Die Indigene Bewegung und das Projekt der Amerikanischen Deklaration zu den Rechten der Indigenen Völker
Fijáte 345 vom 12. Okt. 2005, Artikel 1, Seite 1
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Die Indigene Bewegung und das Projekt der Amerikanischen Deklaration zu den Rechten der Indigenen Völker
Anfang Oktober wird Guatemala Austragungsort einiger internationaler Treffen sein, darunter des Kongresses der Lateinamerikanischen Koordinationsstelle der BäuerInnenorganisationen CLOC, des Treffens der Bewegung der Schreie der Ausgeschlossenen sowie der Sitzung der Projektarbeitsgruppe der Amerikanischen Deklaration zu den Rechten der Indigenen Völker der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS). Auf diese Weise wird Guatemala als Bühne dienen für die Forderungen der Indígenas und BäuerInnen der lateinamerikanischen Region. Das Ausnutzen dieses Raumes durch die guatemaltekischen BäuerInnen und Indígenas könnte ein verstärkter Zusammenhalt hinsichtlich eines Nationalen Projekts erlauben, der bislang deutlich fehlt. Jede der Veranstaltungen wird ihre eigene Dynamik haben. Der Kongress der CLOC wird neben der Evaluierung ihres Kampfes gegen den Neoliberalismus neue Formen des Kampfes und der Forderungen erarbeiten. Der Schrei der Ausgeschlossenen hat ähnliches vor, wobei das Augenmerk auf den Grossteil der Ausgeschlossenen von den Begünstigungen der Nationalstaaten gelegt werden wird. Das Treffen der OAS-Arbeitsgruppe, der der Maya Juan León Alvarado vorsitzt, hat unterdessen seinen eigenen politischen Anstrich und ist eingerahmt von der Forderung der amerikanischen indigenen Organisationen an die Staaten, dass die Billigung der Deklaration zu den Rechten der Indigenen Völker nicht länger aufgeschoben werde. Über letzteres Treffen schreibt der Angehörige des Maya-Volkes Poquomchi, Kajkoj Ba Tiul, guatemaltekischer Philosoph, Theologe und Anthropologe in incidencia democrática 824 und 825 folgendes. Kurze Geschichte Im Jahr 1989 beantragte die Generalversammlung der Organisation der Amerikanischen Staaten OAS bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission die Erarbeitung eines juristischen Instruments, das für den Schutz der Rechte der indigenen Bevölkerungen des Kontinents bestimmt sein sollte (Roldan Ortega; 2004:175). Die Kommission beauftragte das Interamerikanische Menschenrechtsinstitut IIDH mit der Ausarbeitung eines ersten Vorschlags, der anschliessend mit den indigenen Völkern diskutiert werden sollte. Das fertig gestellte Projekt wurde 1997 endgültig von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission gebilligt. Dieser Prozess findet seinen Ursprung in der Forderung der indigenen Völker, in ihren speziellen Rechten anerkannt zu werden. Ausgegangen wird von der Tatsache, dass die internationale Norm in Sachen Menschenrechte Individualcharakter trägt und trotz des Bestehens der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ihre Grenzen in Bezug auf die Autonomie und die Selbstbestimmung der indigenen Völker aufweist, ist doch das ihr innewohnende Konzept des ,,Volkes" sehr funktionalistisch (vgl. Konvention 169 (ILO), Art. 1.3) da es die historischen, politischen und sozialen Implikationen - wie Sprache, Traditionen, Organisation etc. unterschlägt, die der Konstituierung eines Volkes innewohnen. Der von den indigenen Völkern ausgeübte Kampf öffnete ab 1971 diese Diskussion, als innerhalb der OAS anerkannt wurde, dass die indigenen Völker ein Recht darauf haben, in ihrer Besonderheit respektiert zu werden. Ein gravierender Mangel zeigte sich in dem Projektvorschlag des Menschenrechtsinstituts jedoch darin, dass die Deklaration nicht die Völker, sondern die Bevölkerungen anerkannte, was eine ausführliche Erörterung erforderte. Die Ernennung eines Sonderbeauftragten für die Indigenen Völker im Jahr 1990 ermöglichte einen grossen Fortschritt in der Debatte um das Konzept und die eingereichten Vorschläge der indigenen Organisationen, so dass die Kommission und später der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof sich zu Verletzungen ihrer Rechte als