US-amerikanische Militärunterstützung für Lateinamerika
Fijáte 352 vom 1. Feb. 2006, Artikel 1, Seite 1
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US-amerikanische Militärunterstützung für Lateinamerika
Die Vermischung polizeilicher und militärischer Aufgaben und das Fehlen einer zivilen Kontrolle über die US-amerikanischen Militärprogramme in Lateinamerika haben im Verlauf der letzten Jahre zugenommen. Ebenso die Tendenz, sog. "neuartigen" Bedrohungen (dazu gehören z.B. Terrorismus oder Migration ebenso wie Naturkatastrophen) militärisch zu begegnen. Es fällt auf, dass Entscheide über die US-amerikanische Militärhilfe an andere Länder mehr und mehr in der Kompetenz des US-Verteidigungsministeriums liegen und im Rahmen von Globalbudgets zugesprochen werden, womit sie immer mehr dem Einfluss und dem Monitoring des Aussenministeriums (State Department) und des Parlaments entzogen werden. Unter dem Titel "Borrando las Divisiones", gaben die drei US-Organisationen Center for International Policy, Latin America Working Group Education Fund und das Washington Office on Latin America (WOLA) kürzlich eine Untersuchung zu diesem Thema heraus. Wir veröffentlichen eine Zusammenfassung des Dokuments, die spanische und die englische Originalversion können unter www.wola.org heruntergeladen werden. Mit der Begründung, das US-Aussenministerium sei zu bürokratisch, arbeite zu langsam und sei zu stark dem Druck des Kongresses unterworfen, wurde im Jahr 2005 ein Gesetzesentwurf vorgelegt, mit dem das US-Verteidigungsministerium mehr Geld und mehr Kompetenz erhalten sollte, um "die Sicherheits- oder Militärkräfte der befreundeten Nationen zu stärken, damit Terrornetzwerke aufgedeckt und zerstört werden können, und um militärische (Ko-)Operationen zu unterstützen oder selber daran teilzunehmen". Während sich ihr Vorgänger Colin Powell noch gegen eine solche Kompetenzverschiebung aussprach, unterzeichnete später Aussenministerin Condoleezza Rice zusammen mit Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ein Schreiben, mit dem sie diesen Gesetzesentwurf unterstützten. Seit dem 11. September 2001 wurde die Rolle des US-Verteidigungsministeriums im Ausbildungsbereich ausländischer Militärs aufgewertet, eine Aufgabe, die bisher vor allem im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit stattfand und entsprechend dem Aussenministerium unterstellt war. Im Januar 2002 wurden vom US-Kongress rund 18 Mio. US-$ für ein Ausbildungsprogramm (Counterterrorism Fellowship Program, CTFP) bewilligt, das ausländischen Militäroffizieren eine Anti-Terror-Ausbildung in den USA ermöglicht. Im Jahr 2003 wurde dieses Programm mit 20 Mio. US-$ fester Bestandteil des Verteidigungshaushaltes. Auch wenn Lateinamerika den kleinsten Anteil der "Studierenden" im CTFP-Programm stellt, haben doch im Jahr 2003 insgesamt 431 und im Jahr 2004 bereits 1'107 Offiziere der Region eine solche Anti-Terror-Ausbildung genossen. Gleich viel Militär- wie WirtschaftshilfeIn den Jahren 2005 und 2006 beträgt die Militärhilfe der USA an Lateinamerika und die Karibik nur geringfügig weniger als die Wirtschaftshilfe. Für das Jahr 2006 sind 1,03 Milliarden US-$ für die Wirtschaft und mindestens 908 Mio. fürs Militär vorgesehen. Mehr als Dreiviertel der Differenz, etwa 95 Mio., sind für ein HIV/AIDS-Programm in bloss zwei Ländern (Guyana und Haiti) gedacht. Zieht man dies vom Gesamtbetrag der vorgesehenen Wirtschaftshilfe ab, beträgt der Unterschied zur Militärhilfe gerade noch 50 Mio. US-$. Ende der 90er-Jahre belief sich die Wirtschaftshilfe noch auf fast das Doppelte der Militärhilfe, während des kalten Kriegs divergierten sie noch mehr. Seit dem Jahr 2000 fliesst ein Grossteil der Militärhilfe in den "Plan Colombia" und obwohl dieser im Jahr 2006 ausläuft, rechnet man nicht damit, dass danach das US-Budget für Militärhilfe nach Lateinamerika wesentlich kleiner wird. In Kolumbien ist die Trennung der