Erste Destabilisierungsversuche gegen die neue Regierung
Fijáte 404 vom 20. Feb. 2008, Artikel 5, Seite 4
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Erste Destabilisierungsversuche gegen die neue Regierung
Auch wenn Präsident Coloms erste Aktionen in Sachen Innere Sicherheit als unzureichend, ineffizient und als nichts Neues kritisiert wurden, waren die ersten drei Wochen seiner Regierungsführung doch geprägt von einer gewissen erwartungsvollen Stimmung. Kritik wurde zwar geübt, konnte jedoch als wohlwollende Verbesserungsvorschläge angesichts des präsidialen Übereifers interpretiert werden. Colom hatte sich schliesslich hohe, unterstützenswerte Ziele gesetzt: "Die Kriminalität bekämpft man mit Intelligenz!" lautete sein Motto. Hehre Pläne - spärliche ResultateAngekündigt wurde, dass landesweit lokale "Sicherheitsjuntas" und Netzwerke von InformantInnen geschaffen werden, die die Ermittlungsarbeit der Behörden unterstützen sollen. Besonderes Augenmerk wurde gleich auf die "roten Zonen" in der Hauptstadt gelegt, in denen in den ersten Wochen rund 3´050 Personen bei Razzien festgenommen wurden. Gegen 240 von ihnen hätten Haftbefehle vorgelegen. Als Pilotprojekt funktioniert zudem in zwei Zonen seit Anfang Februar der "Quadranten-Plan": Eine Gruppe von staatlichen Sicherheitskräften, die vorerst vom Militär sekundiert wird, das jedoch nach und nach abgezogen werden soll, ist für einen abgezirkelten Abschnitt, einen "Quadranten", der Stadtbezirke zuständig und sollen durch ihre ständige Präsenz und den Kontakt zur Bevölkerung Verbrechen verhindern. Zumindest in der ersten Zeit stehen diesen Einheiten die chilenischen Carabineros zur Seite. Im Moment, so informierte Innenminister Vinicio Gómez dieser Tage, ist einE PolizistIn theoretisch für ein Gebiet von ca. 22 km² und somit für die Sicherheit von rund 2´400 EinwohnerInnen zuständig.Dabei kursierte noch kürzlich die Information, dass es im Jahr 2007 23 Munizipien gegeben habe ohne Präsenz der Nationalen Zivilpolizei (PNC), in 10 davon gab es noch nie eine Wache, in den übrigen waren diese aus verschiedenen Gründen geschlossen worden. Und: Im Vergleich zu willkürlich ausgesuchten anderen Munizipien mit Polizeipräsenz waren die Verbrechensraten in den PNC-freien deutlich geringer. Neben der Erklärung kultureller Natur, all diese Munizipien lägen schliesslich im als friedlicher bekannten Westen des Landes, war noch beobachtet worden, dass es hier so gut wie keine Bars und Kneipen, also deutlich weniger (öffentlich ausgeschenkten, die Red.) Alkohol gebe, der die Gewalt oft anheize. Zwar weist das Innenministerium darauf hin, dass die Kriminalitätsraten in der kurzen Zeit unter Colom wenn auch minimal, so doch zurückgegangen seien. Letztlich endeten bislang die meisten der verkündeten Festnahmen jedoch mit einer Freilassung, auch wenn es sich bekanntermassen um Personen handelte, die mit Erpressung, Raub oder gar Mord in Verbindung gebracht werden. Doch im Moment der Festnahme lagen schlicht keine ausreichenden Beweise vor, die eine Haft gerechtfertigt hätten, da die Razzien eher mit grossem Spektakel ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit wegen durchgeführt wurden, denn aufgrund fundierter vorheriger Ermittlungen. Unerheblich waren bei diesem Resultat dann die vermeintlichen Erträge von beschlagnahmten Drogen und Waffen. Hingegen gingen der Polizei dabei so einige mutmassliche Köpfe von Jugendbanden im wahrsten Sinne des Wortes: durch die Finger. Mordserie an BusfahrernUnd gerade noch hatte Colom versichert, dass es in seiner Regierung keine parallelen Körperschaften gebe, als am 5. Februar mit den konzertierten Morden an fünf Busfahrern und einem ayudante innerhalb zehn Tagen eine Serie von insgesamt 15 Morden an Busfahrern und deren Gehilfen losgelöst wurde. Dies beförderte das Land in eine Welle aus Wahn, Angst und tiefe Verstörung, die nicht absehbare Folgen haben wird und von der die Sicherheitsexpertin und Menschenrechtsaktivistin Iduvina Hernández von Sicherheit in Demokratie (SEDEM) gar den Eindruck eines versuchten Staatsstreiches hatte. In den gleichen Tagen ging zu allem Überfluss nämlich noch per E-Mail und Textnachricht auf Mobiltelefone das Gerücht um, dass die Bank Agromercantil, eines der renommierten und soliden Geldinstitute des Landes, kurz vor dem Zusammenbruch stünde. Eine ähnliche Unterstellung