Petrocaribe: Wer profitiert von der Beziehung zwischen Hugo Chávez und Zentralamerika?
Fijáte 418 vom 10. September 2008, Artikel 1, Seite 1
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Petrocaribe: Wer profitiert von der Beziehung zwischen Hugo Chávez und Zentralamerika?
Mit Ausnahme von Panama und El Salvador haben sich bald alle zentralamerikanischen Länder dem von Hugo Chávez lancierten Projekt Petrocaribe angeschlossen. Dieses sieht vor, unter speziell günstigen Konditionen Rohöl und Erdölderivate an die Länder der Karibik und nach Zentralamerika zu verkaufen. Mitte Juli unterzeichnete auch der guatemaltekische Präsident Álvaro Colom einen entsprechenden Vertrag mit Venezuela; das letzte Wort über den Beitritt zu Petrocaribe spricht jedoch der guatemaltekische Kongress, der bisher fruchtlos über das Unterfangen debattiert (siehe ¡Fijáte! 414). Die einen befürchten, mit einem Beitritt zu Petrocaribe die "Seele des Landes" an den "Revolutionär Chávez" zu verkaufen und sind aus ideologischen Gründen gegen das Projekt. Andere wiederum, wie z. B. der guatemaltekische Vizepräsident Rafael Espada, finden, dass nur jemand, "der nicht bis drei zählen kann", gegen dieses Angebot sein könne. Es gibt aber auch realistischere kritische Stimmen, die sich fragen, ob die Institutionalität der zentralamerikanischen Länder genügend stark sei, um transparent mit den (vermeintlich) gesparten Geldern umgehen zu können. Auch ist fraglich, ob in diesen Ländern die Infrastruktur oder die notwendige Unabhängigkeit vorhanden ist, um den von der Privatwirtschaft monopolisierten Ölmarkt zu übernehmen. Und nicht zuletzt muss befürchtet werden, dass Regierungen wie z. B. diejenige von Guatemala, die sich in wirtschaftlichen Notsituationen befinden, in Petrocaribe eine willkommene Gelegenheit sehen, ihre politischen Projekte zu finanzieren. Der folgende Text basiert auf einem Artikel, der am 29. August in der Nr. 1767 von Inforpress Centroamericana erschien. Ein guter Deal"Anfänglich stellte sich der Privatsektor gegen die Initiative wegen der Person, die dahinter steckt, aber das Angebot ist dermassen verlockend, dass man sich ihm nicht widersetzen kann." Soweit Julieta Handal von der Patriotischen Koalition für Solidarität, einem Zusammenschluss honduranischer Sachverständiger, die sich der Ausarbeitung von Staatsreformen widmet. Dieselben Überlegungen haben neben Guatemala wohl auch Honduras, Nicaragua und bald Costa Rica dazu bewogen, sich dem seit 2005 von Hugo Chávez in Zentralamerika und der Karibik vorangetriebenen Projekt zur Ölversorgung anzuschliessen. Auch wenn es seit den 70er Jahren immer wieder ähnliche Initiativen gab, war bisher noch keine so erfolgreich wie Petrocaribe. Am bekanntesten ist wohl der bis heute gültige Pakt von San José, mit dem sich die OPEC-Länder Mexiko und Venezuela dazu verpflichten, einem Dutzend ökonomisch schwachen Staaten zu Vorzugspreisen täglich 160.000 Barrel Öl zu liefern. Kuba jedoch blieb - wegen mexikanischem und US-amerikanischem Druck - bislang davon ausgeschlossen. Eine Tatsache, die Chávez nun geändert hat, indem er mit seinem Angebot, das weiter geht als der Pakt von San José, diesen quasi aushebelt und Kuba einschliesst. Venezuela erlaubt den Käufern, die nur Staaten und keine privaten Unternehmen sein können, zwischen 40 bis 60% der Kaufsumme zurückzubehalten und als Darlehen in "soziale Fonds" zu investieren. Diese Darlehen müssen erst in 25 Jahren und mit einem