"Früher waren es Glasperlen, heute sind es Freihandelsabkommen"
Fijáte 414 vom 16. Juli 2008, Artikel 1, Seite 1
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"Früher waren es Glasperlen, heute sind es Freihandelsabkommen"
Das International Gender and Trade Network (IGTN) wurde 1999 gegründet sucht nach gerechten Alternativen gegenüber der Handelsliberalisierung und Finanzderegulierung, welche in verschiedenen Regionen der Welt die Verhandlungen über Freihandelsabkommen prägen. Das weltweite Netzwerk mit regionalen Koordinationsstellen vereint Frauenorganisationen oder Verbände, die in ihre Arbeit eine Geschlechterperspektive einbeziehen. Die Guatemaltekin Norma Maldonado ist aktives Mitglied des Netzwerks und Herausgeberin u.a. der Publikation "Mais: Mucho más que Tortillas", die auf der Webseite der Organisation heruntergeladen werden kann (www.generoycomercio.org). Der folgende Artikel ist der Juni-Ausgabe der Zeitschrift A-Genda: Género y Comerico en Centroamérica entnommen. Für Norma Maldonado ist das zur Debatte stehende Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Union und Zentralamerika (AdA) in erster Linie "Mehr vom selben: Die europäischen Firmen sind bereits hier und leben seit langer Zeit auf unsere Kosten". Seit der Eroberung durch die Spanier diente die regionale Landwirtschaftproduktion der Sättigung des europäischen Marktes. Seit hunderten von Jahren hat sich der Einfluss sowohl des europäischen Kapitals wie auch einer kleiner Anzahl mächtiger europäischer Familien etabliert, die vom Export leben. Die Unión Fenosa, ein spanisches Unternehmen, das im Energiesektor tätig ist, oder die ebenfalls spanische Telefónica, die den Kommunikationssektor dominiert, sind zwei Beispiele europäischer Unternehmen, die in der Region operieren. Norma Maldonado: "Dieses Abkommen ist also nichts Neues. Neu hingegen ist, dass das Kapital und die Interessen der Investoren in neue Bereiche vordringen, nämlich in die Ausbeutung der Naturressourcen: Das Wasser, das bisher von den indigenen Gemeinden geschützt und bewahrt wurde; das fruchtbare Land, das von der Agroindustrie bisher noch nicht genutzt wurde wie z.B. Zuckerrohrfincas und Monokulturen wie die Ölpalme und Eukalyptus, welche völlig ausgelaugte und sterile Böden hinterlassen; oder der Bergbau (die Minen) und die Biodiversität." Norma Maldonado ist nicht nur die guatemaltekische Repräsentantin des Gender und Trade-Netzwerks, sondern auch Vertreterin des Frauenkomitees der Kontinentalen sozialen Allianz und Mitglied des guatemaltekischen Netzwerks für Ernährungssouveränität und -sicherheit. Seit vielen Jahren arbeitet sie mit Frauen aus indigenen Basisorganisationen, die sich mit den Themen Handel und Ernährung beschäftigen. Sie ist Verfasserin von didaktischem Material, das auf verständliche Weise über Handel, Markt und neoliberale Globalisierung aufklärt. Im Zentrum ihrer Publikationen steht das lokale Wissen, und es geht ihr darum, die lokalen Initiativen und Gruppen dahingehend zu stärken, dass sie den makroökonomischen Kontext verstehen. "Ich bin überzeugt, dass das älteste Wissen über Landwirtschaft von den Frauen kommt. Nachdem sie gegessen hatten, was sie auf dem Feld oder im Wald sammelten, warfen sie die Samenkörner in ihren Garten und beobachteten und pflegten, was daraus wuchs. Die Hausgärten sind die ersten Versuchslabore und Samenbanken. Die indigene Ernährung ist vielfältig und ausgewogen, und es sind die indigenen Frauen, die das bewahrt haben, was wir heute noch