Gescheiterte Lohnverhandlungen
Fijáte 350 vom 21. Dez. 2005, Artikel 5, Seite 4
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Gescheiterte Lohnverhandlungen
Guatemala, 16. Dez. "Lohnverhandlungen in Guatemala zu führen, speziell wenn die Regierung als Vermittlerin auftritt, ist etwa ebenso schwierig, wie Öl und Wasser zu mischen", schreibt Erwin Pérez im Leitartikel von Incidencia Demorática vom 1. Dezember. Laut guatemaltekischem Gesetz muss jeweils bis Ende November eine aus ArbeitnehmerInnen, ArbeitgeberInnen und der Regierung zusammengesetzte Kommission über die Mindestlöhne für das kommende Jahr verhandeln. Kommt es zu keinem Kompromiss, liegt es in der Hand des Präsidenten, einen entsprechenden Entscheid zu fällen. Unter der Regierung von Präsident Portillo war es immer so: die Verhandlungen scheiterten und der Präsident entschied. Im Jahr 1999 betrug der Mindestlohn für LandarbeiterInnen 19.65 Quetzales (ca. 2.45 US-$), im Jahr 2000 stieg er auf 21.62 Q, 2001 auf 25.08 Q, und so weiter, bis ins Jahr 2004, wo er auf 38.60 Q festgelegt wurde. Dieser blieb auch im Jahr 2005 gültig, da einmal mehr keine Einigung erzielt wurde. Da auch die Lohnverhandlungen für das Jahr 2006 scheiterten, kündigte Präsident Berger am 1. Dezember per Regierungsdekret eine Gehaltserhöhung von 10% an, was 3.86 Q bzw. 0.5 US-$ pro Tag entspricht. Dies entspricht einem Monatslohn von 1,548.80 Quetzales für ArbeiterInnen auf dem Land und 1584.80 für diejenigen in den Städten. Die Inflation hat aber in den Jahren, in denen es keine Lohnanpassungen gab, mehr als 20% betragen, was die logische Konsequenz hatte, dass die Kaufkraft der ArbeiterInnen stark beeinträchtig wurde. In den vergangenen fünf Jahren erhöhte sich zwar der Mindestlohn um 18.95 Q pro Tag, die Preise des Grundwarenkorbs stiegen aber unverhältnismässig. Heute kostet er für eine fünfköpfige Familie monatlich 2765 Q, das entspricht 64 Tageslöhnen. Sowohl ArbeitnehmerInnen- wie ArbeitgeberInnenseite sind verärgert über den Entscheid des Präsidenten. Die ersten, weil ihnen die Lohnerhöhung als zu gering erscheint, die zweiten, weil Berger nach den gescheiterten Verhandlungen vor einem Jahr versprach, für diesmal einen Vorschlag auf der Basis eines Produktivitätslohns zu machen; eine Idee wiederum, die den ArbeitnehmerInnen nicht passt. Zum Thema Löhne machte die Nachrichtenagentur Inforpress sowohl in den USA wie in Guatemala eine Umfrage in vier verschiedenen Arbeitsbereichen (Bankensektor, transnationale Fast-Food-Ketten, Supermärkte und Zuckerrohranbau). Das Ziel war, die Kaufkraft der ArbeiterInnen bezüglich des Produktes, das sie herstellen, zu erfassen. Die Resultate sind für die guatemaltekischen ArbeiterInnen ernüchternd. Die Fast-Food-Ketten arbeiten in den USA und in Guatemala mit der selben Technologie und die Produktionsprozesse sowie das erforderte technische Wissen der Angestellten sind identisch. Eine Angestellte von McDonald´s, die in den USA einen täglichen Mindestlohn von 49.20 $ verdient, kann sich damit 12 Big Mac "Combos" leisten, eine Angestellte in Guatemala mit einem Tageslohn von 7.92 $ kann sich genau 2 "Combos" täglich kaufen. Auf dem Land ist die Situation noch schlimmer. Das Nationale Statistikinstitut (INE) geht davon aus, dass rund 95% der LandarbeiterInnen weniger als den Mindestlohn verdienen, im Gegensatz zu den ArbeiterInnen im Nicht-Landwirtschaftsbereich, wo etwa 64% der Angestellten weniger als den Mindestlohn bekommen. Weiter sind laut INE rund 35% der Arbeitstätigen unterbeschäftigt und rund 3.5 Mio. Personen arbeiten im informellen Sektor. Der Unternehmersektor hat versucht, die Regierung dahingehend unter Druck zu setzen, dass diese den informellen Arbeitssektor unterbindet, doch dafür bräuchte es unter anderem mehr Arbeitsplätze und bessere Löhne im formellen Sektor. Doch jedes Mal, wenn die Regierung davon spricht, den Mindestlohn herauf zu setzten, drohen die UnternehmerInnen mit massiven Entlassungen. Nach oben |
Bezüglich der Situation der ArbeiterInnen im Landwirtschaftsbereich veröffentlichte die Nationale Koordination der BäuerInnenorganisationen CNOC kürzlich eine Studie. Darin schreibt sie, dass auf den von CNOC befragten 50 Fincas im ganzen Land bloss 3.3% der LandarbeiterInnen überhaupt einen Arbeitsvertrag hätten. In den meisten Fällen würde eine Anstellung mündlich abgemacht, oft nicht einmal direkt mit dem Fincabesitzer, sondern mit einem Mittelsmann. CNOC kritisiert auch das Arbeitsministerium, das seinen Job nicht gut mache und nicht im Interesse der ArbeiterInnen handle. Von den untersuchten Fincas seien bloss 10% vom Arbeitsministerium inspiziert worden. Auch das Komitee der BäuerInneneinheit (CUC) legte dieser Tage die Ergebnisse seiner alljährlichen Bestandsaufnahme der Situation vor, in der die indigene und BäuerInnenbevölkerung lebt. Darin wird der allgemeine Verschlechterungstrend rundweg bestätigt. Rafael González, Koordinator vom CUC erläuterte: Während 2005 seien die Produktpreise beispielsweise vom Propangas, vom Kraftstoff, Transportkosten und Strom gestiegen, was sich in den Preisen aller anderen Produkte, namentlich der Grundnahrungsmittel, deutlich widerspiegle. Die von Berger angekündigte Mindestlohnerhöhung bezeichnete González als ironisch, die Gehälter blieben weiterhin Hungerlöhne. Die Agrarproblematik habe sich derweil laut CUC-Beobachtung verschärft, denn anstatt Lösungsmechanismen zu suchen, habe die Regierung zur Repression gegriffen und eine politische Richtung verfolgt, die den bäuerlichen Forderungen entgegenwirke wie Haftbefehle gegen BäuerInnenführerInnen und illegale Festnahmen, wie im Fall einer BäuerInnenführerin aus Puerto de San José, Escuintla. Die Ausbeutung der Arbeitskraft von tausenden von GuatemaltekInnen in landwirtschaftlichen Unternehmen, die Zuckerrohr, Kaffee, Gummi oder andere Produkte verarbeiten sowie politische Massnahmen, die das Arbeitsrecht aufweichen wie die Arbeitsflexibilisierung, das Schliessen von Zeitverträgen, ungerechtfertigte Entlassungen, der Mangel an Organisationsfreiheit und Akkordarbeit, sind weitere Kritikpunkte der organisierten BäuerInnen. Das CUC fordert die Regierung auf, den Geist und Inhalt der Friedensverträge wieder aufzugreifen und bittet die Internationale Gemeinschaft um Solidarität und Begleitung. |
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