Mini-Zins von 1% zurückbezahlt werden. Ein - auf den ersten Blick - wirklich verlockendes Angebot und ein cleverer Schachzug, um den Einfluss der USA und Mexikos auf die Region abzuschwächen. So hat Petrocaribe z. B. die im kürzlich neu definierten Plan Puebla Panamá vorgesehenen Energieprojekte faktisch lahmgelegt. Was die zentralamerikanischen Länder am dringendsten brauchen, ist eine Entlastung ihrer Ölrechnungen. Wegen des Rückgangs erneuerbarer Energiequellen, des Fehlens eigener Ölvorkommen (mit Ausnahme Guatemalas) und einer sehr beschränkten Raffineriekapazität leiden die Länder der Region unter den ansteigenden Preisen für fossilen Brennstoff. Gemäss Angaben der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) hat sich die Ölrechnung Zentralamerikas seit 1999 bis heute etwa versechsfacht. Der Kauf von Öl macht bei den Importrechnungen dieser Länder einen der Hauptposten aus, das Wirtschaftsdefizit vor allem mit den USA, wächst stetig. Rund 54% der Ölimporte werden für das - öffentliche und private - Transportwesen gebraucht, rund 23% fliessen in die Stromproduktion. ExpansionsmöglichkeitenSo haben wir also auf der einen Seite die Länder Zentralamerikas, die auf Öl zu Vorzugspreisen angewiesen sind, und auf der anderen Seite Venezuela, das einen Absatzmarkt für sein Öl braucht und darum attraktive Offerten macht. Der guatemaltekische Wirtschaftsexperte Miguel Gutiérrez meint dazu: "Länder wie Guatemala, die externe Finanzierungen brauchen, können einerseits an internationale Institutionen gelangen, vor allem, wenn ihre Auslandsverschuldung nicht allzu hoch ist. Sich Petrocaribe anzuschliessen ist eine sehr attraktive und billige Alternative zu den Krediten z. B. einer Weltbank." So öffnet also das Angebot von Chávez beispielsweise in Guatemala die Türen für den Import von venezolanischen Erdölderivaten. Bisher wurden 34% der raffinierten Treibstoffe aus den USA importiert und bloss 9% aus Venezuela. Venezuela seinerseits ist auch daran interessiert, den zentralamerikanischen Markt auszubauen und seine Export-Abhängigkeit von den USA zu verringern, die immerhin aktuell 53% der venezolanischen Erdölproduktion absorbieren. Ein anderes Ziel von Petrocaribe ist, den US-amerikanischen und brasilianischen Initiativen zur Verbreitung des Agrodiesels etwas entgegenzustellen. Venezuela liegt sehr viel daran, Agrodiesel als etwas Zusätzliches zu Erdöl darzustellen und nicht als Ersatz für dieses. Nach oben |
Neue AllianzenAuch wenn Petrocaribe wirtschaftlich für alle Involvierten eine win-win-Situation bedeutet, stecken hinter dem Angebot auch Interessen, die über das ökonomische hinaus- und ins ideologische hineingehen. "Die Rechte nutzt Petrocaribe, um ihren Diskurs zu legitimieren, dass die Regierungen Zentralamerikas sich mit einem Diktator alliierten, der den Terrorismus unterstützt. Und die Linke verkauft es als ein revolutionäres Projekt gegen die Hegemonie der USA. Aber es ist weder das eine noch das andere", kritisiert der guatemaltekische Wirtschaftsanalyst Fernando Solis von der Zeitschrift El Observador. Solis gibt zwar zu, dass Petrocaribe Teil der politischen und wirtschaftlichen Offensive von Hugo Chávez sei, aber das diese noch lange kein antihegemoniales Projekt sei und von den zentralamerikanischen Regierungen auch gar nicht als solches verstanden werde, sondern dass diese in erster Linie eigene opportunistische Interessen verfolgen würden. "In Zentralamerika fehlt es an Institutionalität