Lauschangriff auf Präsident Colom
Fijáte 418 vom 10. September 2008, Artikel 3, Seite 3
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Lauschangriff auf Präsident Colom
Guatemala, 06. Sept. Und wieder ging das Gerücht eines Staatsstreiches um, als am Donnerstag Nachmittag ein Aufgebot von 150 Infanterie-SoldatInnen das Präsidentenamt stürmte und das eigentlich für die Sicherheit des Präsidenten zuständige Personal des Sekretariats für Verwaltungs- und Sicherheitsangelegenheiten (SAAS) seiner Plätze verwies und ersetzte. Auch Krankenwagen waren bereits zugegen. Bis Präsident Álvaro Colom im Gefolge seines fast kompletten Kabinetts sichtlich aufgebracht selbst vor die Presse trat und die Situation mit der Mitteilung aufklärte, er werde ausspioniert. Durchsuchungen hätten sieben Mikrofone und zwei versteckte Kameras im Präsidialamt, zwei ähnliche Geräte in seinem Büro in der Zone 14, in dem er Audienzen empfängt, einen Empfangssender in seinem Wohnhaus und einige solcher Apparate gar im Büro seiner Frau Sandra Torres zum Vorschein gebracht. Wo und vor allem von wem diese Aufnahmen entgegengenommen werden, ist bislang ungeklärt. Bereits Mitte August hatte Colom sich öffentlich darüber gewundert, dass er Informationen am nächsten Tag in der Presse las, die nur im engsten Vertrautenkreis ausgetauscht worden waren. Seinen Verdacht, sein Telefon werde abgehört, habe er dabei mit seinem Sicherheitsberater Carlos Quintanilla schon überprüft. Auch wenn Colom selbst kommentierte, dass es eben zahlreiche Unternehmen und Ermittlungsfirmen gebe, die den inzwischen recht lukrativen Abhörservice nutzen und kauften, seien die nötigen Apparate doch gar nicht teuer, erinnerte Innenminister Francisco Jiménez daran, dass allein auf der Grundlage des Gesetzes gegen das organisierte Verbrechen und des Gesetzes des Zivilen Geheimdienstes (DIGICI) so genannte Lauschangriffe reglementiert seien, wobei das Abhören von Privatpersonen klar ausgeschlossen sei. Direkte Konsequenz aus dem reichen Fund an Abhörgeräten in Coloms direkter Umgebung sind die sofortigen Entlassungen von SAAS-Chef Carlos Quintanilla und dem Chef des Zivilen Geheimdienstes SAE, Gustavo Solano. Zwar wird noch darüber gemunkelt, ob Quintanilla gekündigt wurde oder selbst kündigte, negiert er als Zuständiger für die Sicherheit des Präsidenten zumindest nicht seine unterlassene Verantwortung, die Geräte um den Präsidenten und seine Gattin nicht entdeckt und entfernt zu haben. Solano wiederum wurde bereits im Vorfeld vorgeworfen, nicht wie gefordert regelmässig bzw. unzureichend, Bericht erstattet zu haben. Quintanilla selbst steht nicht erst seit Amtsantritt Coloms in der Kritik überbordender Einflussnahme in die Sicherheitsfragen und Stellenbesetzungsentscheidungen im Sektor des Inneren, zudem wird ihm eine zu grosse Nähe einerseits zum Militär, andererseits zum organisierten Verbrechen selbst angelastet. In den letzten Wochen waren Quintanilla, von Colom freundschaftlich auch "Charlie" genannt und mit vollstem präsidialem Vertrauen bedacht, durch die Um- und Neubesetzungen von Leitungs- und Schlüsselpositionen im Innenministerium, der Staatsanwaltschaft und im Militär die ihm angekreidete Macht langsam entzogen worden, jetzt ist er also ganz draussen. Mittlerweile - zwei Tage später - ist auch bereits Haftbefehl gegen ihn und seinen Vertrauten Solano ergangen, ohne dass die beiden bei den durchgeführten Hausdurchsuchungen bislang gefasst wurden. Auch der stellvertretende SAAS-Leiter Osman Contreras ist entlassen worden, derweil Ricardo Marroquín Rosada, Gründer dieses Sekretariats unter Ex-Präsident Alfonso Portillo im Verlauf der Auflösung des damaligen Präsidialen Generalstabs EMP. Nach oben |
