Frauen, weit entfernt von der Gleichberechtigung
Fijáte 355 vom 15. März 2006, Artikel 1, Seite 1
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Frauen, weit entfernt von der Gleichberechtigung
In Guatemala zeigt sich weiterhin und in allen Bereichen die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Die Frauen haben derweil zwei Gemeinsamkeiten für ihren gemeinsamen Kampf und ihre Solidarität untereinander gefunden: die Gewalt und der fehlende Zugang zu Bildung und Gesundheit - die nach Geschlecht getrennten Ziffern weisen weite Differenzen auf. Daneben finden sich als schwerwiegendste Unterschiede das ökonomische Niveau und die ethnische Zugehörigkeit. Der spärlichen Antwort von Regierungsseite, um der Gewalt gegen die Frauen und der extremen Langsamkeit der Justiz vorzubeugen und diesen Phänomenen ein Ende zu bereiten, gilt seit langem Kritik. Der Bericht über die Menschliche Entwicklung vom UN-Entwicklungsprogramm UNDP besagt, dass die Schulquote im Jahr 2003 im weiterführenden Schulsektor 16,3% Männer und 18,5% Frauen betrug, die wirtschaftliche Beteiligung lag bei 79,4% der Männer und 44,6% der Frauen. Die Gewalt in Guatemala ist ein Faktor, der alle Frauen beunruhigt, schliesslich ist der Mord an Frauen letztes Resultat der psychologischen und häuslichen Gewalt, die im Land herrschen. Während die Guatemaltekinnen stark in Basisorganisationen aktiv sind, stellen sie in Machtpositionen eine Minderheit dar. Gemäss dem UNDP sind von den 330 Bürgermeisterämtern acht von Frauen besetzt, unter den 158 Abgeordneten finden sich 14 weibliche Kongressmitglieder. Unterscheidungen zwischen ethnischer Zugehörigkeit und sozialem Umfeld sind Kriterien, die nicht nur in Guatemala zu unterschiedlichen Gehältern und dem Zugang zu Gesundheit und Familienplanung zwischen Männern und Frauen führen. In incidencia democrática stellt Quimy De León zum Internationalen Tag der Frau am 8. März die Rolle der Frau in den historisch-politischen Zusammenhang Guatemalas. Die Präsenz der Frauen in allen Bereichen des politischen und sozialen Lebens in Guatemala ist nicht mehr zu leugnen: Von indigenen Frauen, die ihre Rechte artikulieren, über Jugendliche zu Feministinnen und Lesben, die für ein selbstbestimmtes Leben, um Naturressourcen, um Land und gegen jegliche Form von Diskriminierung kämpfen. Von Hebammen im Kampf um die Anerkennung sexueller und reproduktiver Rechte zu Seniorinnen im Kampf um ihre Rente und soziale Sicherheit, von Frauen, die in politischen Parteien involviert sind, zu Akademikerinnen, Forscherinnen und Journalistinnen. Und natürlich die Frauenbewegung als Ganzes, die es geschafft hat, Einfluss zu nehmen, Präsenz im nationalen Leben zu markieren und einige grundlegende Erfolge zu zeitigen. Gleichzeitig könnte man pessimistisch sagen, dass 62 Jahre des Kampfes der Frauen um ihre Anerkennung vergangen sind und dennoch in der Realität keine wesentlichen Fortschritte in Sachen fundamentaler, sozialer, kultureller und politischer Rechte errungen worden sind - in einigen Aspekten sind vielmehr gar Rückschritte zu beobachten. Wenn wir über die Teilnahme der Frauen reden, müssen wir uns in den sozialen und politischen Prozessen verorten, die diese durchgemacht haben. Unter Teilnahme verstehen wir all jene Handlungen oder Taten, die Frauen realisieren, die als Protagonistinnen in den diversen gesellschaftlichen Prozessen und mittels ihrer Einmischung in die sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen Aktivitäten eines Ortes oder einer Nation präsent sind. Die Teilnahme kann, muss aber nicht organisiert sein und kann, muss aber nicht mit dem Staat zu tun haben, so María