Indígenas äusserten, wie das Recht auf Biodiversität und Verbrechen wie Diskriminierung und Völkermord. Trotz aller Bemühungen der Organisationen wurde das Projekt anfangs zum Grossteil von einer Arbeitsgruppe diskutiert, die von Nicht-Indigenen geleitet wurde. Das hatte zur Folge, dass die indigenen Organisationen begannen, Stellung zu beziehen, denn ihre Vorschläge wurden nicht berücksichtigt. (vgl. Deklaration W'oo' Kame, Guatemala 2001). Erst in den letzten Jahren wird die Arbeitsgruppe von Indígenas geleitet und obwohl VertreterInnen der Staaten und BeobachterInnen von Seiten der Internationalen Zusammenarbeit teilnehmen, sind es die indigenen RepräsentantInnen, die versuchen, die Deklaration gemäss indigenen Prinzipien voranzutreiben. Was ist eine Deklaration? Der Vertreter des guatemaltekischen Staates, der Angehörige des Maya-Volkes k'iche, Juan León Alvarado, hat es in einem Interview der Nachrichtenagentur ALAI während einer OAS-Sitzung 2004 in Quito, Ecuador, wie folgt ausgedrückt: ,,Eine Deklaration ist nur ein Rahmen von Prinzipien, soll heissen, sie ist ein Dokument, das gute Elemente für die Staaten in ihrer Beziehung zur Gesellschaft und den BürgerInnen enthält." Demgemäss kann eine Deklaration also lediglich den langen noch zu gehenden Weg weisen, damit die Staaten sich verpflichten, die Rechte der indigenen Völker als Völker, als Nationen oder als Gemeinden anzuerkennen. Wäre dies bereits der Fall, würden die Staaten also ihren durch die diversen Konventionsunterzeichnungen eingegangenen Verpflichtungen nachkommen, hätten eigentlich die ständigen Treffen von VertreterInnen der Indígenas, der Staaten, der Internationalen Kooperation und anderer in Bezug auf die Diskussion über die Amerikanische Deklaration der Rechte der indigenen Völker seit mehr als 20 Jahren kein weiteres Ablenkungsmanöver darstellen müssen und auch keinen Raum, in dem sich ,,indigene Caudillo-Projekte" bildeten und ebenso wenig hätte der Aufbau eines indigenen politischen Projekts auf Grundlage eines neuen Mandats vernachlässigt werden müssen. Indigene Bewegung und internationale Instrumente in Sachen Indigene Rechte Die internationalen Instrumente, die als Referenzpunkte in Betracht gezogen werden können, um speziell die Rechte der indigenen Völker zu behandeln, tauchten im Verlauf der Zeit im Zusammenhang zweier gut definierter politischer Projekte auf: dem so genannten Indigenismus und dem neoliberalen Multikulturalismus. Sowohl der Indigenismus als auch der Multikulturalismus beruhen auf Auslegungen der kulturalistischen und der funktionalistischen Anthropologie, diese verstanden als die grundlegende Wissenschaft der Kolonisation; eine Wissenschaft, deren Erkenntnisse trotz einiger Anstrengungen, die Lehre zu dekolonisieren, zum Grossteil schon immer von den Machtgruppen genutzt wurden, um die wirtschaftlichen, politischen, sozialen und religiösen Zügel unserer Länder in der Hand zu halten. Sie hat gleichzeitig bewusst oder unbewusst wichtige Elemente beigetragen, damit die Imperien, wie die Vereinigten Staaten, ihre Besatzungspolitiken in den unpassenderweise unterentwickelt genannten Staaten vorantreiben. Auf diese Weise förderte der Indigenismus seine Politik der Assimilierung, der Integration der Indígenas in den Nationalstaat, der in jener Epoche aufgebaut wurde, ähnlich wie der liberale Multikulturalismus den ,,Neo-Assimilismus" fördert, also die Übernahme von indigenen Projekten und die Überredung von Führerpersönlichkeiten, am Staat teilzunehmen mit der Idee, dass ,,nur wenn man drin ist, man etwas für die indigenen Völker tun kann". Im Rahmen des indgenistischen Projekts wurde 1957 in den Vereinten Nationen die Internationale Konvention gegen alle Formen der rassistischen Diskriminierung CERD und in der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) die Konvention 107 über indigene Bevölkerungen und Stämme verabschiedet. Auch wenn beide die Nicht-Diskriminierung und die Anerkennung der Existenz anderer Kulturen in jenen Staaten, die Mitglieder des UN-Systems sind, verfolgen, sind sie doch deutlich auf Integration