wurde Ende 2006 bereits im allgemeinen Bankenchaos der Bank G&T nachgesagt, was damals dazu führte, dass die KundInnen völlig verunsichert in kurzer Zeit ihre Gelder abhoben und dadurch das Finanzsystem extrem schwächten. Heuer wurde zumindest der als "schwarze Kampagne" bezeichneten Falschinformationsverbreitung gleich am nächsten Tag von der Bankenaufsicht erfolgreich der Wind aus den Segeln genommen. Die Morde an den Busfahrern hingegen haben Guatemala tatsächlich an den Rand eines Kollapses gebracht. Gezielt, professionell und koordiniert vorgehend, über die ganze Stadt und den ganzen Tag verteilt, zu Stosszeiten und an menschenreichen Orten gingen die Täter vor - oft von Luxusautos eskortiert. Ziel waren sowohl Angestellte von Busunternehmen, die innerstädtische Routen abdecken, als auch solche, die den Personentransport zwischen Hauptstadt und Departements gewährleisten. Die Hypothesen1. Laut eines Geheimdienstberichtes seien die Aktionen von einer Gruppe von Militärs koordiniert, die dem Offiziersjahrgang 1972 angehören und von Colom am Freitag zuvor ihrer Posten enthoben wurden, um sie auf ihre Verbindungen zu politischen Parteien und parallelen Gruppen hin zu überprüfen. 2. Carmen Aída Ibarra von der Myrna-Mack-Stiftung und Iduvina Hernández (SEDEM) schliessen nicht aus, dass es sich um eine Konspiration aus der eigenen Regierung handelt. Gerichtet sei sie gegen Innenminister Vinicio Gómez, da dessen Sicherheitsplan nicht dem entspreche, was während der Wahlkampagne der Nationalen Einheit der Hoffnung (UNE) ausgearbeitet worden sei. Gómez soll demnach diskreditiert und der UNE-Plan mit den entsprechenden Leuten implementiert werden. 3. Die Staatsanwaltschaft und die Kriminalpolizei (DINC) sind der Meinung, es handle sich um Racheakte von Seiten der Jugendbanden (maras) gegen die Transportunternehmen, da diese sich weigerten, die Zirkulationssteuern zu zahlen, die die maras erheben. - Dagegen spricht jedoch, dass sich die maras damit selbst eine Grube graben, da sie erwarten müssen, dass die Sicherheitsmassnahmen wegen der Morde erhöht werden, was ihre Steuererpressung erschweren würde. Ausserdem stellt sich die Frage, welches Interesse die maras an einer Destabilisierung der Regierung in diesem Ausmasse haben. 4. In diese Richtung geht auch der Erklärungsansatz, die maras wollten sich rächen, da am Montag, am Tag vor den fünf Morden, zwei mareros getötet worden waren, die gerade von einem Busfahrer die vom Unternehmen erpressten 50´000 Quetzales kassierten. 5. Und auch die Hypothese, die maras wollten noch mehr Angst unter den Geschäftsleuten verbreiten, die auch von ihnen erpresst werden, aber seit kurzem verstärkt von der Kriminalpolizei "beraten" werden, was zu mehr Festnahmen von Bandenmitgliedern geführt haben soll, ist schwach. 6. Während Polizeidirektor Isabel Agustín Mendoza nicht ausschliesst, dass es sich um frustrierte aus dem Dienst entlassenen ehemalige PolizistInnen handeln könnte, kann sich 7. Iduvina Hernández schliesslich auch vorstellen, dass die Welle der Gewalt die Bevölkerung dazu bringen soll, wieder mehr Militärpräsenz zu fordern. Erst in der Woche zuvor hatte Colom den schrittweisen Rückzug der Armee aus den Aufgaben der öffentlichen Sicherheit angekündigt. Infolgedessen wird das Verteidigungsministerium auf 10 Mio. Quetzales verzichten müssen. Nach oben |
8. Zuguterletzt verfeinerte Álvaro Colom inzwischen seinen Verdacht, den er von Anfang an hatte. Er sah in der Attacke gleich die klare Botschaft eines Destabilisierungskomplotts gegen seine Regierung. Ein durch die Morde provozierter Generalstreik der Transportunternehmen sollte das Land in die völlige Unregierbarkeit versetzen. Dies sei die Gegenreaktion auf die angezogenen Sicherheitsmassnahmen und ersten tiefer gehenden Ermittlungen gegen parallele Körperschaften. Speziellen Verdacht hegt Colom gegen Gruppen des organisierten Verbrechens, die sich dem Schmuggel widmen (wobei er die Art desselben nicht detaillierte), denn die Steuerbehörde (SAT) sei so manchen dunklen Machenschaften derzeit auf der Spur. 9. Am wahrscheinlichsten klingt bislang die Theorie, dass die maras von Hintermännern mit den Taten beauftragt, dafür bezahlt und mit der nötigen Infrastruktur und Information ausgerüstet und unterstützt wurden. Dirigiert und koordiniert sollen die Morde von mindestens drei inhaftierten mara-Mitgliedern