Gesetz gegen das organisierte Verbrechen?
Fijáte 357 vom 12. April 2006, Artikel 8, Seite 6
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Gesetz gegen das organisierte Verbrechen?
Guatemala, 07. April. Kongresspräsident Jorge Méndez Herbruger beglückwünschte den Kongress via Zeitungsannonce für die Verabschiedung des Dekrets 7-2006, dem "Gesetz zum Kampf gegen das Organisierte Verbrechen". Dieses Gesetz spiegele, so Herbruger in der Anzeige, die Tüchtigkeit und Fähigkeit der Abgeordneten wider, Vereinbarungen und Konsens mittels Dialog zu erreichen. Zudem sei der Erlass das wichtigste Instrument für die zuständigen Instanzen der Justiz, um den GuatemaltekInnen jene Sicherheit zu bieten, die sie verdienten. Welch Überraschung, als die Tageszeitung Prensa Libre entdeckte, dass das verabschiedete Dekret nicht den vorherigen Versionen entsprach und inhaltlich diverse Schwächen aufwies. Einstimmig hatte der Kongress abgestimmt und somit einem Gesetz freie Bahn verschafft, dessen Zweck darin bestehen soll, Ermittlungs- und Verfolgungsmechanismen für solche Straftaten zu regulieren, die auf das Organisierte Verbrechen zurückzuführen sind. Nun hat die Staatsanwaltschaft offiziell Instrumente wie verdeckte Ermittlung, kontrollierte Übergaben (von illegalen Waren, Drogen etc.) und Telefonabhörmassnahmen an der Hand. Ausserdem definiert das neue Gesetz "Verschwörung" als Delikt, und zwar, wenn zwei oder mehr Personen sich zusammentun, um eine Auswahl von 28 festgelegten schweren Verbrechen zu begehen, darunter Drogenhandel, Geldwäsche, Entführung, Mord und ähnliches. In allerletzter Minute vor der finalen Abstimmung wurden jedoch noch einige Modifikationen am Gesetzestext vorgenommen, die auf einmal dem Delikt der Konspiration keine Strafe zuschreiben und die Haftstrafen für in Verschwörung begangene Verbrechen auf die Hälfte der im Strafkodex bestimmten Ahndung kürzen. Dies würde auch rückwirkend für bereits verurteilte TäterInnen gelten. Anstatt, dass grundsätzlich das guatemaltekische Straf- und Gefängnissystem in Frage gestellt würde, war das Geschrei aller gross, und niemand konnte sich erklären, wie sich diese "Fehler in die Endredaktion" einschleichen konnten. Wiederum einstimmig wurde beschlossen, den Präsidenten um sein Veto zu bitten, um den Gesetzestext zu berichtigen. Fraglich ist und bleibt, ob es sich tatsächlich um eine Unaufmerksamkeit aller anwesenden und abstimmenden Kongressmitglieder handelte, die der Lesung des Textes nicht folgten, oder ob die Macht des laut Gerüchten hinter einigen Abgeordneten selbst steckenden Organisierten Verbrechens doch seine Finger mit im Spiel hatte. Dass die Modifikationen, die von der Regierungspartei Grosse Nationale Allianz (GANA) und der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) vorgebracht wurden, persönliche oder zumindest nahe Interessen verfolgen, ist reichlich auffällig hinsichtlich der gestrichenen Absätze, die beispielsweise den Klau von Fahrzeugen und den Handel von gestohlenen Waren benennen, ist doch der Fahrzeughandel nach den Drogen das zweitgrösste illegale Geschäft, das das meiste Geld im Land im Umlauf hält. Unklar bleibt noch die endgültige Reichweite des Delikts der Verschwörung, das sich laut FRG-VertreterInnen im Vorfeld auf Drogenhandel, Entführung und Terrorismus beschränken sollte. Somit wären der Menschen- und Waffenhandel, die Geldwäsche, Schmuggel und Banküberfälle doch "befreit" vom Übel der Verschwörung, just Verbrechen, die in vielen Fällen in Verbindung stehen mit hohen Regierungs-, Politik- oder Unternehmensebenen. Nach oben |
Seit 2004 beschäftigt sich der Kongress mit einem Gesetzespaket in Sachen Sicherheit, das vier Initiativen beinhaltet: die erwähnte gegen das Organisierte Verbrechen, eine, die Sicherheitsfirmen reguliert, die zur Kontrolle von Waffen und Munitionen und die zum Gefängnissystem. Die Ausrede also, dass das Gesetz gegen das Organisierte Verbrechen mit besonderer Dringlichkeit verabschiedet wurde, und deswegen die Aufregung, dass es tatsächlich Realität würde, so gross war, dass die Details übersehen wurden, ist angesichts der ständigen Verschiebung auf der Legislativagenda schwach. Nichtsdestotrotz erschreckt die eingestandene Unverantwortlichkeit von Seiten der VolksvertreterInnen in Bezug auf Angelegenheiten, die weitreichende Auswirkungen für die gesamte Gesellschaft haben. So wird denn auch beanstandet, dass der Kongress in der gleichen Weise, also ohne den Text wirklich zu kennen, das Gesetz für das Freihandelsabkommen mit den USA (TLC) durchgewinkt habe und somit mögliche Verfassungswidrigkeiten und Beeinträchtigungen für die Bevölkerung nicht aufgedeckt habe. Haroldo Shetemul stellt in der Prensa Libre entsprechende Hypothesen auf: "Unter den möglichen Erklärungen für diesen schweren Fehler findet sich die, dass die Abgeordneten derzeit ihre Gedanken auf die zukünftige Wahlkampagne ausgerichtet haben anstatt auf die Schaffung von Gesetzen. Für einige scheinen ihre mögliche Wiederwahl oder ihre persönlichen politischen Projekte an erster Stelle zu stehen, die Legislativarbeit erledigen sie nebenbei. Sollte dies der Grund für den Irrtum sein, heisst das, dass im Kongress 158 Abgeordnete sitzen, die sich darauf beschränken ihre Hände zu heben, ohne darauf zu achten, was sie billigen." In der Woche nach Ostern wollen sich die Kongressabgeordneten noch einmal mit dem Fall beschäftigen, die nötigen Korrekturen vornehmen und wohl auf den ursprünglich zur Billigung vorgelegten Text zurückgreifen. Doch kurzfristig ist auch nach Verabschiedung des revidierten Gesetzes kein Wunder in Sachen Sicherheit im Land zu erwarten, gestand Innenminister Vielmann doch ein, dass der Etat nicht ausreiche, um die nötigen Massnahmen wie Fortbildung und Ausrüstung zu realisieren und das Gesetz zu erfüllen. Wichtig sei jedoch erst einmal die Gesetzesbilligung, die Ausführung werde schrittweise erfolgen. In erster Linie vertraue er auf die internationale Unterstützung, und im Haushalt für das nächste Jahr würden dann die notwendigen Posten berücksichtigt. |
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