ausgerichtet. Diesbezüglich müssten diverse Internationale Normen im Zusammenhang mit den Indigenen Völkern neu analysiert werden. Mit dem Beginn der Diskussion um die Anerkennungs- und Aufnahmepolitik, die bei internationalen Treffen und Veranstaltungen, wie dem Kongress von Barbados I bestätigt wurde, auf dem unzählige ausländische AnthropologInnen und MissionarInnen erneut im Namen der indigenen Völker sprachen (Hale; 2004), und dem Entwicklungsprozess der Befreiungsphilosophie in den ,,Ländern der 3. Welt", die ebenfalls von nicht-indigenen Intellektuellen verfolgt wurde (Estermann; 2003), entstand eine Strömung in der indigenen Bewegung, die von einigen ,,Indianismus" genannt wurde und von Land zu Land Gemeinsamkeiten wie Differenzen in ihren Charakteristika aufzeigte. Der Indianismus wurde begleitet von einigen indigenen Widerstandsbewegungen in Lateinamerika, die sich in den einzelnen Ländern ebenso ähnelten wie unterschieden, jedoch ein einziges Ziel verfolgten, nämlich von den Staaten den Entwurf von Anerkennungsund Aufnahmepolitiken der indigenen Völker zu fordern. Diese Kämpfe hatten Einfluss auf das, was bereits anfing sich ,,Multikulturalismus" zu nennen, und das vom neoliberalen Politikprojekt übernommen wurde. Auch wenn es stimmt, dass unter diesen Vorzeichen die Konvention 169 über Indigene Völker und Stämme in unabhängigen Staaten gebilligt, die Diskussion um das Projekt einer Universaldeklaration über die Rechte der Indigenen Völker und das Projekt einer Amerikanischen Deklaration über die Rechte der Indigenen Völker begonnen, die erste (1994-2004) und zweite (2005-2015) Dekade der Indigenen Völker ausgerufen, das Ständige Forum für indigene Angelegenheiten geschaffen und bereits vorher im Rahmen der Vereinten Nationen unter anderem die Arbeitsgruppe zu Indigenen Völkern eingerichtet wurde, was alles durchaus als Fortschritt bezeichnet werden kann, sind doch alle Ansätze bislang geprägt von einem sehr kulturalistischen Fokus der Rechte der Indigenen Völker. Derweil macht das politische Projekt, das wir seit einiger Zeit ,,neoliberalen Multikulturalismus" genannt haben, Nach oben |
weiter damit, sich diese Initiativen als seine eigenen einzuverleiben und Palliativmassnahmen zu schaffen, um in den einzelnen Länder die jeweilige Situation der Indígenas zu entschärfen. Dabei ist er nicht nur sehr auf die Anerkennung fokussiert, sondern auch auf die Verteilung der Ressourcen und die Neustrukturierung der Nationalstaaten, die weiterhin die Diskriminierung, den Ausschluss und die Assimilierung der Indígenas zu Gunsten eines Projekts einer monoethnischen Nation fördern. Die indigenen Bewegungen aller lateinamerikanischer Länder, haben ihren Beitrag zur Veränderung, die die indigene Gemeinden fordern, geleistet. Doch die Fortschritte sind gering, auf der einen Seite aufgrund des fehlenden politischen Willens der Regierungen und auf der anderen Seite aufgrund des Fehlens einer Führung, die derzeit die indigenen dirigentes innehaben. Dies just in dem Moment, in dem sich die Fallen der internationalen Kooperation stellen, vor allem die der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID), die trotz so genanntem indigenen Fokus allein ein Ziel verfolgen: Die Aufmerksamkeit der indigenen Bewegung zu zerstreuen, indem in langen Arbeits- und Evaluationssitzungen der ganze Prozess diskutiert wird. Währenddessen wird das Vorhaben der Ressourcennutzung wie dem Gas in Bolivien, dem Erdöl im Ecuadorianischen Amazonastiefland und den Minen in Guatemala die Kokaplantagenvernichtung in Kolumbien und die lateinamerikanische Militarisierung von Seiten der Vereinigten Staaten, alles unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Drogenhandel und den Terrorismus, verstärkt vorangetrieben. Zu Beginn der internationalen Diskussion der indigenen Rechte vernachlässigte die Indigene Bewegung, die in fast allen lateinamerikanischen Ländern gestärkt aus den 70er Jahren hervorgekommen war, die Diskussion nationaler Projekte und widmete sich vollständig der Teilnahme an der wie wir sie bezeichnen würden ,,Internationalisierung