¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Listen von Bedürfnissen
Fijáte 403 vom 06. Feb. 2008, Artikel 7, Seite 6
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¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Listen von Bedürfnissen
Schon ist die Weihnachtszeit, vollbeladen mit Emotionen und Lärm wie jene camionetas vom Busbahnhof, vorbei und hinterlässt nur schwarzen Rauch und Nostalgie. Es ist zwar erst ein Monat vergangen seit Weihnachten, aber schon liegt es bereits weit entfernt. Doch etwas geht weiter, etwas, das mit unserem Leben zu tun hat, das uns aufgedrängt wird, das wir uns aufzwingen lassen. In den Weihnachtstagen von heute, die unter der Kontrolle der Marketing-HexenmeisterInnen stehen, sehen wir uns mitgerissen in einem Karneval von eingeredeten Wünschen, die zufrieden zu stellen sind. Wunschlisten werden erstellt, empfunden als Bedürfnisse, um sie dem Weihnachtsmann zu schicken. Es sind die Wünsche, die die Firmen wollen, dass wir sie wünschen. Álvaro Colóm erscheint hier und dort als Weihnachtmann, geschickt von seinen obersten Wichteln, die auch Marketing-SpezialistInnen sind, und bittet die Armen in Guatemala um ihre Bedürfnislisten. "Ab sofort haben die Armen das Privileg", hat er gesagt. Er sprach von dem Wunder, das uns in diesem Zauberland geschehen ist: Der Triumph seines politischen Vorschlages, den er "Sozialdemokratie mit Maya-Gesicht" genannt hat. Sein erster Ausflug ins Landesinnere ging drei Tage nach Amtsübernahme in den Ixcán, Quiché. Dort wollte er das Programm der Ländlichen Entwicklung einweihen, das laut der Tageszeitung Prensa Libre vom 18. Januar 2008 mit der Befragung der 42 ärmsten Gemeinden nach ihren Bedürfnissen startete. Nur ist das Angebotspaket des Präsidenten bereits vor dieser Bedürfnisklärung geschnürt: Er will die Abdeckung in den Bereichen Bildung und Gesundheit erweitern und den Bau der Verbindungsstrasse Transversal del Norte beschleunigen - ohne dabei jedoch zu erwähnen, dass dieser Fernweg mehr als die lokale Bevölkerung die Erdölunternehmen interessiert, die sich 99% von dem, was unser ist, mitnehmen. Er sagte weder ein Wort zu dem Staudamm von Xalalá, dem sich 170 Gemeinden widersetzen, noch zu der souveränen Ausübung der Demokratie, den die Volksbefragungen darstellen. Die "Sozialdemokratie mit Maya-Gesicht" hat ein Herz, das nach dem Rhythmus des Plan Puebla Panama schlägt. Entsprechend antwortete ein US-amerikanischer Handelsbeauftragter auf die Frage eines Journalisten, wonach denn diese Sozialdemokratie klinge, die Colóm gebetsmühlenartig wiederholt: "Uns interessiert ausschliesslich der freie Markt" - der ihre, wohlgemerkt. Der Rest sind Worte (in seinem Präsidentschaftsdiskurs postierte er uns alle "in die Nähe Gottes"!), Trachtenkleidung, Weihrauch, bunte Kerzen, Marimbas im Ensemble, ehrwürdige Mayas und… mit den Fingern gegessener Atol. Ich weiss, dass in diese Regierung, wie in die kürzlich abgetretene, Kameraden und Kameradinnen eingestiegen sind, die aus der revolutionären Bewegung kommen. Ich weiss auch, dass es nicht richtig ist, Verallgemeinerungen zu äussern. Es sind nicht alle gleich: die einen lassen sich kaufen um zu sehen, was sie herausbekommen und andere nehmen die Herausforderung an, um zu sehen, was sie verändern können. Aber es ist nicht in Abrede zu stellen, dass das Szenarium, das wir vor uns haben, nicht zu verstehen ist ohne die Personen, die es hinter den Kulissen in Bewegung halten: UnternehmerInnen des Bergbaus, UnternehmerInnen der Pharmaindustrie, Industrielle, Financiers, AgrarexporteurInnen, Paten verschiedener Coleur, straflose Völkermörder…, und dann noch die Geier der multinationalen Firmen und der Staaten des Nordens. Mit diesen hat Colóm eine Stunde nachdem er uns, dem Pöbel, unsere Tasse mit Atol de Elote geschenkt hat (J.M. Chacón in www.albedrio.org am 17. Januar 2008), mit Champagner angestossen. Wie Souffleure achten sie darauf, dass die Worte und das Schweigen des Präsidenten am richtigen Ort platziert sind. Nach oben |
In dem korrekten Schweigen verbleibt derweil die Erinnerung der Maya, die Justiz gegen Völkermörder, Mafiosi und Frauenmörder, die Agrarreform, das Minengesetz, das Wassergesetz, der aussaugende Freihandelsvertrag TLC, das Gesetz des Intellektuellen Eigentums mit seinem Verbot für generische Produkte, die Privatisierung des Wassers und der Dienstleistungen, die Geschäfte der grossen Wasserkraftwerke, die Geschäfte der Produktion von Biotreibstoffen anstelle von Nahrungsmitteln, der fehlende Respekt von Arbeitsrechten, die Legitimität der Volksbefragungen, die Steuern der Reichen und, und, und. Es bleibt fast nichts. Die Allianz der Indigenen und BäuerInnen-Gemeinden des Nordens reagieren auf den ironischen Besuch von Colóm im Ixcán mit folgenden Fragen: "Warum haben Sie den Ixcán ausgewählt, um Ihren Plan bekannt zu geben? Was steckt hinter dieser Wahl? Was sollen diese Angebote ausgerechnet hier statt an Orten, wo der Hunger viel schrecklicher grassiert? Sollen diese Angebote etwa nichts mit dem Vorhaben des Wasserkraftwerks von Xalalá zu tun haben? Und die Warnungen, die Sie abgegeben haben: Soll damit möglicherweise erreicht werden, dass die lokalen Initiativen geschwächt werden und wieder mit einem Paternalismus-Tanz begonnen werden kann?... Unsere Armut wird nicht dadurch gelindert, dass Listen von Bedürfnissen angelegt werden. Unsere Armut wird dann gelindert, wenn es in Guatemala soziale Gerechtigkeit, Beteiligung, Einschluss und fachliche Unterstützung auf dem Land gibt, wirklich, Don Alvarito." Das Wortpaar "Bedürfnisse - Paternalismus" ist in Guatemala traurigerweise mehr als bekannt. Es ist nicht fern vom Rassismus und Genozid. Die ZivilisationsbringerInnen der liberalen Epoche haben es schon gesagt: "Wir schaffen Bedürfnisse unter den Indios, um sie zu zivilisieren." Und sie haben sie in Viehwagen zu ihren Kaffeefincas gekarrt. Einhundert Jahre später haben die Völkermörder des letzten Krieges festgestellt, dass die "Indios" sich von den Aufständischen "hereinlegen" liessen, denn diese nahmen sich ihrer Bedürfnisse an. Also erfanden die Kriegsherren die Strategie der verbrannten Erde, während sie Gewehre und Frijoles verteilten. Doch das Volk soll allein sich selbst untergeben sein: seine Bedürfnisse identifizieren und über die Heilmittel entscheiden. Dass bloss niemand komme mit arrangierten Vorschlägen, um nach Bedürfnislisten zu fragen. |
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