Colom deklarierte indes nicht nur denjenigen den Krieg, die Telefone abhörten, er beantragte gesonderte Sicherheit für sich und seine Familie, ordnete die zeitweilige Schliessung des Präsidialamtes an, um eine gründliche Durchsuchung nach weiterer versteckter Abhörtechnik durchzuführen und modifizierte seine erste Überzeugung, Quintanilla habe nichts mit dem Lauschangriff auf ihn zu tun in die Aussage, er habe dessen Kündigung akzeptiert, da es sich tatsächlich um eine administrative Verantwortung Quintanillas und somit einem schwerwiegenden Fehler handle. Ob sein langjähriger Vertrauensmann strafrechtlich wegen unterlassener Pflichterfüllung, Spionage, Kommunikationsabfang und Geheimnisenthüllung belangt werde, würden die entsprechenden Justizinstanzen zu entscheiden haben. - Gegen Solano wird wegen Spionage ermittelt werden. - Er selbst sei jedoch sehr betroffen und verärgert. "Ich werde einen Ausdruck verwenden, den ich während den neun Jahren Wahlkampagne genutzt habe: Das System ist ein Swimming-Pool voll Scheisse und die einzige Form, es wieder zu richten ist, sauberes Wasser einzufüllen. Und ich werde mich der Aufgabe widmen, es von Korruption zu säubern. Ich ziehe es vor, keine Polizisten zu haben, denn etwas zu verdecken." Neben einer allgemeinen Empörung über den Lauschangriff auf den Präsidenten höchstpersönlich fahren die KommentartorInnen mit ihren Äusserungen zweigleisig. Auf der einen Seite werfen sie Colom indirekt vor, durch sein blindes Vertrauen in Quintanilla selbst dazu beigetragen zu haben, dass das organisierte Verbrechen so nah an hin herangekommen ist, sei doch klar, dass Quintanilla seine Finger mit im Spiel hat. Auf der anderen Seite wird die Tatsache der Spionage gegen jedermann und -frau als fast normal und alltäglich dargestellt, wobei die Präsidenten der Republik davon noch nie ausgenommen gewesen waren. Colom sei jedoch der Erste, und dafür gebühre ihm entsprechende Anerkennung, der den Mut habe, diese Spionage-Praxis öffentlich zu denunzieren und den Versuch zu starten, das Geflecht der Gesellschaft inklusive der Regierung von parallelen Strukturen zu säubern. Gleichwohl seien die Funde der Abhörapparate, von denen auch nicht bekannt ist, seit wann sie überhaupt dort installiert waren, wo sie gefunden wurden, Zeugnis der Verletzlichkeit der Institutionalität des Landes und letztlich Zeichen der herrschenden Unsicherheit, von der sich niemand, noch nicht einmal der Präsident, ausnehmen kann. Wie muss es erst um die Polizei und diejenigen Instanzen bestellt sein, die dafür zuständig sind, die Sicherheit im Land zu gewährleisten? Kart Yván Arévalo fasst in seinem Kommentar in der Tageszeitung Siglo XXI die Hypothesen hinsichtlich der Hinterleute des Lauschangriffs zusammen: Neben der grundlegenden Verantwortung von denjenigen, die für die Sicherheit des Präsidenten angestellt sind, zielt die erste Theorie auf den militärischen Geheimdienst, der seine Hegemonie der absoluten Kontrolle bewahren wolle. Die zweite kreist um das organisierte Verbrechen, das keine Gelegenheit auslasse, um seinen Tentakeln auszustrecken und in jede Struktur einzudringen, die dies auch nur ansatzweise erlaube. Letztendlich entblössen dieser entdeckte Lauschangriff und der Umgang mit den potentiell Involvierten jedoch schlicht die nackten Strukturen, die zumindest bislang für die Unsicherheit selbst und vor allem die Straflosigkeit gesorgt haben, der sich die Kriminellen vor allem aus den oberen Schichten und diversen Metiers bedienen. |
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