¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Mögen wir wenigstens unsere Gefühle bewahren
Fijáte 413 vom 02. Juli 2008, Artikel 6, Seite 6
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¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Mögen wir wenigstens unsere Gefühle bewahren
Ich erinnere mich an ein Pressefoto, das eine von unzähligen Nachrichten über Gewalt in Ciudad Juárez in Mexiko illustrierte (Prensa Libre, 13. Juni 2008): Inmitten einer militärischen Operation in der Stadt beugte sich ein Kind, das nach rechts schaute, vielleicht um die Strasse zu überqueren, über ein wenige Wochen altes Hündchen, das es in seinen Armen trug, um es vor möglichen Schüssen zu beschützen. Die Geste und die bunte Hose des Kleinen liessen den riesigen Uniformierten, der ihm den Rücken zuwandte, noch monströser erscheinen. So wie dieses Kind - oder wie dieses Hündchen - sind wir alle. Von irgendwoher kann uns die Tragödie einholen, während Männer ohne Gesicht sich auf dem Buckel der Bevölkerung ihre Kriege liefern. Die ungeheuren Männer - und einige Frauen - halten uns in permanenter Beklemmung: Die Nahrungsmittel- und Benzinpreise steigen immer weiter, weil die globalen Spekulanten es so bestimmen; die Hungertragödie weitet sich aus, und die Herren der FAO erklärten, den Grosskonzernen gehorchend, bei einem Gipfeltreffen über Nahrungssicherheit in Rom, der Hunger sei lediglich ein Problem von Angebot und Nachfrage, ein konjunkturelles Phänomen, kein strukturelles; die EmigrantInnen werden in den Ländern des Nordens eingeknastet wie Kriminelle oder sie werden massenweise deportiert (11'000 GuatemaltekInnen wurden allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres aus den USA deportiert!), während das Kapital und die natürlichen Ressourcen in unglaublichem Tempo in die entgegengesetzte Richtung fliessen; wenige Stunden nach Ernennung Obamas zum Präsidentschaftskandidaten seiner Partei besuchte er die mächtigen Anführer des Gringo-Zionismus, um ihnen seine Dienste anzubieten; die fürchterliche IV. Flotte der USA bereitet sich darauf vor, in unsere Meere vorzudringen, angeblich, um den Drogenhandel zu bekämpfen… Und im verwahrlosten Guatemala erfahren wir häppchenweise von der mächtigen Mafia, bestehend aus Militärs, DrogenhändlerInnen und anderen Prachtstücken, welche die staatlichen Sicherheitsinstitutionen in die Enge treiben. Sie erzählen uns, dass der Privatsekretär des Kongresspräsidenten wegen der Umleitung von 82 Millionen Quetzales (ca. US-$11 Mio.) an eine Hochrisikobörse angeklagt worden sei (siehe ¡Fijáte! 412), sie schmeissen uns ins Gesicht, dass bereits in 42 anderen Steuerbetrugsfällen gegen ihn ermittelt worden und er sogar schon mal im Untersuchungsgefängnis in der Zone 18 gewesen sei. Sie kündigen uns an, dass der Herr bereits das Land verlassen habe und sein Chef, der Kongresspräsident, die Vorgeschichte dieses Meisterwerks nicht gekannt habe. Einen Tag später wissen wir, dass der vorhergehende Kongresspräsident, Rubén Darío Morales, dieselben Umleitungen von Kongressgeldern zu veranlassen pflegte und dafür fette Kommissionen des Börsenhauses kassierte. Und wenn wir ein wenig erleichtert sind, weil Präsident Colom, besorgt über die geringe lokale Produktion von Getreide in diesen schlechten Zeiten, angeordnet hat, dem Dekret 40-74 - der Bestimmung, dass auf zehn Prozent der Fincas, die grösser als 100 Hektar sind, Getreide angebaut werden muss (das Gesetz stammt aus dem Jahr 1974 und wurde nie umgesetzt) - Genüge zu tun, läuft es uns kalt den Rücken hinunter, wenn derselbe Präsident ein paar Tage später die anhaltenden Proteste der landbesitzenden Oligarchie erhört, das Gesagte widerruft und den Kongress bittet, dieses Gesetz ausser Kraft zu setzen. (siehe ¡Fijáte! 412) Die Liste der Enttäuschungen ist unendlich. Unerträglich. Und bringt uns dazu, am liebsten schreien zu wollen. Es sieht so aus, als wollten sie uns durch Machtlosigkeit lahmlegen, indem sie den Zynismus ständig verschärfen. Nach oben |
