Jetzt ist Álvaro Colom am Steuer!?
Fijáte 402 vom 23. Jan. 2008, Artikel 3, Seite 4
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Jetzt ist Álvaro Colom am Steuer!?
Guatemala, 16. Jan. Am Montag hat der 47jährige Textilingenieur Álvaro Colom die guatemaltekische Regierungsführung übernommen. Am Vormittag war der neue Kongress eingeschworen worden, während Colom in Begleitung seines Vizes, Rafael Espada diverse bilaterale Treffen mit den zum Anlass angereisten Staatschefs und FunktionärInnen abhielt. Nachmittags fand der protokollarische Akt im Kulturzentrum Miguel Angel Asturias statt, dem ein symbolträchtiges "BürgerInnenfest" auf dem Platz der Republik folgte, zu dem 30´000 Leute erwartet wurden. Der Einstieg in seine Präsidentschaftsrede war durchaus bemerkenswert: Colom bedauerte vor dem nationalen wie internationalen Forum die Tausenden von Toten und Menschenrechtsverletzungen, die während des bewaffneten internen Konflikts begangen worden waren und erkannte die Notwendigkeit an, sich dieser Vergangenheit zu stellen und die nationale Versöhnung voranzubringen. Auch wenn er es vermied, die für jene Gemetzel verantwortlichen Sektoren direkt anzusprechen, war seine Botschaft an die Armee und die Militärs jener Zeit eindeutig. Doch der Rest der 47minütigen Rede erschien mehr improvisiert als fundiert und überzeugend. Erwin Pérez fasst sie denn auch zusammen als Kehrreim seiner Wahlkampagne unter einer sog. "sozialdemokratischen" Flagge: "Heute beginnt das Privileg der Armen". Die gesellschaftliche Entwicklung sei Priorität, das politische System müsse modifiziert, entwickelt werden - Colom rief auf zur nationalen Einheit. Als seinen Regierungsplan detaillierte er vier Programme: Nationalität, Produktivität, Regierungsfähigkeit und Solidarität. Daneben will der neue Präsident sich für den Tourismus, die Umwelt, die Erfüllung der Friedensverträge, den Respekt der Menschenrechte und die Religionsfreiheit engagieren. Dafür bat er die Abgeordneten die bereits auf den Weg gebrachten Gesetze zur Bekämpfung der Mafias, des organisierten Verbrechens und der Jugendbanden zu unterstützen. Er werde das Justitzsystem unterstützen, um "die Straflosigkeit" zu besiegen, die im Land herrscht und kündigte einen "Kampf ohne Kaserne" gegen die "globalisierten Mafias" an. Die ersten Ergebnisse sollen in den ersten 100 Tagen seiner Amtsführung spürbar sein. Anstelle der Erhöhung von Steuern oder der Änderung der Steuerstruktur sprach er vom Erreichen von Vereinbarungen und Konsensen. Auch wenn er sich mit seiner "Sozialdemokratie" auf den "demokratischen Frühling" der revolutionären Regierungen zwischen 1945 und 1954 berief, dem durch den Sturz von Präsident Jacobo Arbenz ein Ende gesetzt wurde, schloss Colom aus, dass sein Projekt eine Bedrohung für das freie UnternehmerInnentum und den Privatbesitz darstelle. Mit diesem Versprechen sicherte er sich das Plazet des Unternehmenssektors. Ohne anzugeben, wie er dies zu erreichen gedenkt, kündigte er an, Tausende von Arbeitsplätzen schaffen zu wollen. "Das ist ganz einfach", so sein Kommentar, schliesslich habe er das ja inmitten des Krieges auch geschafft, als er den Friedensfond FONAPAZ geleitet hatte. Mittels Kooperativen und kleinen Unternehmen will er die Produktivität fördern und ruft die Grossunternehmen zur "sozialen Verantwortung" auf. Die Wiederbelebung eines Rundtisches mit dem Unternehmenssektor soll "klare Regeln" schaffen. Colom verspricht eine Regierung mit "Maya-Gesicht", dessen grösste Herausforderungen seien, die öffentliche Unsicherheit zu bremsen, in der täglich durchschnittlich 16 Personen getötet werden, die Situation von mehr als der Hälfte der Bevölkerung zu verbessern, die in Armut lebt und die indigene Bevölkerung aus der Ächtung zu befreien. Auch den Einschluss der Frauen erwähnte er - am Rande. Derweil fasst sich der scheidende Präsident, Oscar Berger, kurz, bezeichnete es als eine Ehre, dem Land vier Jahr lang vorgestanden haben zu dürfen und versicherte seinem Nachfolger, diesem ein Land in "solideren und ordentlicheren" Konditionen zu überreichen, als wie er es vorgefunden hatte. Der Zeremonie wohnten die Präsidenten von Mexiko, Brasilien, Ecuador, Venezuela, Kolumbien, Taiwan, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Costa Rica und Panama, der spanische Prinz Philipp von Asturien, zehn KanzlerInnen und mehr als 1500 Delegierte bei. Die Maya-Instrumente Tum und Chirimía, die in den Gemeinden noch bei religiösen Anlässen benutzt werden, stellten die musikalische Untermalung. Nach oben |
Abgelöst wurde diese im Anschluss im Zentrum der Hauptstadt von 40 Marimbas und folklorischen Tänzen und Weihrauch. VertreterInnen der 23 Völker der Maya, der fast ausgestorbenen Xincas und der Garífunas in ihren jeweiligen Trachten richteten ein Grusswort an den neuen Präsidenten, doch für indigene Organisationen stellte diese Vorführung nicht mehr als eine Beleidigung und die Botschaft dar, dass die indigenen Völker für alles "Kulturelle" herhalten dürfen, was sich auf die Folklore und das entsprechende Ministerium beschränkt. Gleichwohl nutzte der Vertreter des Ältestenrat der Maya seinen Diskurs, um mit klaren Worten den herrschenden Rassismus anzuprangern, obwohl doch alle - Reiche, Arme, Weisse, Schwarze oder Mestizen - den gleichen Wert haben und Respekt verdienen, da sie nützlich sind für die Entwicklung des Landes. Anschliessend überreichte er Präsident Colom das traditionelle Regierungszepter des Ältestenrates und liess diesen schwören, Präsident aller GuatemaltekInnen zu sein und nicht nur einer privilegierten Gruppe. Hoffentlich sei er nicht der Botenjunge der UnternehmerInnen, schloss der alte Herr unter Applaus. Colom nutzte die Gelegenheit anzukündigen, eine indigene Botschaft zu kreieren, um die Kommunikation mit den anderen indigenen Völkern Amerikas zu fördern. Dabei machte der neue Präsident durchaus den Eindruck, sich mit der der Maya-Kultur beschäftigt zu haben und lud schliesslich die Anwesenden ein, nicht, wie üblich, mit Sekt, sondern mit "Atol de Elote", einem Getränk aus Mais, anzustossen. Allein die auf wenige Stunden beschränkte Anwesenheit von Venezuelas Präsident Hugo Chávez sorgte für etwas Unruhe. Am Montagvormittag demonstrierten SympathisantInnen in der Gegend des Hotels, in dem Chávez untergebracht sein sollte, doch dieser erfüllte ihre Hoffnung nicht, sich blicken zu lassen. Colom wiederholte indes seine Absicht, die Möglichkeit für Guatemala zu eruieren, sich dem Energievorhaben Petrocaribe anzuschliessen. Chávez seinerseits bestätigte das Interesse Venezuela, entsprechend in Guatemala zu investieren und mittels halbstaatlichen Erdölunternehmen die Energieversorgung des Landes zu stärken. Der guatemaltekische Unternehmenssektor hingegen kritisierte Chávez Anwesenheit und Coloms Vorhaben harsch. Am Dienstag wurde Álvaro Colom schliesslich als Generalkommandant der Streitkräfte ernannt. Als solcher forderte er vom Militär strikte Loyalität und versicherte, selbst loyaler Chef zu sein. Während ihm der frisch ernannte Verteidigungsminister Marco Tulio García die "Unterwerfung der Armee unter die zivile Macht" garantierte, versprach Colom die Stärkung der Boden- und Lufttruppen. Guatemala brauche eine Armee, die eine Friedensfunktion erfülle, solidarisch mit der Bevölkerung bei Naturkatastrophen, und die gemeinsam mit den zivilen Sicherheitskräften den Kampf gegen das organisierte Verbrechen führe. Das Militär wird auch weiterhin die Zivile Nationalpolizei (PNC) bei ihren Operationen gegen das gemeine Verbrechen unterstützen, kündigte Colom an. |
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