Candelaria Navas auf dem Internationalen Frauentreffen in San Salvador. Es muss eine Debatte eröffnet und von den Frauen selbst ihr Tun überprüft und analysiert werden. Die Organisationen ihrerseits müssen unterstützend dazu die Erfolge und Auswirkungen der Demokratisierung auf alle Sphären der Gesellschaft untersuchen und reflektieren. Die politische und soziale Teilnahme der guatemaltekischen Frauen steckt noch in den Kinderschuhen. Das Wahlrecht wurde den Frauen mit der Verfassung von 1945 zugestanden, in der die Organisation in Parteien garantiert und die Bürgerinnenschaft der Frauen mit all ihren Rechten und Pflichten anerkannt wurde. Einer der wesentlichen Beiträge der Revolution von 1944 stellte auf politischer Ebene die Förderung der politischen Teilnahme generell dar, in Form von politischem Protest aber auch sozialem Engagement und Beteiligung. Ab 1944 fingen die Frauen an, bei der Gründung der ersten modernen Parteien mitzuarbeiten, wie beispielsweise der Verfassungsfront des Westens (FCO), aufgebaut in Quetzaltenango, der Guatemaltekischen Fraueneinheit Pro-BürgerInnenschaft (UFGP), die das zentrale Ziel verfolgte, dass ihre zivilen Rechte anerkannt würden, der Guatemaltekischen Frauen-Allianz (AFG), die auf ihrer Agenda unter anderem den Zugang zu Land und zu Krediten für Bäuerinnen, Arbeitsschutz für Arbeiterinnen, staatliche Hilfe für kleine Händlerinnen, gleiche Chancen für Facharbeiterinnen sowie die Verringerung der Lebenskosten für Hausfrauen verzeichnete. Ebenso sprach sich die AFG für die politischen Rechte und die Gleichheit der Frauen vor dem Gesetz aus. Ab 1950 wurde das Wahlrecht für Analphabetinnen vergeben, doch erst 1965 wurden diese vollständig, nicht nur als Wählerinnen sondern auch als zu Wählende anerkannt. Interessant ist die Gründung der Guatemaltekischen Frauenpartei (PFG), die sich kurioserweise und explizit als nicht-feministisch deklarierte und laut eigenen Angaben 8´000 Mitglieder zählte. Auch im Zuge der Entwicklung der revolutionären bewaffneten Bewegung gab es eine bedeutende Beteiligung von Frauen, Jugendlichen und Mayas. Wichtig dabei ist in Betracht zu ziehen, dass die Frauen Opfer einer besonders brutalen und grausamen Repression waren. Seit den Verhandlungen für die Friedensabkommen fingen der Frauensektor der Versammlung der Zivilgesellschaft, Gruppen von Witwen, von Menschenrechtsaktivistinnen und Studentinnen an, eine neue Handlungsfigur im politischen Leben des Landes zu erschaffen. Man könnte sogar sagen, dass die Friedensverträge, vom Moment der Verhandlungsaufnahme an, die politische und soziale Teilhabe der Frauen ermöglichte und umgestaltete: Im lokalen, munizipalen, regionalen und nationalen Bereich - sowohl in den Städten als auf dem Land - wurden die Frauen in den öffentlichen Raum gerückt. Dennoch verfolgen, so die mexikanische Feministin und Abgeordnete Marcela Lagarde, "die Gesellschaft und der Staat - oder irgendein anderer Raum der Machtballung - eine Fülle von Absichten, die eng mit der Kontrolle, der Disziplinierung und der Bestrafung der Sexualität verbunden sind. Demzufolge besteht die staatliche Funktion darin, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu regeln, dafür zu sorgen, dass die Trennung der Geschlechter sowohl in Sachen Arbeit als auch im Alltag eingehalten wird, der Körper und der Geist der BürgerInnen kontrolliert und die entsprechend notwendige Bevölkerungspolitik verfolgt wird sowie dass ein Konsens herrscht, der den jeweiligen Interessen entspricht." Nach oben |
