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Gewalt gegen Frauen in Friedenszeiten - Der Umgang mit häuslicher Gewalt in Guatemala

Fijáte 420 vom 08. Oktober 2008, Artikel 1, Seite 1

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Gewalt gegen Frauen in Friedenszeiten - Der Umgang mit häuslicher Gewalt in Guatemala

Wieder andere RichterInnen wissen zwar von dem Gesetz, wissen aber nicht, dass neben körperlicher und seelischer Gewalt auch 'wirtschaftliche' Gewalt normiert ist, die ebenfalls Schutzmassnahmen auslösen kann.

Speziell bei der Polizei sind die Unzulänglichkeiten noch immer am grössten. Diese Institution wurde sogar von VGUNNF-ExpertInnen als eigentliche Quelle der VGMenschenrechtsverletzungenNF ausgemacht. Anstelle Straftaten zu verhindern und zu verfolgen, sind Polizeiangehörige häufig in eine Vielzahl von Verbrechen verwickelt.

Diese Beispiele zeigen, dass es bei den MitarbeiterInnen von Justizeinrichtungen und Polizeistationen verschiedene Probleme bzgl. der Rechtsanwendung gibt und offenbar noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist.

(Anzeige)Verhalten der Frauen

Damit es aber überhaupt zu einer Anwendung des Gesetzes durch Justizangestellte kommen kann, bedarf es einer Anzeige, d.h. Frauen müssen sich an diese Instanzen wenden, um das erfahrene Unrecht publik zu machen.

Viele Frauen nehmen die ihnen gegenüber begangenen Gewalthandlungen jedoch (noch) nicht wahr bzw. wollen sich nicht dagegen wehren. Sie sind in einem sog. Kreislauf der Gewalt gefangen. Häusliche Gewalt baut sich meist allmählich über einen längeren Zeitraum auf, wobei unterschiedliche Phasen zu unterscheiden sind. Es beginnt mit einer leichteren Gewalthandlung (z.B. eine Beleidigung oder ein kleiner Schlag). Danach ist der Mann bemüht, alles wieder gut zu machen, bittet sie um Verzeihung und verspricht, dass so etwas nicht mehr vorkommen wird. Ist der Mann ein anderes Mal besonders aufgebracht und erzürnt, dann kommt es abermals zu einem Angriff - diesmal schon etwas heftiger. Und so wechseln sich Momente der Aggression und solche der Entspannung ab.

Dass Frauen, die diese Übergriffe bereits über kurz oder lang ertragen, trotzdem untätig bleiben, kann verschiedene Ursachen haben. Viele sind emotional und/ oder wirtschaftlich von ihren Männern abhängig. Emotional gesehen wollen sie ihren Mann nicht verlieren, was zudem ggf. einen Statusverlust bedeuten würde. Die wirtschaftliche Abhängigkeit ist darin zu sehen, dass sein Einkommen für die Familie essentiell ist - und zwar selbst dann, wenn er seiner Frau und den Kindern nur einen kleinen Teil zukommen lässt. Gerade auf dem Lande haben viele Frauen kaum eine andere Möglichkeit der Existenzsicherung; sie können, aufgrund der zahlreichen Kinder, keiner geregelten Arbeit nachgehen.

Die Gewalt nicht öffentlich zu machen, kann aber auch mit Scham erklärt werden. Viele Frauen schämen sich, vor ihren Eltern und anderen Verwandten, dass es 'so etwas' in ihrer Ehe bzw. Familie gibt. Und dann ist da auch die Furcht, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, selbst daran schuld zu sein - nach dem Motto: Der Mann wird schon seine Gründe haben… Diese Unsicherheit und das mangelnde Selbstwertgefühl halten sie letztlich davon ab, etwas gegen die Gewalthandlungen zu unternehmen.

Aber auch hier zeichnet sich eine Entwicklung ab. Nicht mehr alle Frauen ertragen die Gewalt ihrer Männer. Das geänderte Anzeigeverhalten ist möglicherweise mit der Tätigkeit von staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen bzw. Organisationen zu erklären. Genauso könnte dies aber auch auf funktionierende 'Mund-zu-Mund-Propaganda' zurückzuführen sein. So geben andere Frauen oder Männer Ratschläge; sie weisen z.B. darauf hin, dass es Gerichte gibt, die zugunsten von Frauen entscheiden oder erklären, dass Frauen auch Rechte haben und diese einfordern können. Was letztlich die Verhaltensänderung bewirkt hat, hängt von den lokalen Gegebenheiten ab.