an Biodiversität vorfinden. Wir müssen dieses Wissen als Grundlage nehmen und unsere Geschichte studieren. Die Art, wie damals die Landwirtschaft und der Handel organisiert waren, gibt uns Hinweise auf mögliche Alternativen zum aktuellen brutalen und entmenschlichten System." Eine solche Alternative, die in den letzten Jahren entstand, ist ein Netzwerk von Frauen, die meisten von ihnen Witwen und Überlebende des Massakers von Río Negro, welche ein Projekt lokaler Biodiversität haben. Nach dem Prinzip "von Bäuerin zu Bäuerin" wird Wissen weitergegeben und erworben. Es werden auch wilde und gezüchtete Samen ausgetauscht und verkauft. Im April dieses Jahres organisierten die Frauen eine dreitägige Messe zu einheimischem Saatgut - als Gegengewicht zur zeitgleich in der Region stattfindenden kommerziellen Messe zu genetisch verändertem Saatgut. Im Rahmen der Messe (übrigens bereits die dritte) zu einheimischem Saatgut fanden an zwei Tagen auch Informationsveranstaltungen statt. Diese waren wichtig, um die von den multinationalen Unternehmen lancierten Kampagnen für ihre hybriden Pflanzen in Verruf zu bringen und die Regierungspolitik zu kritisieren, die solche Kampagnen zugunsten der wirtschaftlichen Interessen und auf Kosten der Biodiversität und der Ernährungssouveränität explizit unterstützt. Eine weitere Konfliktquelle zwischen den indigenen Gemeinden und den Interessen der Unternehmen ist das Wasser: "Alle guatemaltekischen Flüssen entspringen in Regionen, die von Indígenas bewohnt sind." Gemäss Norma Maldonado haben die Abholzung der Wälder und der Anbau von Monokulturen für die Exportproduktion zur Folge, dass in vielen Regionen des Landes die Quellen ausgetrocknet sind. Für die indigenen Gemeinden haben Armut, sozialer Ausschluss und das korrupte politische System zur Folge, dass die Ressourcen, die sie geschützt und gepflegt haben, alles andere als ein Vorteil bringen, sondern im Gegenteil ihre Grundrechte verletzt werden: "Es gibt unzählige Pläne für den Bau von Wasserkraftwerken zur Energiegewinnung. Dies hat eine Privatisierung des Wassers zur Folge und bedeutet den langsamen Tod für die Dörfer. Es gibt jetzt schon Gemeinden, die kein Wasser mehr haben, weil es umgeleitet wurde zu den Stauseen grosser Wasserkraftwerke. Das Ziel ist, grossräumig die Bevölkerung zu vertreiben, vor allem in Zonen, die für den Bergbau und die Ölförderung interessant sind. Und um die Bevölkerung aus den Gebieten zu vertreiben, sind alle Mittel erlaubt." Nach oben |
Die Zivilbevölkerung hat laut Norma Maldonado grosse Probleme, sich in Verhandlungen über Freihandelsabkommen einzubringen. Ein Beispiel dafür war das DR-CAFTA-Abkommen zwischen Zentralamerika, der Dominikanischen Republik und den USA: es wurde hinter verschlossenen Türen ausgehandelt und war dermassen abstrakt, dass man erst viel zu spät die Gefahren und Konsequenzen erkannte, die es in sich barg. Die Zivilgesellschaft musste sich sämtliche Informationen über die Inhalte des Abkommens selber beschaffen, während die Regierung einen populistischen Diskurs über die Vorteile des Abkommens führte. Als es neun Monate später trotz massiver Proteste seitens der Zivilgesellschaft und zwei toten Demonstranten unterzeichnet wurde, mussten unzählige Verfassungsänderungsanträge eingereicht werden, um den Schutz der US-amerikanischen Interessen und Investoren zu garantieren. Das Abkommen zwischen der EU und Zentralamerika enthält im Gegensatz zum DR-CAFTA eine so genannte "demokratische Klausel", die nebst dem