Die CICIG berichtet zur Halbzeit ihres Mandats
Fijáte 419 vom 24. September 2008, Artikel 3, Seite 4
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Die CICIG berichtet zur Halbzeit ihres Mandats
Guatemala, 17. Sept. Wenige Tage zuvor wurde das Mandat des Büros des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OACNUDH) um drei Jahre verlängert. Kaum war diese Nachricht, die von der stellvertretenden UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Kyung-wha Kang, mit einem entsprechend kritischen Bericht persönlich überbracht wurde, verdaut, legte letzte Woche Carlos Castresana, Chef der Internationalen Untersuchungskommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) seinen Report anlässlich der nun einjährigen Präsenz der Kommission im Land vor. Mit klaren Worten präsentierte Castresana die erreichten Resultate: In erster Linie sei eine gründliche Untersuchung des gesamten Sicherheits- und Justizapparates vorgenommen worden. Mit der Säuberung der Nationalen Zivilpolizei (PNC) und der Neubesetzungen und Umstrukturierung der Staatsanwaltschaft, seien auf Anstoss der CICIG bereits tiefgreifende Veränderungen angestossen, auch wenn dies von vielen KritikerInnen gerne übersehen werde. Eine zusätzliche Beobachtung brachte in diesem Fall das Gerichtssystem gehörig ins Wanken. So diagnostiziert die CICIG, dass auch in diesem selbst - und nicht nur in den ermittelnden Instanzen wie Polizei und Staatsanwaltschaft - zur Straflosigkeit beigetragen würde. Und das in nicht geringem Masse. Die Zahlen: In den letzten drei Jahren wurden den Gerichten 10´865 Anzeigen wegen Mordes und aussergesetzlichen Hinrichtungen eingereicht. Von diesen Klagen gelangten 1´167 zu einem Urteil, sprich 10,7%; in den übrigen 89,3% gab es kein Urteil. Und weiter: Von den Urteilen waren nur 6,9% tatsächliche Verurteilungen, der Rest Freisprüche oder Suspendierungen. Somit herrscht im Justizsektor eine Straflosigkeit von 93,1%, die durchaus vergleichbar ist mit der von 98%, die der Staatsanwaltschaft angelastet wird. Im Fall der Justiz bringt die CICIG noch einen weiteren Aspekt aufs Tapet: Zwischen 2000 und 2007 wurden 4´215 Anzeigen gegen RichterInnen und StaatsanwältInnen eingereicht. Allein in 28 Fällen führten diese zur Amtsenthebung. Von 614 beantragten Suspendierungen von AnwältInnen in den Jahren 2006 und 2007 entschied die AnwältInnen- und NotarInnenkammer nur in insgesamt vier Fällen für deren Durchführung. Somit liegt die Quote der Disziplinarverfahren im Justizsektor bei 5,1%. Ausserdem nahm sich die CICIG zwei Gesetze vor, die bislang entgegen ihrem eigentlichen Sinn zur Verdeckung von Straftaten missbraucht werden. Und das von den StaatsfunktionärInnen selbst. Die Rede ist vom "Ley de Amparo", einer speziellen Einspruchsoption, und dem "Ley de Antejuicio", einer Art Schutzmechanismus für Staatsangestellte hinsichtlich der Ausübung ihrer Funktion. Castresana legte nun Reformvorschläge für diese beiden Gesetze sowie für den Strafprozesskodex und das Gesetz gegen das organisierte Verbrechen vor. Damit soll hinsichtlich der ersten beiden Normen, die durchaus wertvolle Elemente enthielten, verhindert werden, dass beispielsweise durch ständige Rekurse Strafprozesse zum Erliegen gebracht werden - wie es im laufenden Genozidprozess gegen ehemalige hohe Funktionsträger ständig passiert - bzw. der gesetzliche Schutz von FunktionärInnen in Anspruch genommen wird, um kriminelle Taten unbehelligt begehen zu können. Die Modifikation des Strafprozesskodexes zielt auf einen besseren Schutz von ZeugInnen und Justizangestellten ab, vor allem in den ländlichen Regionen, wo jedeR jedeN kennt. Es obliegt jedoch Präsident Colom, die Reformempfehlungen in Form von Initiativen dem Kongress vorzulegen. Schliesslich appellierte Castresana an den Kongress, endlich das Waffen- und Munitionsgesetz zu verabschieden. Mehr als 50 Millionen Kugeln würden jährlich