"Land herzugeben, bedeutet für den Finquero, Macht zu verlieren"
Fijáte 432 vom 08. April 2009, Artikel 1, Seite 1
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"Land herzugeben, bedeutet für den Finquero, Macht zu verlieren"
Rund 40% der guatemaltekischen ArbeiterInnen sind in der Landwirtschaft tätig. Nichtsdestotrotz wurden die KleinbäuerInnen von den verschiedensten Regierungen stets vernachlässigt. Auch die aktuelle bildet dabei keine Ausnahme - trotz ihrer Rhetorik und der Einführung des Programms "Pro Rural". Dies ist die Meinung von Helmer Velásquez, dem Direktor von CONGCOOP, einer Dachorganisation von Nichtregierungsorganisationen und Kooperativen, der im folgenden Interview eine Agrarpolitik fordert, die zu einem effektiven Wandel beiträgt. Das Interview erschien am 27. März 2009 in der Nr. 1793 von Inforpress Centroamericana. Frage: Beim Ministerium für Ernährung, Land- und Viehwirtschaft (MAGA) wurde für das Jahr 2009 eine bedeutende Budgetkürzung vorgenommen... Hector Velásquez: Ein strategischer Irrtum. Die Regierung weiss dies, hat sich aber für eine wahltaktische Strategie entschieden. Gleichzeitig zur Kürzung des Budgets des MAGA wurde jenes des Programms "Pro Rural" aufgestockt. "Pro Rural" ist eine Art grosse Nichtregierungsorganisation, eine riesiger Sozialfonds, in den die Regierung viele ihrer ehemaligen WahlhelferInnen als "LandwirtschaftsberaterInnen" integriert hat. Über "Pro Rural" können sie offenbar das Geld besser handhaben als über das MAGA, welches der Ausschreibungspflicht staatlicher Institutionen untersteht. Die Kürzung ist auch eine Schwächung der Institutionalität des Staates, der Landfonds (Fontierras) zum Beispiel blieb gänzlich ohne Geld, das heisst, er wird nach 10 Jahren quasi eingestellt. Dabei hätte diese Regierung, die sich sozialdemokratisch und dem BäuerInnenstand verpflichtet nennt, ein neues System für die Verteilung von Land entwickeln müssen. Nichts ist geschehen. Wir haben unsere Überraschung und Empörung über die Budgetkürzung des MAGA gegenüber der Exekutive ausgedrückt, aber die einzige Antwort, die wir erhielten war, dass das MAGA nicht in der Lage sei, Geld zu verwalten und deshalb keines mehr bekomme. Frage: "Pro Rural" untersteht also direkt dem Präsidenten? H.V.: Ja. Es wurde zwar ein Führungsgremium eingesetzt, in dem die Landwirtschafskammer, ein paar BäuerInnenvertreterInnen und Indígenas vertreten sind. Doch im vergangenen Jahr hat sich dieses Gremium nicht ein einziges Mal getroffen. Als Geschäftsführer des Programms wurde Roberto Dalton, ein Manager von Disagro, dem grössten Düngemittelimporteur des Landes, eingesetzt. "Pro Rural" ist der wahlpolitische Arm des Präsidenten und der Regierungspartei. Es werden programmeigene BäuerInnenorganisationen gegründet (alles zukünftige Wahlstimmen), die bei der Verteilung von Düngemittel bevorzugt werden. Es funktioniert nach der mexikanischen Strategie der PRI-Regierungen: Ein Palliativ-Programm für BäuerInnen in prekären Situationen. Dies ist an und für sich nicht schlecht, aber ich kritisiere die parteipolitische Strategie dahinter. Sein klientelistischer Charakter führt dazu, dass das Programm nicht greift und keinen Erfolg hat. Dieses Land braucht keine kompensatorischen Massnahmen, sondern solche, die auf Veränderung abzielen: Eine ernsthafte Diskussion über die Kreditvergabe, das unaufschiebbare Thema des Landbesitzes, die Schaffung von Infrastruktur, der Aufbau von Silos... alles, was ein Land tun würde, das sich ernsthaft um seine Landwirtschaft kümmert. "Pro Rural" verfügt über ein Budget von 1800 Mio. Quetzales, das sind 800 Mio. mehr als das MAGA hatte. Die Verteilung von Düngemittel ist bloss ein Aspekt des Programms, es fördert auch die Produktion von Mais und Kaffee. Theoretisch könnte es ein interessantes Programm sein, aber es ist strukturiert wie eine NRO und ist geographisch sehr limitiert. Es stärkt weder den Staat noch fördert es die nachhaltige Entwicklung. Und es ist gut möglich, dass der nächste Präsident es wieder abschafft. Frage: Geht es der Regierung mit diesem Programm darum, eine soziale Basis zu schaffen, um später den Rückhalt für die Durchsetzung ihrer Politik zu haben? H.V.: Es geht auf alle Fälle nicht um eine wirkliche Entwicklung. Ein eindeutiger Beweis dafür ist der "Dialog über ländliche Entwicklung", der im März 2008 begonnen wurde. Wir sind in zwei Punkten einig geworden: In einem Gesetzesvorschlag über ländliche Entwicklung (siehe ¡Fijáte! 