¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo - Kollateralschäden
Fijáte 445 vom 7. Oktober 2009, Artikel 5, Seite 5
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¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo - Kollateralschäden
Es ist nicht dasselbe, über Hunger zu reden oder hungrig zu sein, einer Generation von Hungernden anzugehören und in der Misere zu leben. Ich spüre etwas wie Scham beim Schreiben dieses Artikels. Ich würde erschauern - und könnte vielleicht den Text nicht zu Ende schreiben -, würden mich in diesem Moment die ausgetrockneten Augen einer Person anschauen, die nicht mehr lächeln kann und keine Antwort hätte, wenn ich sie nach ihrem Hunger fragen würde. Aber ich spüre auch Wut, und diese lässt mich weiterschreiben. Noch nie gab es so viele Hungernde auf der Welt wie heute, Tendenz steigend. Letztes Jahr sprach die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) von 925 Millionen, heute spricht die Direktorin des Welternährungsprogramms (WFP), Josette Sheeran, von über einer Milliarde. Ebenso steigt die Anzahl der Hunderttausenden von Privathaushalten, die nicht über das Lebensnotwendige verfügen (Trinkwasser, Gesundheitsversorgung, Bildung etc.). Von den rund 6,5 Milliarden Menschen, welche die Weltbevölkerung ausmachen, leidet fast die Hälfte, 2,8 Milliarden, an Unterernährung. Es ist erstaunlich, welch grosser Kontrast zwischen dieser massiven Tragödie und der minimalen Bereitschaft besteht, Hilfe zu leisten. Dieses Jahr hat diese minimale Bereitschaft ein historisches Ausmass angenommen: Der Mangel an Geldreserven beeinträchtigt die Hilfsprogramme für Länder wie Guatemala, Kenia oder Bangladesh, wie Frau Sheeran sagte, und sie traut sich anzumerken, dass mit weniger als 1% der Geldspritzen, welche die Regierungen weltweit ihren Ökonomien einverleibt haben, um das globale Finanzsystem zu retten, der Hunger auf der Welt hätte beseitigt werden können. Es ist irgendwie schrill, dass dies in einer Gesellschaft geschieht, die auf der Akribie der Wissenschaft aufgebaut ist. Kann die Wissenschaft denn nicht die Gesetze der Realität erkennen und Entwicklungen voraussagen? Ist die Ökonomie denn nicht die Expertin für Zahlen und Prognosen? Ist die westliche Kultur nicht fanatisch in der Planung? Wenn dem so ist, weshalb wächst proportional zum Reichtum die Misere auf diesem Planeten? Man muss keine gescheiten Bücher studieren, um zu verstehen, dass die Güter für die einen reichlich vorhanden sind und für die anderen fehlen und dass der Überfluss und der Mangel in einer Beziehung von Ursache und Auswirkung stehen. Der Hunger und die Armut sind keine Naturphänomene, sondern sie sind sozialer Natur, auch wenn die Massenmedien es anders darstellen: Die Nachrichten über den Hunger erscheinen nicht auf denselben Seiten wie die Berichte über die Ausschweifungen der Reichen. Fast scheint es subversiv zu sein, die Begriffe "reich" und "arm" im selben Atemzug zu nennen. Wie wenn es zwischen ihnen keinen intensivsten Zusammenhang gäbe! Es gibt zehn transnationale Unternehmen, die zusammen 80% des Weltmarkts für Grundnahrungsmittel kontrollieren. Dazu gehören die Schweizer Nestlé, die französische Danone-Gruppe, die US-amerikanische Monsanto. Ihre spekulative Praxis, zusammen mit jener der Ölmultis, garantieren ihnen ausserordentliche Gewinne, die zunehmend die Kaufkraft der Bevölkerung übersteigt. Nahrung als soziales Gut interessiert sie nicht, sondern bloss der Profit, den sie daraus schlagen können. Es interessiert sie nicht, dass immer mehr Menschen aus den Handelskreisläufen gedrängt werden, die von ihnen kontrolliert werden. Sie bestimmen die Preise gemäss den Spekulationen der Finanzmärkte und nicht nach den Bedürfnissen der KäuferInnen. Kurz: "Die besitzlosen Massen, die sich an den Periferien von Asien, Afrika und Lateinamerika vermehren, entsprechen zuwenig den Basis-Standards des Konsums … um rentabel zu sein" (Manuel Freytas, 18.09.09, socialismo-o-barbarie-org). Nach oben |
Für diese Unternehmen sind die Menschen überflüssig. Sie sind einzig an den Ressourcen interessiert, an dem Land, auf dem diese Menschen miserabel leben oder sterben. Seit dem 9. September dieses Jahres verbreiten die lokalen Medien die Nachricht, dass der Präsident von Guatemala in Anwesenheit ausländischer DiplomatInnen (und es heisst gar, gedrängt vom US-amerikanischen Botschafter) den Notstand im sogenannten trockenen Korridor des Landes ausgerufen habe. In den darauffolgenden Tagen wurden die internationalen Solidaritäts-Beiträge aufgeführt, die Guatemala erhält. Gleichzeitig veröffentlichen die BewohnerInnen der vom Hunger am meisten betroffenen Gemeinden, Jocotán und Camotán, ein Protestschreiben, das nicht dieselbe mediale Aufmerksamkeit erhält: "Trotz Hunger und Armut, unter denen die Ch'orti'-Region leidet, werden unsere Forderungen von der Regierung ignoriert. Dafür werden die unternehmerischen Interessen unterstützt, welche die in der Region vorhandenen Ressourcen im Visier haben. Dabei werden unsere Rechte verletzt und unsere kollektive Entwicklung verhindert. … Wir wehren uns entschieden gegen eine Konzession für das Megaprojekt "Las Tres Niñas", welches in seiner Umweltverträglichkeitstudie kein Wort über die Risiken und die Auswirkungen auf unsere Gemeinden, Territorien und auf unser Land verliert." (Communiqué vom 26.09.09) Die Gemeinden beziehen sich in ihrem Schreiben auf den Bau eines Wasserkraftwerks durch das Unternehmen "Las Tres Niñas S.A", das gebaut werden soll, ohne vorher die davon betroffene lokale Bevölkerung zu konsultieren: 13 Dörfer, 3000 Familien, 18'000 Personen, etwa die Hälfte der Gemeinde Jocotán. Dieses Grosskraftwerk verändert die Geographie und somit die Lebensgrundlage der Bevölkerung und Grundlage für ihre Arbeit. Ebenso zerstört es den Pajcó-Kanal, der erst kürzlich erbaut wurde und einen beachtlichen Beitrag zur Entwicklung der Region leistet. Zur Erinnerung: Genau in diesem Gebiet wurde im Jahr 2001 der Notstand ausgerufen. Und genau dort sagte ein Vizepräsident, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnern will, zu einem unterernährten Kind: "Wie fesch du bist, ein bisschen Bewegungen tut dir gut." Dies sind die Kollateralschäden des Kapitalismus. Was würden die Medien sagen, die hierzulande von der Oligarchie kontrolliert werden, wenn all dies in Kuba, Venezuela, Ecuador oder Bolivien passieren würde? |
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