Das Gefährliche ist, dass wir sie in den Privatbereich unserer Gefühle eindringen lassen. Es darf nicht sein, dass wir uns wegen ihrer Perversionen zerstören. Es ist nicht intelligent, auf dieses Spiel einzusteigen. Hierhin wollte ich: ins Reich der Gefühle. In der Stunde der Wahrheit spielen sich hier die Entscheidungen ab, welche die menschlichen Geschicke leiten. Jene, die oben sind und ihre Projekte auf unsere Kosten verwirklichen, provozieren in uns die Gefühle, die sie interessieren und löschen jene aus, die ihnen schaden. Dazu benutzen sie die Öffentlichkeit, bedienen sich der Desinformation, amputieren die Erinnerung und üben Repression aus. Sie lösen auch diese Vergiftung mit Machtlosigkeit aus, welche die Medien mit ihrer Überdosis an Frustration und Gewalt tagtäglich anheizen. Für unsere psychische Gesundheit ist es wichtig, den Bereich zu schützen, in dem wir unsere, wirklich unsere Gefühle pflegen, die unser Bestreben nähren, jeden Morgen mit Würde zu leben, als Menschen, soziale und politische Subjekte. Leider hat sich alles um uns herum verschwört, in unsere private Gefühlswelt einzudringen. Ein Paradigma dafür ist die Flimmerkiste TV, die mit Lichtern und Geräuschen, mit Botschaften und Reizen, die wir nicht gesucht haben, in unsere Privatsphäre eindringt. Wir wurden nicht dazu erzogen, zu diesem Möbel zu sagen, "nein, danke", und es sofort auszuschalten. Dasselbe gilt für die unzähligen Reize, die uns, wo auch immer, bestürmen. Für unsere psychische Gesundheit ist es wichtig, dass wir lernen, ruhig, aber bestimmt "nein, danke" zu sagen, wie wir es auch dem Strassenverkäufer gegenüber tun, der uns anspricht. Wir müssen unsere wahren Gefühle unserer psychischen Gesundheit zuliebe abschirmen. Ich beharre auf unseren wahrhaftigen Gefühlen: Die Gefühle entstehen aus Abbildungen und Gedanken. Unsere Gefühle sind Kinder unserer Gedanken, unserer Sinninhalte des Lebens. Der Hauptgedanke, der ureigenste unserer Gedanken, bezieht sich auf unsere Identität: "Wer bin ich und wer möchte ich sein, genau und unwiederholbar ich?" Und der zweite, ebenso lebensnotwendig wie der erste, lautet: "Wem gegenüber möchte ich so sein, mein Leben so entfalten?" Beide zusammen machen, wie die Anspannungs- und die Entspannungsphase des Herzens, unsere Existenz aus, da wir aufeinander bezogen sind. Der Unbeständigkeit unserer Gefühle ist das alltägliche Wunder geschuldet, dass wir es jeden Tag wagen weiterzuleben, dass wir neue Wege gehen, ohne zu verzweifeln, obwohl wir den Wellengang der Katastrophe von überall her anschwellen sehen. Wir lernen, uns jeden Morgen mit der nötigen Dosis erfreulicher Gefühle für den neuen Tag einzudecken, selbst in Extremsituationen. Ich habe bei Viktor Frankl gelesen, dass die Verurteilten in Auschwitz es manchmal geschafft hatten, ihre fürchterliche Baracke in eine Bühne zu verwandeln, auf der sie ihre Tragödie parodierten. Und im schrecklichen Nationalstadion Chiles komponierten und sangen die Gefangenen Pinochets bisweilen Lieder und pflegten, wenn sich dazu Gelegenheit bot, den kollektiven Humor. In diesen Zeiten, die nicht die unseren sind, ist es wichtig für uns, den Schatz unserer ureigensten Gefühle zu verteidigen und nicht zuzulassen, dass die Monster und Heuchler, die unsere Erde und auch unser Land geraubt haben, unsere wirklichen Gefühle aus uns herausreissen und uns jene aufzwingen, die sie interessieren. Vielen Dank an Yvonne Joos für die Übersetzung! |
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