und es dominieren kurzfristige Visionen sowie ein Steuersystem, das nicht in der Lage ist, die öffentlichen Ausgaben zu decken. Deshalb geht es den Regierungen mit Petrocaribe nur um Finanzen", sagt Solis. Nur so erklärt er sich, dass sich niemand daran stört, dass die zentralamerikanischen Länder bedenkenlos auf der einen Seite Freihandelsabkommen mit den USA und auf der anderen Seite Erdölverträge mit Venezuela abschliessen. "Es geht hier um Einflussnahme auf Märkte und politische Eigeninteressen, aber die Hegemonie der USA steht nicht auf dem Spiel", so Solis. Miguel Gutiérrez teilt diese Einschätzung: "Es ist in erster Linie ein politischer Annäherungsversuch von Chávez, denn tatsächlich ist sein Öl ja bereits auf dem verhältnismässig kleinen Markt Zentralamerikas verbreitet. Nicaragua vielleicht weniger, aber Guatemala hat gegenüber Chávez eine unabhängige Position eingenommen und sich auf keine politischen Kompromisse eingelassen." Ein Beispiel dafür sieht Gutiérrez darin, dass weder Guatemala noch die anderen Länder der Region sich davon abhalten lassen, in Kooperation mit Brasilien ins Agrotreibstoffgeschäft einzusteigen, "nur weil es Hugo nicht gefällt". MonopoleEin ursprüngliches Ziel von Petrocaribe ist die verstärkte Beteiligung der Staaten im Treibstoffgeschäft und das Durchbrechen der privatwirtschaftlichen Monopole. Bisher haben aber nur Honduras und Nicaragua eigene staatliche Ölunternehmen und damit auch die notwendige Lagerkapazität. Die Regierungen sehen sich entsprechend gezwungen, das venezolanische Erdöl in Tanks zu lagern, die den bereits etablierten Monopolisten gehören und ihnen dafür noch einen Mietpreis zu bezahlen. Die nächste Frage wird sein, wie das Öl verteilt wird und welche Tankstellenketten zu welchen Bedingungen beliefert werden und zu welchen Preisen das "billige" venezolanische Öl verkauft wird - meist ist es ja z. B. nicht so, dass die grossen Unternehmen ihre Tankstellen in den abgelegenen, ärmeren Orten bauen. Nicaragua ist das Land Zentralamerikas, das schon am längsten den Petrocaribe-Vertrag mit Venezuela unterzeichnet hat und in dem bereits auch einige Schwachstellen des Abkommens spürbar sind. Das grösste Problem ist die Transparenz bei der Verwendung der Gelder, die durch Petrocaribe "freigestellt" werden. Die Fonds, in welche das Geld fliesst, erscheinen nicht im offiziellen Staatshaushalt, und es gibt keine unabhängige Rechnungsprüfung, was in Nicaragua bereits zu Korruptionsvorwürfen gegen Präsident Daniel Ortega geführt hat. So wie das Projekt in Guatemala diskutiert wird, scheint die Situation dort genauso zu sein. Ausserdem wurden bisher keinerlei Kriterien festgelegt für die "sozialen Projekte", die aus diesem Fonds finanziert werden sollen. Präsident Colom erklärte kurz nach Unterzeichnung des Vertrags mit Venezuela, dass die Gelder in nicht näher definierte Armutsbekämpfungsprogramme fliessen sollen, in den Bau der umstrittenen Verbindungsstrasse Franja Transversal del Norte und in den Betrieb einer Eisenbahn, welche von der Grenze mit Mexiko bis zur Grenze mit El Salvador führen soll. Leider verlaufen die aktuellen Diskussionen im guatemaltekischen Kongress in erster Linie entlang der ideologischen Schiene, was eine differenzierte und weitsichtige Diskussion über Vor- und Nachteile, Gefahren und Schwierigkeiten von Kreditaufnahmen - unabhängig davon, wer sie gewährt - verunmöglicht. |
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