eingesetzt, doppelt so viele wie während des bewaffneten Konflikts. Dabei gehe es der CICIG nicht um ein Verbot des Waffenbesitzes, sondern um die Kontrolle und das Unterbinden von illegalem Waffenhandel. "Von der Billigung der Reformen hängt der Erfolg der CICIG hinsichtlich der Erfüllung ihres Mandates und der Funktionsbeschleunigung des Justizapparates ab, um die Straflosigkeit in Guatemala zu beenden", pointierte Castresana seinen Vortrag, um an die gesellschaftliche und politische Verantwortung in diesem Kampf zu erinnern. Inzwischen zähle die Kommission 109 MitarbeiterInnen aus 24 Ländern sowie 26 GuatemaltekInnen. Der Etat des ersten Jahres von US-$13,7 Mio. werde ausschliesslich von der internationalen Gemeinschaft gestemmt. Castresana präsentierte seinen Bericht im Aussenministerium in Anwesenheit von Vizepräsident Espada, Vertretern des Höchsten Gerichtshofes, DiplomatInnen, MenschenrechtsaktivistInen sowie Staatsanwalt Amílcar Velásquez. Hinsichtlich der Kooperation mit der Regierung und speziell der Staatsanwaltschaft zeigte sich der spanische Anwalt hochzufrieden. Das Innenministerium habe der CICIG zusätzlich 30 PolizeiagentInnen zugewiesen, um die Ermittlungen zu unterstützen. Nach oben |
Von den 63 der CICIG direkt eingereichten Anzeigen wird derweil in 15 hochrelevanten Fällen von ihr ermittelt, wie denen in Verbindung mit dem Drogenhandel, den Morden an den Busfahrern sowie Fällen von Femizid (Mord an Frauen), Menschenhandel, Angriffe und Morde an GewerkschafterInnen und MenschenrechtsaktivistInnen. In zwei konkreten Drogenprozessen tritt die CICIG als Nebenklägerin auf: Im Massaker unter Drogenhändlern in Zacapa im März (siehe ¡Fijáte! 407) und im kürzlich aufgedeckten Fall der so genannten "Bande des verrückten Mariachi" (eigentlich Bezeichnung für "typisch mexikanische" Musiker), in den vier Polizisten involviert sein sollen, die mutmasslich Privatpersonen erpresst und Lastwagen gestohlen haben. Wie zu erwarten, fällt das Echo auf die CICIG-Resultate äusserst gegensätzlich aus. Während Menschenrechts- und SicherheitsexpertInnen die grundlegende und vor allem fundierte Analyse der institutionellen Ebenen, auf denen Straflosigkeit herrscht, wertschätzen und, wie Sandino Asturias vom Studienzentrum von Guatemala (CEG) die darauf beruhenden Empfehlungen als Wegweiser zur Umstrukturierung von Institutionen und Praktiken zum Thema Sicherheit begrüssen, stellen diejenigen, die der CICIG von Vornherein skeptisch gegenüberstanden, die Kommission an sich in Frage, da sie keine konkreten Ergebnisse erkennen. Wahrscheinlich hofften sie tatsächlich auf spektakuläre Festnahmen und Verhaftungen von Drogenbossen und politischen GegnerInnen. Angesichts der gründlichen und tatsächlich professionell-diskreten Arbeit der CICIG, auf die sie keinen Einfluss haben und die strukturelle Aspekte benennt, stellen sie nun fest, dass ihre persönlichen Interessen eindeutig tangiert werden und die CICIG den Finger in die Wunden legt, von denen sie bislang profitieren. Schliesslich diskutiert der Kongress nicht ohne Grund seit rund elf Jahren das stets als dringlich dargestellte Waffen- und Munitionsgesetz. Und selbst für die anderen, von Castresana benannten Gesetze liegen längst Reformvorschläge vor, die ständig aufgeschoben werden. Fast trotzig mutet auch die Reaktion vom Obersten Gerichtshof (CSJ) auf die Vorwürfe ob der gerade dieser Institution immanenten Straflosigkeit an: Hätte die CICIG beizeiten engeren Kontakt zum Justizwesen gesucht, hätte sie gesehen, dass all die geforderten Reformen längst in die Wege geleitet seien, meint Richter Luis Fernández Molina. Und hinsichtlich der bemängelten CSJ-Praxis entgegnete er, das Gericht würde durchaus in Fällen mit ausreichender Beweis- oder Indizienlast Urteile fällen, aber selbstverständlich keine subjektiven Rechtssprüche emittieren. |
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