¡Híjole...!
Fijáte 355 vom 15. März 2006, Artikel 9, Seite 6
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¡Híjole...!
- etwa mit dem Überraschungsausruf "Donnerwetter!" übersetzbar, ist erster Vorschlag für den Titel einer Neueinführung im ¡Fijáte!: Eine voraussichtlich jede zweite Ausgabe erscheinende Kolumne. Für diese zeichnet sich Fernando Suazo verantwortlich, der 1984 als katholischer Priester aus Spanien nach Guatemala kam, jedoch dieses Amt bald niederlegte und mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Rabinal lebt. Seit seiner Ankunft hat er dort die indigenen Gemeinden, die Opfer des Krieges wurden, begleitet, sich ihrer Kultur angenähert und ihre Sprache, das Achí, gelernt. Fernando Suazo arbeitet im Team für Gemeindestudien und psychosozialer Aktion (ECAP) und ist Dozent im Masterstudiengang "Sozialpsychologie und Politische Gewalt" der Universität San Carlos. Wenn es die Elefanten doch können...? Fernando SuazoIm Sonntagsmagazin "D", Beilage der Tageszeitung Prensa Libre vom 5. März 2006, gibt es eine merkwürdige Notiz, die von der Nachrichtenagentur EFE stammt. Anscheinend haben britische WissenschaftlerInnen herausgefunden, dass diese Dickhäuter die Fähigkeit besitzen, über Generationen hinweg ihre Gefühle von Groll und Rache gegen die Spezies Mensch zu vererben, da sie an der Posttraumatischen Störung litten, als Ergebnis der menschlichen Aggressionen vergangener Jahrzehnte. Sie haben mich enttäuscht, die Elefanten. Ich dachte, dass sie Dank der Dichte ihrer Lederhaut ein Beispiel dafür darstellten, wie wir Menschen mit den Traumata umgehen sollten, die durch die Gewalt anderer Menschen verursacht wurden: träge für die Wut, fügsam, effizient und vergesslich. Tatsächlich ist dies der soziale Archetypus, den die Massenmedien verbreiten und damit auf Strategien antworten, die von der Macht aus entworfen wurden: "Lasst uns nicht auf Konfrontationskurs gehen, lasst uns Guatemala lieben ("Guateámala", elftägige Regierungskampagne Ende Januar, bei der mittels kultureller Aktivitäten "positive Werte" in der Gesellschaft geweckt werden sollten, die Red.), lasst uns die Vergangenheit vergessen, lasst uns ohne Zorn in die Zukunft schauen. Und, währenddessen, warten wir darauf, dass der Kelch des Reichtums aus den wenigen Händen, die ihn besitzen, überschwappt bis in jene schändlichen Ecken, die nicht immer verheimlicht werden können: Guatemala ist eines der Länder der Welt mit den grössten Ungleichheiten in der Verteilung des Reichtums… Das Land ist in den Händen weniger konzentriert, sind doch 2% der Bevölkerung Besitzende von 70% der landwirtschaftlichen Ländereien… Das sind die Worte von Herrn Jean Ziegler, Beauftragter der UNO zum Recht auf Ernährung (18. Jan. 2006). Ich muss zugeben, dass das schlechte Beispiel der Elefanten mich dazu bringt, das Thema der in Zorn geratenen Erinnerung in Guatemala auf andere Weise zu überdenken. Und wenn wir doch dem Beispiel dieser Tierchen folgten - schliesslich sind diese frei von ideologischen Vorurteilen - und die Vergangenheit unseres Volkes anders betrachten: die Jahrhunderte des Völkermords und der Ausbeutungen, den massenhaften Raub von Land, die Halbsklaverei, das Gebranntmarktsein wie Vieh, immer unter der Peitsche, den Ausschluss von allen sozialen Gütern sowie der Staatspolitik, den totalen Krieg - die verbrannte Erde - einer Nationalen Sicherheitsdoktrin gehorchend? Und wenn - selbstverständlich abseits aller Ideologien - wir uns vornähmen, die Wut herauszulassen und anzufangen, jedes Ding an seinen Platz zu stellen, zum Beispiel Justiz walten zu lassen über denen, die das Land gestohlen und denen, die so viele Leben zerstört haben? Nach oben |
