¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Das Ausmass unserer Angst
Fijáte 405 vom 05. März 2008, Artikel 7, Seite 6
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¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Das Ausmass unserer Angst
Noch bevor der erste Monat seit Amtsübernahme vorbei ist, stand die Regierung schon vor ihrer ersten "Feuerprobe", einer Welle von Morden gegen Fahrer und Gehilfen des öffentlichen Personennahverkehrs. Präsident Colom erklärte, dass es sich um einen Komplott gegen seine Regierungsführung handle, "eine klare Botschaft, um uns zu destabilisieren, denn die Angriffe waren an strategischen Orten geplant, durchgeführt mit Fahrzeugen jüngster Jahrgänge. Den Busfahrern wurde nichts geklaut und angesichts der Art und Weise, wie sie getötet wurden, können wir sagen, dass es Profis waren". Der Präsident verwies auf Gruppen des organisierten Verbrechens (Prensa Libre, 7. und 10. Februar 2008). Laut den vorhandenen Daten wurden allein zwischen dem 5. und 12. Februar mindestens 20 Männer ermordet, Busfahrer und -gehilfen. Von Anfang an übernahm die Tageszeitung Prensa Libre die Hypothesen, die verschiedentlich auf Mitglieder des Militärs deuteten, die in Verbindung mit dem organisierten Verbrechen stehen sollen. Unabhängig davon beschuldigt das Innenministerium in seinen Aussagen stets die Jugendbanden (maras), schliesst hingegen die Beteiligung des organisierten Verbrechens an den Taten aus. Da tut sich eine verdächtige Differenz zum Präsidenten auf. Als wäre das noch nicht genug, verkündete der Innenminister am 15. Februar, dass 31% der Personen, die in den letzten dreissig Tagen bei Gewalttaten ums Leben gekommen sind, polizeiliche Vorstrafen aufwiesen. Diese Nachricht trug den Titel: "Tote waren vorbestraft"; ein böswilliger Versuch, die Lesenden zu irritieren, denn das Wort "Tote" bezog sich direkt auf die Busfahrer und Gehilfen, die in der letzten Woche umgebracht worden waren, aber der Innenminister nahm Bezug auf alle Ermordeten des letzten Monats. Der Menschenrechtsprokurator wies den Minster zurecht und stellte die Sache richtig: "Das Problem besteht nicht darin, das Opfer für seine Vorgeschichte zu verurteilen, die Verpflichtung besteht darin festzustellen, wer es getötet hat." Es ist ein Leichtes, die Strategie des Innenministers zu durchschauen: Er will die Aufmerksamkeit von jeglicher intelligenten Analyse ablenken, indem er zu den weit verbreiteten Stereotypen in Sachen Delinquenz greift. Und dabei gibt er durch die Blume zu verstehen, dass es keinen Grund zur Besorgnis gebe, da ein Grossteil der Getöteten ohnehin Kriminelle gewesen seien. Deswegen müssten auch gar nicht allzu viele Ermittlungen angestellt werden, um die Verantwortlichen auszumachen. Diese Woche herrschte ein Klima des Chaos´: Zwingen uns die mareros oder das organisierte Verbrechen in die Knie? Welche Verbindungen bestehen zwischen den beiden? Und zur Nationalen Zivilpolizei? Und zu Leuten aus der Regierung? Und zu Abgeordneten des Kongresses? Wer streicht den Gewinn aus dem massiven Verkauf von illegalen Waffen ein, die im Land zirkulieren? Wer zieht Profit aus dieser Industrie der Angst: Munitionen, Waffen, Alarmanlagen, private Sicherheitsleute? Wer hat Interesse daran, jeden Tag unsere Angst zu nähren? In diesem chaotischen Klima, das ein Kommentator als sozialen Schock bezeichnete (und damit an das anregende Buch "Die Schock-Doktrin" von Naomi Klein erinnerte) legten die Oppositionspolitiker Otto Pérez Molina (der mit der "harten Hand") und Alejandro Giammattei von der GANA am 11. Februar dem Kongress eine Reihe von Vorschlägen vor, um "die Gewalt zu bremsen". Der erste lautete: die Todesstrafe reaktivieren, die blockiert war, seit Alfonso Portillo den Gnadenrekurs zugunsten der zum Tode Verurteilten suspendiert hatte. Nach oben |
Gleich am nächsten Tag verabschiedete der Kongress ein Dekret, mit dem die Begnadigung wieder hergestellt worden und der Weg freigemacht war für die Anwendung der Todesstrafe! 140 von 143 Abgeordneten stimmten dafür und applaudierten anschliessend enthusiastisch! Zwei Tage später führte Prensa Libre eine Umfrage per Telefon und via Internet durch: Sind Sie damit einverstanden, dass die Todesstrafe gegen die VerbrecherInnen verhängt wird? 97,4% der Antworten lauteten "Ja". Zum Glück sind die Kommentare der Presse vielfältiger. Ich schliesse mich den Gegenmeinungen an: Die Todesstrafe schreckt die Kriminellen nicht ab, das ist bereits bewiesen. Über welche Legitimität zur Verhängung der Todesstrafe verfügen denn die RichterInnen, die nicht in der Lage sind, Recht zu sprechen, oder nicht wissen wie, oder es nicht wollen? Werden sie auf einmal anfangen, gerecht zu sein? Die Todesstrafe in einem failed state, in dem die Straflosigkeit massiv an der Tagesordnung ist? Die Todesstrafe für die AuftragsmörderInnen und keine Strafe für die intellektuellen TäterInnen? Und ebenfalls Straflosigkeit für die Völkermörder? Ich gestehe, die 97,4% der AnhängerInnen der Todesstrafe haben mich erschreckt. Ein angesehener spanischer Anthropologe, Manuel Delgado, spricht von der Klarheit der Massen. Er meint, dass die Massen nicht auf abstrakte Prinzipien antworten ("sie haben weder Seele noch Gewissen") sondern darauf aus sind, soziohistorische Bedürfnisse zu befriedigen und zwar zügig und vehement, mit Eile und Ungeduld. Sie antworten auf das Konkrete, besser als sonst irgendjemand. Vielleicht handelt es sich bei diesem Bedürfnis nach Wiedereinführung der Todesstrafe genau darum: um eine ungeduldige Antwort auf die Gefahr unseres gesellschaftlichen Klimas. Ich denke, die Leute, die für die Todesstrafe stimmen, reagieren - genauso wie sie ihre Stimme düsteren Völkermördern geben - impulsiv aufgrund ihrer Angst. Einmal mehr die Angst, das Angstklima. Aber die Angst ist nur eine Reaktion, sie ist keine Strategie. Die Angst haben wir mit den Tieren gemeinsam: fliehen, gelähmt sein, angreifen. Aber die Angst verändert nichts, sie führt zu nichts, sie dient allein dem Überleben. Was uns fehlt ist der Mut, uns der Gefahr zu stellen. Unsere Angst zu erkennen und auch die Quelle oder Person, die sie provoziert; und uns dieser zu stellen mit all den Ressourcen, die uns einfallen. Es stimmt schon, für den Moment breitet die Umfrage von Prensa Libre mit ihren 97,4 Prozent vor uns das Ausmass unserer Angst aus. Bis hierhin ist alles klar. Aber wann verstehen wir unsere Angst? Und wann stellen wir die wahren AgentInnen dieses Chaos? |
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