416), welches der Präsident am 14. Januar dem Kongress vorzustellen versprach. Er tat dies nicht - ohne irgendeine Erklärung. Die entsprechenden Investitionen für die Umsetzung dieses Gesetzes wurden auch nicht ins Budget aufgenommen. Frage: Worin bestand denn die vereinbarte Landwirtschaftspolitik? H.V.: Sie enthielt ein paar sehr innovative Elemente. Zum Beispiel wurde die KleinbäuerInnenlandwirtschaft zu einer Priorität des MAGA erklärt. Ein weiteres Thema ist die Demokratisierung des Zugangs zu Land. Es ist keine Agrarreform, hat aber Elemente davon. Der Staat verpflichtet sich, Nahrungsmittelreserven anzulegen und bei den kleinen ProduzentInnen die Lebensmittel einzukaufen, die in den Spitälern und Gefängnissen gebraucht werden. Dieser Teil der Abmachungen wird meines Wissens auch umgesetzt. Frage: Das Modell von Fontierras war eine Art marktwirtschaftliche Landreform. Wie genau funktionierte das? H.V.: Der Landfonds ist eine Idee, welche die Weltbank in die Friedensabkommen einschleusen konnte. Sie bestand darin, eine Art Ländereienbank zu schaffen. Die Weltbank wollte parallel dazu eine Steuer auf Landbesitz einführen, die unterschiedlich hoch für bewirtschaftetes und brachliegendes Land wäre, doch auf Druck der Landwirtschaftskammer wurde dies nie umgesetzt. Die Aufgabe der Bank ist es, Land an BäuerInnenfamilien abzugeben, welche einen "Businessplan" präsentieren. Sie kauft den Finqueros ihr Land ab und übergibt es an die BäuerInnen, die es in 15 bis 20 Jahren abzahlen müssen. Damit das überhaupt funktionieren kann, muss den BäuerInnen eine Anfangsfinanzierung garantiert werden. Doch in Guatemala hat das alles nicht richtig funktioniert, die Nachfrage nach Land war viel grösser als das Angebot, was dazu führte, dass der Staat schlechtes Land zu überhöhten Preisen kaufen musste. Das versprochene Budget von jährlich 300 Mio. Quetzales wurde nie vollständig ausbezahlt, und nach 10 Jahren muss das Projekt als gescheitert betrachtet werden. Frage: Widerspricht eine Landwirtschaftspolitik zu Gunsten der Campesinos notwendigerweise den Interessen der Finqueros? H.V.: Nicht unbedingt. Es geht darum, sich landesweit auf ein Entwicklungsmodell zu einigen, wie dies die Friedensabkommen vorgesehen haben. Weshalb kann einem Oligarchen nicht klargemacht werden, dass es produktiver wäre, wenn er weniger Land besitzen und dafür besser in die Technologie investieren würde? Aber dieses Thema wird nach wie vor sehr ideologisch abgehandelt. Land ist ein Mittel zur Macht, und Land herzugeben bedeutet für den Finquero, Macht zu verlieren. Nach oben |
Frage: Sind die Lebensbedingungen der Finca-ArbeiterInnen besser als diejenigen der KleinbäuerInnen? H.V.: Es handelt sich meistens um dieselben Leute. Der Kleinbauer, dessen Land nicht fürs Überleben reicht, arbeitet temporär auf der Finca. Den BäuerInnen, die vertrieben werden, weil auf ihrem Land eine Zuckerrohrplantage angelegt wird, offeriert man einen Dreimonatsjob bei der Zuckerrohrernte, wie das z.B. in Polochic der Fall ist. Bei der Ölpalme ist es noch schlimmer: deren Bewirtschaftung braucht fast keine menschliche Arbeitskraft. Die BäuerInnen werden vertrieben, ohne dass ihnen eine alternative Arbeitsmöglichkeit angeboten wird. Frage: Ist es falsch, auf den landwirtschaftlichen Export zu setzen? H.V.: Das Hauptziel der Landwirtschaft sollte sein, die Ernährungssicherheit und -souveränität zu garantieren. Ausserdem ist Land nicht bloss ein