"Indigener Bevölkerungsrückgang" versus Diskriminierung
Fijáte 412 vom 18. Juni 2008, Artikel 7, Seite 6
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"Indigener Bevölkerungsrückgang" versus Diskriminierung
Guatemala, 30. Mai. Laut offiziellen Volkszählungen repräsentierte die indigene Bevölkerung in Guatemala bis Mitte des 20. Jahrhunderts 55% der Gesamtbevölkerung. Mit dem Zensus von 1964 ging dieser Prozentsatz auf 42% zurück und hielt sich viele Jahre: Noch 1994 belief er sich auf 43%. Gemäss der aktuellsten Zählung von 2002 liegt er jedoch bei 39%. Angesichts dieser Tendenz der Abnahme der als indigen bezeichneten Bevölkerungsgruppe, stellt sich die Frage nach deren Ursache. Romeo Tiu, Koordinator der Nationalen Kommission gegen Diskriminierung und Rassismus (CODISRA) versichert indes, dass die offiziellen Daten, die den indigenen Bevölkerungsanteil auf unter 50% angeben, nicht der Wirklichkeit entsprechen, denn man wisse aus nicht-offiziellen Quellen, dass sich die Ziffer auf zwischen 50 und 60% belaufe. Man müsse das demografische Wachstum in Betracht ziehen, warnt Tiu, das nämlich eindeutig auf eine Zunahme der indigenen Bevölkerung hinweise, nicht nur, weil die durchschnittliche Schwangerschaftsrate bei indigenen Frauen bei 6,1 liege. Ausserdem müsse man die Art der Fragestellung in der Bevölkerungserhebung durch das Nationale Statistikinstitut (INE) untersuchen, ob diese selbst nicht die Informationen beschneiden. Schliesslich noch sähen viele der InterviewerInnen bloss die vermeintlichen Züge der Personen und schreiben auf, was ihnen am passendsten scheint. Auch käme es auf die Haltung dieser BefragerInnen an und derer, die die Instrumente und die Politik des INE ausarbeiten. Es sei ganz wichtig, die Ergebnisse mit Informationen aus den Zivilregistern abzugleichen, obwohl auch in diesen nicht immer die ethnische Abstammung der BürgerInnen angegeben ist. Die Soziologin Victoria Tubin hält die Statistiken der Volkszählungen für ein Beispiel der Leugnung der ethnischen Vielfalt des Landes. Die aufgestellten Indikatoren zögen weder die ethnische Zugehörigkeit in Betracht noch erlaubten sie der Bevölkerung sich selbst zu definieren. Dabei spiele sich diese Negierung der kulturellen Pluralität nicht nur von aussen ab, sondern sei von vielen Personen verinnerlicht: "Viele Mayas wollen sich nicht mehr als solche identifizieren, sie schauen immer, wie sie ihre Identität verstecken können, und wenn sie in einer Umfrage nicht danach gefragt werden, werden sie sich hüten, es von sich aus zu sagen. Dabei ist der Rassismus weiterhin eine der strukturellen Ursachen, die es der indigenen Bevölkerung nicht erlaubt, sich selbst einem Volk zuzuordnen und ihre objektive und subjektive Art und Weise zu verteidigen, wie sie ihr kollektives Leben versteht", sagt die Forscherin. Nach oben |
Der Rassismus und die herrschende Diskriminierung bringen die Leute dazu sich zu schützen, um nicht weiter diskriminiert zu werden. "In indigener Tracht über die Strasse zu laufen, ist eine Herausforderung, denn man stellt sich der Gefahr, nicht respektiert zu werden", versichert Vilma Sánchez, Koordinatorin einer Anti-Diskriminierungs-Kampagne von der CODISRA. Da die Informationen der Volkszählungen nicht der Wahrheit entsprechen, wird die nicht-indigene Bevölkerung auch begünstigt, was die Haushaltszuweisungen angeht, was wiederum politische wie soziale Folgen mit sich bringt. "Das macht die Bevölkerungssektoren noch verletzlicher, die traditionellerweise eh ausgeschlossen sind: die Frauen und die indigenen Völker", resümiert Tiu den Teufelskreis. Eine Datenerhebung je Ethnie würde es ermöglichen die verschiedenen Sprachgruppen zu orten und ihre Lebensumstände zu kennen. "Das würde uns wiederum erlauben festzustellen, über welchen Zugang die Bevölkerung zu staatlichen Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung und anderen verfügt", meint Sánchez. |
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