinden, die vom Krieg betroffen waren und in denen jetzt Exhumierungen stattfinden, sind MayaGemeinden mit ihren eigenen Traditionen, Riten und Zeremonien. Wie geht die katholische Kirche damit um? J.H.: Die katholische Kirche hat stark am Thema Inkulturalisierung gearbeitet. Wenn wir von Inkulturalisierung sprechen, gehen wir von den Ausdrucksformen und Erfahrungen jedes Volkes aus. Dies war eine grosse Herausforderung für die Kirche und man kann sich fragen, ob sie diesen Prozess wirklich zugelassen hat. Es geht ja um mehr als um die Übersetzung des Kirchgesangbuches in eine Mayasprache. Es geht um mehr, als dem Pfarrer eine Stola aus típico-Stoff umzulegen oder Tongefässe für´s Abendmahl zu gebrauchen. Für mich geht es im Inkulturalisierungsprozess darum zu schauen, was die Realtität von indigenen Leuten innerhalb der katholischen Kirche ist, wo das Potential dieser Kombination liegt. Es geht darum, UNSERE Kirche, eine Kirche mit indigenem Gesicht zu konstruieren. Das heisst, es braucht Leute innerhalb der katholischen Kirche, die unsere Beziehungsformen, unsere Sichtweisen einbringen, diese als selbstverständlich leben und eine Veränderung anstreben. Tatsache ist aber, dass es die Kirche ist, die definiert, nach welchem Muster die Messe abzulaufen hat. Es dürfen Elemente integriert werden, Teile in MayaSprache gesprochen werden. Aber dies ist keine wirkliche Veränderung, es ist nichts anderes, als der herkömmlichen Messe einen Maya-Touch zu geben, ohne jedoch den christlichen Grundtenor zu verändern. Es bedeutet nicht, die Messe auf unsere Weise (um-) zu gestalten. Solche Forderungen lösten bei vielen Leuten innerhalb der Kirche eine Krise aus. Es bedeutete aber auch eine Krise für viele Leute der Basis, die begannen, das IHRE von dem Christlichen zu trennen. Ich habe an vielen Messen teilgenommen, wo eine Maya-Zeremonie vor oder nach der Messe abgehalten wurde. Oder wo ich als Pfarrer eingeladen wurde, an ihren Riten teilzunehmen, jedoch nicht, um bei ihren Riten die Messe zu lesen. Es geht dabei nicht darum, in Streit oder Kompetenz zu treten, sondern sie verstanden es einfach als zwei verschiedene Dinge, die sich nicht widersprechen. Während des Krieges wurden sämtliche Formen von Spiritualität der Indígenabevölkerung unterdrückt. Die Menschen nicht auf ihrem Land arbeiten zu lassen war eine Verletzung ihrer Spiritualität, sie um Mitternacht nicht ihre Rituale feiern zu lassen, weil ein Ausgehverbot verhängt wurde, war eine Verletzung des Rechts auf ihre Spiritualität. Die Imposition der fundamentalistischen Sekten verletzt die Spiritualität der Mayas. Es wurde ihre Art zu leben, ihre Art die Dinge zu sehen, über die Dinge nachzudenken, zerstört. Die Leute waren gezwungen, ihre Spiritualität, ihren Glauben zu verstecken, weil sie sonst als Kommunisten oder als Guerilleros verfolgt wurden und viele wechselten zum Evangelikalismus, weil sie glaubten, so vor Verfolgung geschützt zu sein. Frage: Hat sich denn heute, zum Beispiel bei den Begräbnissen nach Exhumierungen, diese Art der Inkulturalisierung verändert oder wird immer noch einfach nur ein bisschen Maya-Spiritualität in die christlichen Riten aufgenommen? J.H.: Ich glaube, nach all dem, was vorgefallen ist, wird heute die Partizipa- Nach oben |
tion mehr und besser respektiert. Bei Bestattungen, die wir begleiten, können die Angehörigen wählen, ob sie ihre Rituale feiern, eine Messe oder einen evangelikalen Kult zelebrieren wollen. Wir sind dem gegenüber offen. Es gibt Platz für die verschiedenen religiösen Ausdrucks- und Glaubensformen. Ich glaube, man muss ,,den Altar zum Volk bringen". Beispielsweise die Messe im Feld feiern, wenn sie das wünschen oder auf dem Berg. Wir müssen den grossen Tempel verlassen und zu den für sie heiligen Orten gehen. Zweifellos gibt es viele fundamentalistische Einstellungen hinsichtlich der Frage, wer die Wahrheit ,,besitzt" und dass es ausserhalb dieser einen Wahrheit keine Erlösung gibt. Aber im Falle der Begräbnisse wird diese Vielfalt auf alle Fälle respektiert. Frage: Und in der Messe? J.H.: Dies findet nicht in einer x-beliebigen Sonntagsmesse statt, sondern bei einem speziellen Anlass: Bei einer Heirat, der Taufe eines Kindes, der Aussaat, bei einer Krankheit, um um Regen zu bitten, oder eben bei einer Bestattung. In Momenten, wo die Leute ihre spirituellen Führer, sei es der Mayapriester oder der Pfarrer, oder eben beide, suchen. Frage: Ist die tegrales. Politisch gesehen ist es sehr wichtig, dass die Vergangenheit bearbeitet wird, denn wir können nicht erlauben, dass sich die offizielle Version der Geschichte durchsetzt. Wer sich die ganzen Testimonios angehört hat, kann sich dem nicht einfach verschliessen. Ich bin einverstanden damit, dass wir heute viele Probleme haben, die wir angehen müssen. Aber wenn wir keine Fundamente haben, wenn wir die Geschichte nicht verstanden haben in welche Richtung stossen wir diese Gesellschaft? Wie ist es möglich, dass diejenigen, die sich heute dem Volk als politische Optionen anbieten, diejenigen sind, die für die Verbrechen der Vergangenheit verantwortlich sind? Wir können nicht einfach so tun, als wenn nichts gewesen wäre und das Volk weiterhin an der Nase herumführen (lassen). Dazu kommt unser schwaches Justizsystem. Die gespalten. Es gibt unterschiedliche Interessen, es gibt eine starke Individualisierung. Ich glaube schon, dass die katholische Kirche Glaubwürdigkeit besitzt, aber sie hat im Moment keinen Schwung. Vereinzelte Vertreter der katholischen Kirche wie Monseñor Ramizzini haben eine grosse politische Wirkung, ihre Meinungen werden gehört und sie zählen. Genau solche Referenzpunkte brauchen wir. Leider ist es so, dass die katholische Kirche Glaubwürdigkeit besitzt, mehr fast als die sozialen Bewegungen oder die Menschenrechtsorganisationen. SIE sollten dieses Gewicht haben und Vorschläge machen, die von der ganzen Gesellschaft unterstützt werden. Innerhalb der katholische Kirche gibt es Strömungen, die Leute wie Ramazzini schwächen und zum Schweigen bringen wollen, wie das mit Monseñor Cabrera im Departement |
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