der indigenen Rechte". Dies brachte gravierende Nachteile mit sich, um nur einen zu nennen: die ,,OeNeGesierung" der Bewegung (,,ONG" als die spanischen Initialen von NRO Nicht-Regierungsorganisation, die Red.). Viele "alte" Führungspersonen der indigenen Bewegung in einigen Ländern beklagen damit, dass derzeit die so genannte indigene Bewegung zwar behauptet, die einzelnen indigenen ,,Völker"zu repräsentieren, im Endeffekt bestehe der Zusammenschluss jedoch nur aus einzelnen indigenen Organisationen und NRO. Natürlich sieht das in jedem Land wieder anders aus, doch, würden wir einen Vergleich anstellen, fänden wir gemeinsame Elemente. Im Übrigen ist es nicht schlecht, dass die indigene Bewegung aus indigenen NRO zusammengesetzt ist. Was beunruhigt, ist die Kluft, die zwischen dem städtischen und dem ländlichen besteht, mit Worten einiger Organisationen: es besteht nur eine lose Beziehung zwischen der Leitung und ihrer Basis. Beweis dessen sind die Teilnahmen auf internationalen Veranstaltungen, wo stets dieselben líderes defilieren. Welchen Nutzen hätte eine Deklaration über die Rechte der indigenen Völker? Es gibt viele Vorteile. Darunter jener, zu erreichen, dass die Nationalstaaten akzeptieren, dass die indigenen Völker das Recht auf Selbstbestimmung und Autonomie, sowie das Recht auf ihr Territorium haben, was ihnen erlaubt, sich als ,,Volk" oder als ,,Nation" zu konstitutieren. Diese Rechte würden den indigenen Völkern ermöglichen, selbst über den Abbau ihrer Ressourcen zu verhandeln und auf diese Weise einen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fortschritt zu schaffen und ferner ein Bildungssystem gemäss ihren Bedürfnissen aufzubauen. Eine Deklaration, auch wenn sie allein aus "guten Elementen" bestünde und Einfluss auf eine Konvention haben könnte, die für die Staaten obligatorisch würde, könnte ebenso einen Raum dafür öffnen, dass die indigenen Völker die soziale Entwicklung vorantreiben, Bezug nehmend auf die Vielfalt als ein politisches Projekt der Veränderung in den aktuellen Staaten. Doch dies wird solange unmöglich sein, wie die indigenen Bewegungen nicht interne Arbeit leisten und intellektuelle, politische wie thematische Fachleute ausbilden, an denen es so mangelt. Gleichzeitig sollten sie über eine Transformation oder Umstrukturierung des "Mandats" der Bewegung selbst in jedem der Länder nachdenken, mit dem Ziel. das richtige Mittel zur Komplimentierung des nationalen mit dem internationalen Kampf zu suchen. Deswegen sollte die Diskussion um eine Deklaration oder irgend ein anderes Internationales Instrument in Sachen indigene Rechte nicht darauf abzielen, eine internationale indigene Bewegung aufzubauen, denn dies ist unmöglich, sowohl aus politischer als aus akademisch-theoretischer Sicht. Denn auch wenn der Zweck einer indigenen Bewegung in Übereinstimmung mit den Forderungen der anderen Bewegungen in Lateinamerika oder der Welt sein sollte, hat dies nur Sinn, wenn die nationalen Forderungen objektiv und real sind, um die Aneignung oder die Neo-Assimilation von Strategien und Projekten zu vermeiden, die das aktuelle neoliberale multikulturelle Projekte anstrebt. Auf diese Weise wird man bei dem Treffen der Arbeitsgruppe zur Amerikanischen Deklaration viel von dem erreicht haben, was so viele erhoffen, nämlich die Rückkehr zum Ursprung der indigenen Bewegung. Dazu müssten die TeilnehmerInnen mit der Absicht hingehen, die nationalen Forderungen der Anerkennung und Umverteilung wieder aufzunehmen. Zusammengefasst darf ein Treffen über die Fortschritte in der Diskussion um die Deklaration sich nicht darin verfangen, Schuldige zu suchen, denn sowohl die indigene Bewegung als auch die Staaten und die internationale Gemeinschaft tragen die Verantwortung für die Fort- und Rückschritte. Das Treffen sollte dafür genutzt werden, Einfluss auf die Neustrukturierung der indigenen Bewegung zu üben, um die Kontakte zu den Basisgemeinden wieder aufzunehmen, die letzten Endes jene sind, die die Folgen des Neoliberalismus am deutlichsten spüren. |
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