freien Handel einen "politischen Dialog" und die "Kooperation" einbezieht. Dazu Norma Maldonado: "Man spricht von einem politischen Dialog, aber was wir davon sehen, ist genau das Gegenteil. Die Zivilgesellschaft wird nicht einbezogen, es gibt keine Transparenz und keine Klarheit darüber, was überhaupt verhandelt wird. Der Bevölkerung wird bloss mitgeteilt, welche Themen diskutiert werden, aber sie hat keinerlei Möglichkeiten, an den Verhandlungen teilzunehmen oder diese zu beeinflussen. Die Kooperation ist eine von der EU für die Periode von 2007 - 2011 im Rahmen der regionalen Integration definierte Strategie, aber auch hier ist klar, dass es bei dieser Kooperation vor allem um den Bau von Infrastruktur geht, was schliesslich wiederum dem Handel und den Unternehmen dient." Nebst dem Mangel an Möglichkeiten für eine reale Partizipation an den Verhandlungen (das gilt auch für die europäische Zivilgesellschaft), befinden sich die zentralamerikanischen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusätzlich in einem Interessenskonflikt: Die Tatsache, dass das CC-SICA (die Instanz, die offiziell für den Einbezug der regionalen Zivilgesellschaft in die Diskussion über das AdA zuständig ist) von der EU finanziert wird und die Art ihrer bisherigen Konsultationen lassen an ihrer "Neutralität" zweifeln. Dazu Norma Maldonado: "Viele Organisationen denken, dass sie die EU nicht kritisieren dürfen, weil sie finanzielle Unterstützung von europäischen Organisationen bekommen - die möglicherweise ebenso gegen das neoliberale Modell sind, aber man weiss das nicht immer so genau. Die Kooperation seitens der EU ist ein Instrument, um einerseits Verwirrung zu stiften und um anderseits etwas Kosmetik aufzutragen, hinter der die wirklichen Interessen versteckt werden können. Sie ist ein Manipulationsfaktor, um ganz bestimmte Zwecke zu erreichen. Unsere Völker haben seit mehr als 500 Jahren mit Europa kooperiert - Europa hat eine historische Schuld uns gegenüber!" Auch die europäischen zivilgesellschaftlichen Organisationen müssen eine klare Position zum aktuellen Wirtschaftsmodell definieren, die als Grundlage für eine starke Allianz mit ihren zentralamerikanischen Partnern dient. Norma Maldonado ist überzeugt, dass das Assoziationsabkommen mit der EU ernsthafte Konsequenzen für die zentralamerikanische Wirtschaft haben wird. Sie fordert von der europäischen Zivilgesellschaft weder Barmherzigkeit noch Solidarität, sondern die Übernahme von Verantwortung bei der Veränderung eines Wirtschaftsystems, das die natürlichen Ressourcen und damit die Lebensgrundlage von indigenen Gemeinden zu zerstören droht. "Das Assoziationsabkommen legitimiert und legalisiert die bereits stattfindende Ausbeutung. Während der Conquista waren es Glasperlen, heute sind es Freihandelsabkommen. Es ist ein sehr kurzsichtiger Blick auf das Leben und auf unseren Planeten, der nur den heutigen Gewinn im Auge hat und nicht in die Zukunft schaut. Es werden Territorien zerstört, die über Jahrhunderte von den indigenen Völkern gehegt und gepflegt wurden. Wir sind bedroht von grossen Unternehmen, und wir sind einer Aggression ausgesetzt, die unser Leben, unsere Kultur und unsere Zukunft bestimmt. Wenn man auf die 'Entwicklung' setzt, die das Assoziationsabkommen predigt, wird es keine nächste Generation mehr geben. Wir müssen einen Weg finden, um den ganzen Prozess zu stoppen, denn die Menschen können nicht mehr, und die Erde kann nicht mehr." |
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