Produktionsmittel, sondern im Fall der Mayas Teil ihrer Kosmologie. Dies wird vom Agrobusiness nicht berücksichtigt. Zudem bietet die Agroexportwirtschaft weder gesicherte noch qualitativ gute Arbeitsplätze. Ich kritisiere, dass es einzig darum geht, für die Märkte des Nordens zu produzieren. Monokulturen, ob Zucker oder Mais, sind immer problematisch. Es wäre etwas anderes, wenn mehr ProduzentInnen die Möglichkeit hätten, sich in den Markt zu integrieren. Dies würde Guatemala einen ähnlichen Entwicklungsschub erlauben, wie es Costa Rica dank der Agrarreform von 1948 gelungen ist. In den letzten 20 Jahren hat sich die Landwirtschaft transnationalisiert, die Finqueros wurden zu Börsenspekulanten und haben Möglichkeiten ausserhalb der reinen Landwirtschaft gefunden, um Kapital zu akkumulieren. Man hat uns weisgemacht, dass wir mit den ganzen subventionierten Überschüssen aus dem Norden nicht mehr selber anbauen müssen. Risikoreich wie die Landwirtschaft ist, würden wir besser und billiger von den USA kaufen, hiess es. Dies war die offizielle Politik, und damit wurde die Landwirtschaft zerstört. Was man uns aber nicht erzählte, war, dass und in welcher Form die Preise der Lebensmittel längerfristig steigen würden. Gemeinden, die nach wie vor Mais anpflanzen, sind heute besser dran als jene, die Maismehl importieren. Maseca (mexikanischer Produzent von Maismehl) und andere Monopolisten importieren ihre Produkte zollfrei nach Guatemala. Das heisst aber nicht, dass sie die Produkte billiger verkaufen, der Gewinn bleibt bei ihnen. Frage: Die Freihandelsabkommen begünstigen also diejenigen, die nach Guatemala importieren und nicht uns, die wir exportieren? H.V.: Ja, denn wir haben ja ausser Zucker nicht viel zu verkaufen. Die Exporte in die USA sind seit der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens nicht gestiegen, die Importe hingegen schon. Wir haben mehr nach Zentralamerika und Europa exportiert, aber nicht in die USA. Frage: Wenn in einem Land mit so wenigen Arbeitsmöglichkeiten die Landwirtschaft alle Arbeitskräfte aufnehmen soll, kann sie nicht gleichzeitig wirklich produktiv sein? H.V.: Die Agrarreform ist Teil eines Entwicklungsprozesses, wir wollen daraus kein Pol Pot-Regime machen. Nach zwei oder drei Generationen werden die Kinder der BäuerInnen an der Universität studieren und nicht mehr in der Landwirtschaft arbeiten wollen. Diese wird somit nicht mehr der Hauptproduktionsfaktor sein. Doch was können wir aktuell mit einer Masse ungebildeter BäuerInnen anderes machen, als sie in der Landwirtschaft zu beschäftigen? Ihre einzige Alternative ist, in den Norden zu emigrieren. Frage: Migration als Ventil, damit die Landfrage nicht zu einem Faktor politischer Mobilisierung wird? H.V.: Die Migration hat tatsächlich die BäuerInnenorganisationen geschwächt, denn es sind die jungen Leute, die gehen. Wenn sie zurückkommen, wollen sie nicht mehr in der Landwirtschaft arbeiten, sondern sie kaufen sich einen Pick-up und werden HändlerInnen. Frage: Hat die weltweite Teuerung der Grundnahrungsmittel den BäuerInnen als ProduzentInnen etwas genützt? H.V.: Nein, denn mit der Verteuerung der Lebensmittel erhöhten sich auch die Produktionskosten für die BäuerInnen. Diese haben überdies in Guatemala das Problem, dass sie keinerlei Möglichkeiten haben, die Ernte zu lagern. Entweder sie verkaufen im Moment der Ernte oder diese verdirbt. Frage: Werden denn die BäuerInnen überhaupt ernsthaft als LebensmittelproduzentInnen wahrgenommen oder einfach als marginalisierte Gruppe? H.V.: Man sieht in ihnen einen rückständigen Sektor, den man mit Kompensationen vor dem Untergang retten muss. Auf der anderen Seite haben wir ältere BäuerInnen, die von den "guten alten Zeiten" träumen, den Zeiten, als unter den Militärdiktaturen ein rigides und korruptes System herrschte, das ihnen aber immerhin einen minimalen Zugang zu Krediten und technischer Unterstützung gewährte. |
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