verschiedenen "Kriege" (Drogen/Paramilitärs/Guerilla) immer durchlässiger geworden. Ein Grossteil der US-amerikanischen Militärhilfe floss in den Anti-Drogen-Krieg und in die Ausbildung entsprechender SpezialistInnen. Doch was unter diesem Deckmantel und aus dem US-amerikanischen Anti-Drogen-Budget finanziert, erlernt wurde, ist auch bestens im Bürgerkrieg und im Kampf gegen die Guerilla und die Paramilitärs anwendbar. Soziale Probleme sind keine SicherheitsproblemeNach dem Ende der Militärdiktaturen in Süd- und den Friedensverhandlungen in Mittelamerika haben verschiedene Lateinamerikanische Regierungen begonnen, klare Trennlinien zwischen Polizei- und Militäraufgaben zu ziehen. Diese Trennungen sind im Begriff, wieder zu verschwinden. Die von der Organisation der Amerikanischen Staaten (OEA) definierte Doktrin der "mehrdimensionalen Sicherheit" trägt zu dieser Verwässerung bei. In der Sicherheitsdeklaration der OEA aus dem Jahr 2003 heisst es: "Die Sicherheitsbedrohungen in der Region haben unterschiedliche Ursachen und mehrdimensionale Auswirkungen, so dass die traditionellen Sicherheitskonzepte nicht mehr ausreichen, um ihnen zu begegnen. Es muss von einem Sicherheitskonzept ausgegangen werden, das auch politische, wirtschaftliche, soziale, gesundheitliche und Umweltaspekte umfasst." Das heisst, von Terrorismus über Migration bis zu HIV/AIDS etc. wird nun alles unter dem Begriff Sicherheitsbedrohung zusammengefasst. Es ist zwar positiv, wenn der Sicherheitsbegriff nicht nur auf Staaten beschränkt ist sondern auch einzelne Personen einbezieht, aber in der Praxis birgt er das Risiko in sich, dass soziale Probleme mit militärischen Mitteln angegangen werden. Diverse Konferenzen, sowohl in den USA wie auch in Lateinamerika, haben sich in letzter Zeit damit beschäftigt, eine Liste der aktuellen Sicherheitsrisiken aufzustellen. Dazu gehören u.a. die Jugendbanden, der Drogenhandel, das organisierte Verbrechen, die illegale Migration und Naturkatastrophen. All dies sind ernsthafte Probleme für die Region, rechtfertigen aber in keiner Weise militärische Lösungen. Nach oben |
Zum Beispiel die JugendbandenDie Jugendbanden (maras) sind ein ernstzunehmendes Problem vor allem in Zentralamerika. Zwar sind sie kein neues Phänomen, doch sind sie im Laufe der Jahre vom Begehen kleinerer Delikte zum Ausüben von zum Teil schrecklichen Gewalttaten übergegangen. Die lokalen Polizeikräfte, schlecht ausgerüstet, kaum ausgebildet und mit einem Hang zur Korruption, sind völlig überfordert, dem Phänomen der maras zu begegnen. Guatemala, Honduras und El Salvador haben darauf mit einer Kraftdemonstration geantwortet und das Militär in kombinierten Patrouillen mit der Polizei auf die Strassen geschickt. Die zivilen Behörden Zentralamerikas haben das Comando Sur des US-amerikanischen Militärs um Hilfe beim Kampf gegen die Jugendbanden angefragt, hat doch das Problem auch seinen Niederschlag in den US-amerikanischen Vororten gefunden. Weder die zentralamerikanischen noch die US-amerikanischen Behörden haben jedoch eine Strategie, wie das Thema angegangen werden kann und es ist zu befürchten, dass so lange gewartet wird bis es vermeintlicherweise keine andere Lösung mehr als eine militärische gibt. Zum Beispiel die "Schnelle Eingreiftruppe"Vor gut einem Jahr begannen die zentralamerikanischen Regierungen eine Diskussion über die Schaffung einer überregionalen "Schnellen Eingreiftruppe" (FRR), die sich z.B. den Jugendbanden und anderen transnationalen Bedrohungen annehmen könnte. Mit Ausnahme von Costa Rica haben sich alle Länder verpflichtet, solche FRR zu bilden und versprachen eine bessere Koordination und einen vermehrten Austausch über die jeweiligen Geheimdienstaktivitäten. Auch wenn die USA sich wünschten, dass diese FRR ihre Aktivitäten vor allem auf Friedenssicherung und Naturkatastrophen konzentrieren, möchten ihnen die zentralamerikanischen Regierungen vielfältigere, bis hin zu