Diese Informationen allein genügen aber noch nicht, damit Frauen auch handeln. Bei den Befragungen im Friedensgericht von Santa Bárbara war festzustellen, dass Frauen erst dann das Gericht aufsuchen, wenn die lange Zeit geduldete Gewalt ein kaum noch erträgliches Ausmass erreicht hat. Eine der betroffenen Frauen erklärte: "Einige Male hat er mich [körperlich und psychologisch] misshandelt. Ich kann mich schon gar nicht mehr an das Jahr erinnern, als es anfing. Wie es ihm beliebt, da schlägt er zu. […] Einige Male habe ich ihm verziehen. Aber jetzt wende ich mich an die Justiz. Er hatte mich schlimm zugerichtet." Eine ähnliche Konfliktsituation, die eine Frau dazu veranlassen kann, letztlich doch Hilfe zu suchen, ist gegeben, wenn ihr Mann sie (und die Kinder) aus dem Haus wirft.

Was ebenfalls zu beobachten ist: Frauen, selbst wenn sie Schutzmassnahmen erwirkt haben, verzichten häufig selbst auf diesen Schutz. Sie wollen - so vielfach im o.g. Gericht zu beobachten - selten eine wirkliche Trennung vom Partner. In der Regel werden sogar jene Strafverfahren, die betroffene Frauen wegen körperlicher häuslicher Gewalt (z.B. leichte Körperverletzung) eingeleitet haben, von ihnen wieder eingestellt. Einige Frauen erklären, dass sie ihren Männern eigentlich nur einen Schrecken einjagen wollten. In vielen anderen Fällen sind vermutlich auch hier die (wirtschaftliche) Abhängigkeit und mangelnde Alternativen die eigentlichen Ursachen für dieses Verhalten. Immerhin fehlen landesweit Frauenhäusern oder ähnliche Einrichtungen.

Ein weiteres Problem, das mit der unzureichenden Anwendung des Gesetzes gegen häusliche Gewalt verbunden ist, betrifft die statistische Erfassung der Fälle häuslicher Gewalt. Diesbezüglich bestehen noch grosse Defizite. Dabei gibt es bereits ein spezielles Formular, auf dem die MitarbeiterInnen der Justizeinrichtungen jeden Fall häuslicher Gewalt genau erfassen und an das Nationale Statistikinstitut (VGINENF) senden sollen. Einige der abgefragten Daten betreffen z.B. die ethnische Zugehörigkeit, das Alter, das Geschlecht, den Wohnsitz (Stadt/ Land), die Schulbildung und den Familienstand des Opfers. Ausserdem soll vermerkt werden, ob die betreffende Frau häusliche Gewalt das erste oder zum wiederholten Mal anzeigt.

Das grösste Problem besteht aber darin, dass dieses Formular noch sehr ungenügend gebraucht wird. Infolgedessen sind die bestehenden Statistiken zu häuslicher Gewalt nur wenig vertrauenswürdig.

Ausblick

Der Erlass des Gesetzes gegen häusliche Gewalt ist eine wichtige Rechtsgrundlage, um Frauen vor Übergriffen zu schützen. Damit wurde ein beachtenswerter Schritt zu weniger Gewalt getan. Nur zum Vergleich: in VGDeutschlandNF ist ein entsprechendes Gewaltschutzgesetz - das ebenfalls die Regel postuliert 'der Täter geht, das Opfer bleibt' - erst 2002 in Kraft getreten, in der VGSchweizNF gibt es ein solches erst in einzelnen Kantonen. Allerdings besteht die Herausforderung nun darin, die gesetzlichen Bestimmungen konsequent anzuwenden. Um dies zu erreichen, ist auch das Engagement vieler Frauenorganisationen, NGOs und internationaler Agenturen notwendig. Frauen müssen über ihre Rechte informiert werden, um sich sodann gegen die Gewalt von Familienmitgliedern zu wehren und Schutz einzufordern. Aber ihre Rechtsbegehren müssen auch sorgfältig bearbeitet werden, d.h. die Schwachstellen in den Justizeinrichtungen sind zu überwinden. Als sehr wichtiger Akteur auf nationaler Ebene ist hier die Nationale Koordinationsstelle für die Verhinderung der innerfamiliären Gewalt und der Gewalt gegen Frauen, kurz: die VGCONAPREVINF zu sehen. Sie fordert von der Regierung und staatlichen Institutionen (insbesondere die Polizei), auf diese Gewaltform zu reagieren und das Gesetz gegen häusliche Gewalt anzuwenden. Mithin bleibt abzuwarten, ob dies in naher Zukunft gelingt und betroffene Frauen ein Leben ohne Gewalt leben können.


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