"Buenos días, seguimos en guerra"
Fijáte 446 vom 21. Oktober 2009, Artikel 2, Seite 3
Original-PDF 446 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 --- Nächstes Fijáte
"Buenos días, seguimos en guerra"
Der Film der Schweizer Regisseurin Anita Blumer wurde am Zürcher Filmfestival ur-aufgeführt. Beim Guatemala-gewohnten Publikum hinterlässt er Kopfschütteln und einen gewissen Ärger. Wer Guatemala nicht kennt, erhält durch den Film wohl ein ziemlich verschobenes Bild über das Land und seine aktuelle Situation. Nein, es geht in diesem Film nicht um das Aufspüren von Zusammenhängen zwischen der nicht aufgearbeiteten Gewalt des internen Konfliktes von Guatemala und der neuen Art der Kriegsführung, der sogenannten kriminellen Gewalt, die das Land in Angst und Schrecken hält. Es geht auch nicht um diesen schleichenden Übergang von Krieg zu Nicht-Frieden, in dem die Gewalt nicht aufhört, sondern bloss die Form ändert. Und leider geht es auch nicht darum, eine Verbindung zwischen Gewalt und Politik, politischer Gewalt und gewalttätiger Politik aufzuzeigen. All dies und noch mehr verspricht nämlich der Titel. Im Dokumentarfilm "Buenos días, seguimos en guerra", geht es um zwei individuelle Schicksale, beispielhaft für viele, die sich im Kontext von Gewalt abspielen. Die Geschichte von Michelle, einem achtjährigen Mädchen, das in dem kleinen Städtchen Camotán auf dem Weg von seinem Haus zur nahegelegenen Papeterie von einer Frau entführt wird und zwei Tage später tot, vergewaltigt und misshandelt gefunden wird. Das Dorf verdächtigt drei Frauen der Entführung, und in einem Akt brutaler Selbtsjustiz töten die DorfbewohnerInnen eine der Frauen, die zweite erleidet schreckliche Verbrennungen, und die dritte überlebt, weil sie ein Geständnis ablegt. Später werden die zwei überlebenden Frauen vom Gericht zu je 50 Jahren Gefängnis verurteilt, von ihren AuftraggeberInnen fehlt jede Spur. Die andere Geschichte handelt von einem ehemaligen Marero, der erzählt, wie er zur Mara kam, wie er Morde beging und weshalb er den Ausstieg wollte und offenbar auch schaffte. Und mit welchen Problemen er nun, als stigmatisierter junger Mann, zu kämpfen hat. Emotional wird er erst, als er von seinem kleinen Sohn zu sprechen beginnt, dem er "ein besseres Leben ermöglichen" will. Die Geschichte des Mareros hat keinen direkten Zusammenhang mit der Geschichte von Michelle. Dass beide Phänomene Puzzlestücke eines komplexen politischen Konstrukts sind, wird leider weder erwähnt noch thematisiert. Gewalt, sei es nun die "allgemeine" der Raubüberfälle, Lösegeld-Erpressungen und Morde durch die Mareros oder die spezifische gegen Frauen, wird in diesem Film als persönliche Schicksale abgehandelt, was es durchaus in jedem Einzelfall auch ist. Ein politischer oder gesellschaftlicher Kontext wird jedoch nicht hergestellt: Kein Wort über das Erbe des Krieges, die rund 200'000 Toten und 45'000 Verschwunden, wenige Worte nur über die Straflosigkeit, der sich die Täter gewiss sind. Kein Wort darüber, dass Gewalt in Guatemala auch heutzutage noch ein strategischer und politischer Faktor ist, der je nach dem für Wahlkampagnen (der Kandidat mit "der harten Hand") oder zur Destabilisierung der Regierung eingesetzt wird (z.B. die zunehmende Ermordung von Busfahrern bei gleichzeitiger massiver regierungsfeindlicher Hetzkampagne in den Medien). Kein Wort auch darüber, dass sowohl die Mareros wie die drei Frauen, die Michelle ermordet haben, ebenso wie Tausende von GuatemaltekInnen, die in die verschiedensten Formen halblegalen Agierens involviert sind, nichts