polizeilichen Aufgaben übertragen. Die guatemaltekische FRR soll entsprechend aus Militär- und Polizeipersonal zusammengesetzt sein, ihre Aufgabe ist der "Kampf gegen das organisierte Verbrechen, den Drogenhandel und den internationalen Terrorismus". Wie die US-amerikanische Unterstützung dieser Eingreiftruppen aussehen wird, ist noch nicht klar. Bei einem Treffen im Oktober 2005 mit US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld fragten die zentralamerikanischen Präsidenten die USA vor allem um die Ausstattungen für diese Truppen an. Die Botschaft aus dem Norden ist nicht eindeutig. Statt die zentralamerikanischen Länder aufzufordern, die nach den Friedensabkommen begonnene Aufgabentrennung weiterzuführen und das Militär davon abzuhalten, sich in Bereiche zu mischen, in denen es nichts verloren hat, äusserte sich Rumsfeld sehr vage. Unterschiedliche Bedrohungen bräuchten unterschiedliche Antworten und die bisherige Aufgabenteilung zwischen Militär und Armee sei antiquiert und müsse überdacht werden, waren die Worte des US-Verteidigungsministers im Oktober 2005. "Bremsklotz" Internationaler Strafgerichtshof (IStGH)Ironischerweise stösst die US-amerikanische Militärhilfe für Lateinamerika nicht in erster Linie an ihre Grenzen, weil Menschenrechtsorganisationen protestieren, sondern die Kritik stammt aus dem eigenen Lager. Konservative Kräfte in den USA wollen ihre SoldatInnen im Ausland vor dem Zugriff des Internationalen Strafgerichtshofes schützen. Im Jahr 2002 schlossen die USA sämtliche Militärhilfe (mit Ausnahme der Anti-Drogen-Kriegs-Unterstützung) an Länder aus, die das Rom-Statut unterzeichnet haben, das die vertragliche Grundlage zum Internationalen Strafgerichtshof ist. Ausser, sie hätten den Artikel 98 des Gesetzes zum Schutz des US-amerikanischen Dienstpersonals unterzeichnet, in welchem sie garantieren, dass sie keine US-SoldatInnen je vor dem IstGH anklagen werden. Für die lateinamerikanischen MenschenrechtsaktivistInnen ist der Internationale Strafgerichtshof aber eine wichtige Instanz, sind doch in vielen Fällen ihre eigenen Justizsysteme ineffizient und korrupt. Linke Kräfte in der AndenregionDie Andenregion - Kolumbien, Ecuador, Peru und Venezuela - erhielten seit der Implementierung des Plan Colombia im Jahr 2000 mit 85% den grössten Brocken der lateinamerikanischen US-Militärhilfe. Dies scheint denn auch die "Problemzone" Lateinamerikas für die USA zu sein: Das Drogengeschäft, der Krieg in Kolumbien, die Existenz von vier von den USA definierten "internationalen Terrororganisationen" und die Wahlen (angefangen mit Bolivien im Dezember 05), die in der Region im Verlauf des Jahres 06 stattfinden. Offensichtlich ist die Administration Bush beunruhigt über das Erstarken der "radikalen Populisten", wie er die verschiedenen Bewegungen linker Tendenz nennt. Bisher ist die Reaktion der USA auf diese Entwicklung konfus und widersprüchlich. Wie sich das in einer konkreten (Militär-) Politik auswirkt, bleibt abzuwarten. SchlussfolgerungenGlobal gesehen steht Lateinamerika sicher nicht zuoberst auf der Prioritätenliste der USA. Doch die Tendenz, die sich in den letzten Jahren abzuzeichnen begann, hält an: Zunahme der Militär- und militärischen Ausbildungsunterstützung, währenddessen die Unterstützung in Sachen Wirtschaftshilfe und Stärkung der Zivilen Regierungen hinten ansteht. Der Drogenhandel, das organisierte Verbrechen und die Korruption schränken den Demokratisierungsprozess vieler Länder Lateinamerikas ein. Aber anstatt diese Probleme unter dem Begriff der "Menschlichen Sicherheit" zusammenzufassen und dafür militärische Lösungen zu propagieren, sollten die USA sie als das sehen was sie sind: Probleme, die ihre Ursache in der historischen Ungerechtigkeit in Sachen wirtschaftlicher Entwicklung und in einem fragilen Rechtsstaat sowie schwachen staatlichen zivilen Institutionen haben. |
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