Es ist klar, dass das kapitalistische System grundlegend nicht nur zu den sozialen, sondern auch zu den ethnischen und Geschlechterasymmetrien beiträgt. Dies zwingt die Frauen dazu, sich erneut zu unterwerfen und an den Herd zurückzukehren. Deswegen ist es notwendig, die Folgen der neoliberalen Globalisierung und ihre Auswirkung auf das Leben der Frauen klar zu stellen und ferner Brücken zwischen den Frauen der Bewegung und derjenigen zu schlagen, die auf der politischen Bühne teilnehmen, um eine linke politische Agenda vom Standpunkt der Frauen aus aufzustellen. Beispielsweise muss die Thematisierung des Feminizids (Mord an Frauen, die Red.) einer der wichtigsten Punkte sein, die es zu analysieren gilt. Laut Silvia Solórzano, Verantwortliche für politische Frauenangelegenheiten der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG), ist der Feminizid ein multikausales Phänomen, man könne dabei die sozio-ökonomischen Faktoren und die Armut nennen, die patriarchale Kultur, den machismo. Zudem identifiziert sie einige Elemente der Sozialen Säuberung, die sie als politische und soziale Gewalt charakterisiert. Anscheinend bestünde die Absicht, die Frau wieder an den Haushalt zu binden. Von Seiten des Staates herrscht eine Unterlassungshaltung gegenüber dieser Situation: es wird keine Antwort auf die eingereichten Anzeigen gegeben, es sind keine effizienten Massnahmen ergriffen und erst recht keine politischen Ansätze in Angriff genommen worden, die das Problem zum Thema machen. "Die Straflosigkeit ist einer der Faktoren, die die Morde an Frauen verstärken und reproduzieren." Marcela Lagarde vertritt die Ansicht, dass die Voraussetzung für die Austilgung des Feminizids in einer demokratischen Staatsreform mit Genderperspektive besteht. Einer der Ansätze der Frauenbewegung, so wie ihn die Gruppierung Koordination 8. März aufwirft, geht denn auch davon aus, dass der Kampf "um die Beendigung der Gewalt gegen Frauen, für die Nicht-Diskriminierung von Frauen mit Maya-, Xinca-, Garífuna- und Mestizenherkunft, gegen den Hunger, gegen den Chancenmangel und die Indifferenz und Unterlassung des Staates gegenüber unseren Forderungen, sowohl zu Hause als auch auf der Strasse" stattfinden muss. Aufgrund dessen plädieren die Forderungen in Richtung einer "Transformation des patriarchalen, kapitalistischen, rassistischen, homophobischen, gewalttätigen und fundamentalistischen Staates in einen fairen, gerechten, weltlichen, vielfältigen und sicheren Staat für die Frauen und die Gesellschaft". Es gibt eine politische Agenda, die von den Frauenorganisationen aufgestellt wurde, doch sie wurde von den Regierungsinstanzen nicht vollständig angenommen und es wurde keine Kohärenz mit der Legislativagenda gefunden, in der selbstverständlich auf dieser Ebene die Geschlechterperspektive fehlte. Es kann nicht weiterhin der Impuls für eine Agenda der Frauen völlig und einzig in den Händen der PolitikerInnen belassen werden; die soziale, kommunale und bürgerliche Beteiligung der Frauen ist grundlegend für die Demokratisierung des Landes, doch auch die politische Teilhabe ist notwendig. Das bedeutet, sich in das patriarchale, frauenfeindliche politische System einzumischen, in dem weibliche Führungsschaften sich inmitten von starkem Druck entwickeln. Dies geht leider oft einher mit einem Alleingang innerhalb der politischen Gruppierungen und einem Sich-Entfernen von der Frauenbewegung. Doch es ist wichtig, sich zu engagieren, um Politik zu Gunsten der Frauen voranzutreiben und zu überprüfen und die Vorschläge einer andersartigen Gesellschaft mitzutragen, die einen Sozialstaat verlangt, der der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu Gute kommt und nicht dem Markt. |
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