anderes als die Spielbälle der im Hintergrund agierenden Mächte (Drogenringe, Ex-Militärs, Grossgrundbesitzer, korrupte PolitikerInnen, klandestine Machtgefüge) sind - und bei Bedarf zu Sündenböcken gemacht werden. In der Geschichte von Michelle geht es am Rande auch um das "Phänomen der Frauenmorde", das im letzten Jahr mehr als fünfhundert Frauen das Leben kostete. Und es geht um die Stiftung Sobrevivientes und deren Gründerin Norma Cruz, welche Frauen, die Gewalt überlebt haben bzw. die Hinterbliebenen von Frauen, die ermordet wurden, juristisch und psychologisch berät und begleitet. Norma Cruz hat übrigens die Stiftung gegründet, nachdem sie ihren ehemaligen Partner, ein ehemaliges hohes Kader der FAR-Guerilla ins Gefängnis brachte, weil dieser jahrelang die gemeinsame Tochter sexuell missbraucht hat. Nach oben |
Nicht ganz klar ist, was der junge Fotograf in dem Film verloren hat, der für eines der guatemaltekischen Boulevard-Blätter von Gewalttatort zu Gewalttatort fährt und Fotos schiesst. Über die miese Rolle, welche die guatemaltekische Presse in der Repräsentation der ermordeten Frauen und überhaupt von Gewalt übernehmen - kein Wort. Ebenso unklar, was Alejandro Giammattei in dem Film zu suchen hat, der als "guatemaltekischer Politiker" eingeführt wird, und davon schwafelt, dass es eigentlich in Guatemala mehr Gutmenschen gibt als schlechte und dass es schade sei, dass immer nur die Schlechten Schlagzeilen machen würden. Unerwähnt jedenfalls bleibt, dass Giammattei, ehemalige Gefängnisdirektor und Präsidentschaftskandidat der GANA, im Sommer 2006 für die "Befreiung", sprich Stürmung des grössten guatemaltekischen Gefängnisses "El Pavon" verantwortlich war. Diese wurde zuerst als Erfolg gefeiert, später kam jedoch ans Tageslicht, dass im Rahmen der Stürmung ein paar kurz vor der Entlassung stehende Gefangene gezielt und extragerichtlich hingerichtet wurden. Weshalb ausgerechnet der "Gutmensch" Giammattei im Film zitiert wird, bleibt ein Rätsel. Dafür wird immer wieder, quasi als Bindeglied zwischen den beiden Hauptgeschichten, der Menschenrechtsprokurator eingeblendet, der irgendwelche Statistiken zitiert und Allgemeinplätze von sich gibt. Leider kommt in dem Film der Psychologe, der das Phänomen der kollektiven Angst erklärt, unter dem die guatemaltekische Gesellschaft leidet, viel zu kurz. Immerhin war die Regisseurin im anschliessenden Publikumsgespräch ehrlich genug, zuzugeben, dass sie anfänglich etwas anderes vorhatte - nämlich eine Art "Sozialgeschichte der Gewalt" aufzuzeigen. Davon ist jedoch nur noch der Filmtitel übriggeblieben. Ansonsten "sei der Film am Schnittpult entstanden" - halt aus den Teilen des vielen Filmmaterials, die etwas hergegeben hätten. Und auf die Frage, ob sie nicht etwas irritiert gewesen sei, dass im Fall der Ermordung von Michelle Frauen die TäterInnen gewesen seien, meinte sie, schockiert sei sie gewesen, aber diese Geschichte zeige eben, dass Gewalt kein geschlechtspezifisches Phänomen sei. In solchen Fällen wie jenem von Michelle werde oft Organhandel als Motiv vermutet, beweisen könne man es allerdings nicht. Ach, hätte doch nur jemand aus dem Publikum die Regisseurin darauf hingewiesen, dass, unabhängig von der Entführung des Mädchens durch Frauen, allein die Tatsache, dass sie vor ihrer Ermordung sexuell missbraucht wurde, doch ein ziemlich eindeutiges geschlechtspezifisches Phänomen ist. Die Schreiberin konnte es leider nicht, ihr hatte es schlicht die Sprache verschlagen. |
Original-PDF 446 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 --- Nächstes Fijáte