Ist es nicht so, dass wir schon eine Gänsehaut bekommen, wenn wir nur über solche Fantastereien nachdenken? Nichtsdestotrotz, nach dem, was man so sieht, scheinen unsere Dickhäuter diese Vorurteile nicht zu haben. Vielleicht, weil sie auch keine Ideologie verfolgen. Ja, das wird es sein. Sie sind einfach ungebildeter. Obwohl ich noch nicht überzeugt bin. Fragen bestürmen mich. Warum kriminalisiert das Denken des Systems die Konfrontation und stellt stattdessen den Wettbewerb als unerbittliches Gesetz der Gesellschaft auf? Ist die Konfrontation unerwünscht aber der Wettbewerb wünschenswert? Der UNO-Abgesandte sagt weiter, "diese so extremen Ungleichheiten bedeuten, dass die Mehrheit der GuatemaltekInnen von der Entwicklung ausgeschlossen bleibt und der Hunger und der Ausschluss zum Verbrechen und zum sozialen Konflikt beitragen. Während des Besuchs des Sonderbeauftragten starb ein 15jähriger Junge am 24. Januar 2005 aufgrund eines Schusses, weil er Früchte auf der Finca El Corozo gestohlen hatte, und vier weitere Bauern starben, als sie nach dem Jungen suchten". Ich glaube, diese Worte helfen mir dabei zu verstehen, was Konfrontation bedeutet: Es ist so etwas wie Früchte stehlen, um etwas zu essen. Oder vielleicht eine Finca zu besetzen, um Sozialleistungen einzufordern, die seit vielen Jahren ausstehen… Oder zu verhindern, dass irgendein transnationales Unternehmen Gold- und Silberquellen im Departement San Marcos ausbeutet, und als Lizenzgebühr gerade einmal 1% des Gewinns abgibt, währenddessen es Billionen Liter von Trinkwasser - geschenkt, versteht sich - in mit Zyanid vergiftete Teiche verwandelt… Das sind bedauerliche Beispiele für Konfrontation, gemäss dem Denken des Systems. Und deswegen ist die unerbittliche Reaktion, wenn nötig indem tausende PolizistInnen mobilisiert werden, die Repression. Das System lädt uns ein zu konkurrieren, nicht zu konfrontieren. Aber auch hier ist nicht ganz klar, was damit gemeint ist; denn wenn wir um das Eigentum konkurrieren, das vor Jahrhunderten den Leuten entrissen wurde, stolpern wir doch wieder in die ungesunde Konfrontation. Das Gesetz des universalen Wettbewerbs wirkt nicht auf die Angelegenheiten der Erinnerung. Deswegen gelingt es mir zu verstehen, dass es darum geht zu konkurrieren, indem auf die historische Erinnerung verzichtet wird und die Spielregeln akzeptiert werden, die jetzt herrschen, die das Kapital, die Rohstoffe, die Ressourcen, die Massenkommunikationsmittel und obendrein die drei Staatsgewalten unter Kontrolle haben. Das Wettbewerbsgesetz muss das soziale Spiel in diesen Konditionen lenken, natürlich, ohne die geringste Konfrontation. Aber von wem und warum wird dieses Gesetz einseitig aufgestellt? Die Fragen tauchen weiterhin auf und werden unerträglich. In einem wahrlich ungünstigen Moment erzählen uns diese britischen WissenschaftlerInnen von der wütenden Erinnerung der Elefanten. Das bringt jetzt nichts mehr. Vielleicht war es in einem anderen Moment der Evolution nützlich… |
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