worden sein, die in der Hauptstadt und in Chimaltenango einsitzen. Zwei "Strohfrauen" und ein weiterer marero wurden dabei gefasst, wie sie erpresste Steuergelder einsammelten und den Häftlingen übergaben. Zudem sollen die Inhaftierten wenige Tage zuvor dafür gesorgt haben, dass zwischen 30 und 50 Mobiltelefone an Busunternehmer verteilt wurden, über die diese informiert wurden, dass die Lösegeldsumme erheblich erhöht werde. Nach dieser Ankündigung kam es am nächten Tag gleich zu den ersten fünf Morden. Die Reaktionen180 Busfahrer haben seitdem ihren Job gekündigt. Bei einer Demonstration in der letzten Woche, auf der die Busfahrer und ihre Gehilfen mehr Sicherheit in den Bussen und auf den Strecken forderten, kam es zu einem zusätzlichen Verbrechen. Laut ZeugInnen seien drei Polizisten auf der Demonstration erschienen, vermeintlich, um diese aufzulösen. Dabei nahmen sie drei jugendliche Busgehilfen fest und als einer von diesen davonlief, wurde von den Polizisten auf ihn geschossen. Er erlag noch am Ort des Geschehens seinen Verletzungen. Die anderen beiden Jungen wurden mit auf das Kommissariat der berittenen Polizei genommen, wo sie nach eigenen Aussagen mit Schlägen und im Verhörraum ausgesetztem Tränengas gefoltert wurden, während die Polizisten wissen wollten, wer zu der Demo aufgerufen hatte. Die drei in die Tat involvierten PNC-Agenten sitzen in Untersuchungshaft, angeklagt wegen aussergerichtlicher Hinrichtung. Die meisten Busunternehmen, die tagelang ihre Arbeit komplett niedergelegt hatten und zum Teil noch haben, vertrauen indes auf die Regierungsversprechen und deren Aktionen "Sicherer Bus", die das Mitfahren von PolizistInnen- und Militärduos und teilweise verdeckten AgentInnen beinhalten, und "Sichere Haltestelle", sprich Reduzierung der Stopps und Polizeipräsenz an den Haltestellen, Busbahnhöfen, sowie erhöhten Einsatz von Motorradpatrouillen und Eskorten der Busse. Um diese Verstärkung zu gewährleisten, haben sowohl die Polizei als auch das Militär bereits einige ihrer Leute aus dem Landesinneren in die Hauptstadt beordert, wobei viele Munizipien eh schon unterbesetzt sind. Colom und das Innenministerium ziehen zudem in Erwägung, im Osten des Landes und in den Grenzregionen den Ausnahmezustand zu deklarieren. Der Präsident hatte schon in den ersten Tagen die Ermittlungsunterstützung der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) erbeten, dessen Chef, Carlos Castresana, sagte bereits zu. Angeblich sind schon vier mutmassliche Täter festgenommen und drei Banden identifiziert, die die Taten ausgeführt haben sollen. Der Kongress hat derweil beschlossen, einen bei der Weltbank beantragten Kredit statt in Dünger, Entschädigungszahlungen an Opfer des bewaffneten internen Konflikts und Belohnungsgelder für Aufforstungsinitiativen in die Stärkung des Forensischen Instituts (INACIF) und weitere für die Kriminalermittlung nötige Strukturen zu stecken. Ausserdem werden jetzt wieder diverse Gesetzesinitiativen herausgekramt, die seit langem zu billigen oder zu reformieren sind, darunter das Gesetz zu Waffen und Munitionen. Unterdessen meldete sich Otto Pérez Molina von der Patriotischen Partei, der Colom in der finalen Stichwahl ums Präsidentenamt unterlag und sich mit seinem Wahlslogan "Harte Hand" für die Verbrechensbekämpfung zu empfehlen versucht hatte, kritisch zu Wort. In den Kanon stimmte auch Alejandro Giammattei ein, der als Präsidentschaftskandidat für die Grosse Nationale Allianz (GANA) auf dem dritten Platz gelandet war und als Direktor des Gefängnissystems im September 2006 mit einer aufsehenheischenden Aktion das Gefängnis Pavón stürmen liess, bei dem sieben als Drogenbosse geltende Männer getötet wurden - aussergerichtlich hingerichtet, wie der Bericht des Menschenrechtsprokurats aufweist. Beide resümierten selbstgefällig, die neue Regierung wisse nicht, wie der Gewalt zu begegnen sei und habe keine Strategie (Pérez) bzw. sie habe keinen konkreten Sicherheitsplan (Giammattei). Neben jeweils eigenen Vorschlägen waren sie sich noch in einem anderen Punkt einig, der schliesslich gar von Colom übernommen und derzeit heftig diskutiert wird: Die Notwendigkeit der Wiederausführung der Todesstrafe, deren Anwendung während der letzten sieben Jahre in einem juristisches Vakuum gesteckt hat (siehe separater Artikel). |
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