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Von Desaster zu Desaster - welche Lehren wurden gezogen?

Fijáte 356 vom 29. März 2006, Artikel 1, Seite 1

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Von Desaster zu Desaster - welche Lehren wurden gezogen?

Die grosse Frage ist, ob beim zweiten Wiederaufbau eine Risikoanalyse gemacht, ob diese veröffentlicht und bei den Wiederaufbauprojekten berücksichtigt wurde? Hier wird denn auch offensichtlich, dass man weder bei der Analyse noch bei der Projektentwicklung auf systematisch aufgearbeitete (sozial-)wissenschaftliche Erfahrungen zurückgreifen kann.

VGSantiago AtitlánNF: Symbol des Wiederaufbaus

Aufgrund der Schwere der Schäden durch Stan (rund 100 Tote, 600 Vermisste, über 600 Familien in Notunterkünften, 25 Ganz- und 100 Halbwaisen, 77 Witwen) wurde das Dorf Panabaj in Santiago Atitlán von der guatemaltekischen Regierung als "Symbol des Wiederaufbaus" erklärt. Anfänglich lief alles Bestens: Auf einem von der Kirche zur Verfügung gestellten Gelände wurden temporäre Notunterkünfte aufgestellt, es wurden Pläne für die neuen Häuser gezeichnet, und es fehlte nur noch die Auftragsvergabe. Nicht gerechnet wurde hingegen damit, dass die Geschädigten ihre traditionelle Rolle als NothilfeempfängerInnen durchbrechen, sich in einer Organisation zusammenschliessen und ihre eigenen Forderungen aufstellen.

Noch während der Tragödie gründeten die NachbarInnen, die bei der Bergung von Toten und Verletzten halfen, das Notkomitee zur Unterstützung der Maya-Tzutujil-Bevölkerung. Es wurden Gemeinschaftsküchen aufgebaut, Statistiken geführt und Antworten auf die dringendsten Fragen der unter Schock stehenden Bevölkerung gesucht. Schnell merkte das Notkomitee, dass, wenn erst mal die Nothilfe vorbei ist, an einen Wiederaufbau gedacht werden muss, der eine mittel- und längerfristige Perspektive haben und eine reale Verbesserung ihrer Lebenssituation einschliessen muss. So wurde das Notkomitee in den Verein zur Gemeindeentwicklung von Panabaj (ADECCAP) umgewandelt, eine gemeinnützige Organisation mit legalem Status, die in kurzer Zeit 480 Mitglieder zählte. ADECCAP hat kurz- und langfristige Ziele im Auge, will sich in einer partizipativen Gemeindepolitik üben, Einfluss auf die Kommunalen Entwicklungsräte (COCODE) nehmen, eine soziale Kontrolle über die Gemeindegelder und die Tätigkeiten der Gemeindebehörden ausüben und die Interessen der betroffenen Bevölkerung im Wiederaufbau und bei der längerfristigen Gemeindeentwicklung vertreten.

Am 13. Januar organisierte ADECCAP ein öffentliches Forum, um unter breiter nationaler und internationaler Präsenz seine bisherige Arbeit und zukünftigen Ziele bekannt zu geben. Dabei wurde u.a. gefordert, dass die für den Wiederaufbau zuständige nationale Institution VGFONAPAZNF mit den Bau von Häusern warte, bis eine Risikoanalyse gemacht ist. FONAPAZ hat nämlich vor, die neuen Häuser in Panabaj genau an dem Ort aufzustellen, wo der Erdrutsch niederkam und wo noch Hunderte von Leichen unter dem unterdessen eingetrockneten Schlamm liegen. ADECCAP hingegen fordert die Regierung auf, je nach Ergebnis der Risikoanalyse, die nahegelegene Finca "La Providencia" zu kaufen und für den Häuserbau zur Verfügung zu stellen. Das Resumée des Präsidenten von ADECCAP nach diesem Forum: "Wir haben eine Tür geöffnet zu einem Thema, das bisher nie öffentlich und unter Beteiligung der Bevölkerung diskutiert wurde".

Die Forderung nach einer Risikoanalyse vor dem Wiederaufbau wurde u.a. von CONRED, dem Nationalen Komitee zur Reduktion von Katastrophen, aufgenommen, von den Lokalbehörden von Santiago Atitlán jedoch nicht. Man wolle Häuser, keine Studien, war die Meinung des Bürgermeisters, unterstützt vom Hilfsbürgermeister von Panabaj und dem Leiter der Notunterkünfte. So hat man sich denn gegenseitig in eine Pattsituation manövriert: Die Regierung vertritt die Position, man könne nicht mit dem Wiederaufbau beginnen, solange sich die Bevölkerung uneinig sei, VertreterInnen von ADECCAP werfen der Regierung vor, ihre Bedürfnisse und längerfristig angelegten Vorschläge nicht zu berücksichtigen, während die dritte Gruppe den sofortigen Hausbau fordert. An einer Volksversammlung vom 21. Januar, die eigentlich zu einer Klärung des Konflikts beitragen sollte, wurden die beiden Gruppen noch mehr gespalten, der Präsident von ADECCAP verliess unter Protest und in Begleitung von 300 Personen die Versammlung. CONRED hat sich unterdessen klar für eine Risikoanalyse ausgesprochen, FONAPAZ erklärte sich bereit, mit CONRED zusammenzuarbeiten, ob aber die Familien, die sich weigern, in die Risikozone zurückzukehren von der Regierung irgendeine Unterstützung bekommen, ist unklar.

Soweit der Stand der Dinge Ende Januar 2006. Es wird sich zeigen, ob Santiago Atitlán zu einem "Symbol des Wiederaufbaus" wird und ob sich die Regierung an ihren selbst proklamierten Grundsatz hält, der beinhaltet: Förderung der Kommunikation, Konsenssuche und Koordination zwischen den Arbeiten der Bevölkerung und der Regierung, Stärkung der BürgerInneninitiativen sowie Transparenz seitens der Regierung, Einbezug einer sozialen Kontrolle und lokaler Bedürfnisse bei den Wiederaufbauplänen.


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