Maya-Frauen: Über Multikulti und Feminismus
Fijáte 428 vom 11. Februar 2009, Artikel 1, Seite 1
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Maya-Frauen: Über Multikulti und Feminismus
Der Zugang zum Feminismus erfolgt für viele guatemaltekische Frauen in erster Linie über ihren persönlichen Aktivismus. Die von westlichen Feministinnen debattierten theoretischen Ansätze eines "Gleichheits-" bzw. "Differenzfeminismus" oder eines "Postfeminismus" sind ihnen eher fremd. Diese Feminismen entstanden in geographisch fernen Kontexten, die aber durchaus Ähnlichkeiten mit dem lateinamerikanischen haben: Sklaventum, Feudalismus, Kapitalismus vermischt mit patriarchalen Strukturen haben die Geschichte der Menschheit geprägt und prägen auch heute noch die guatemaltekischen Herrschafts- und Geschlechterverhältnisse. Wenn es für die Mayas schwierig ist, die Achtung der Kultur in einer Lebenssituation zu erlangen, die durch Unterordnung und Ungleichheit gekennzeichnet ist, dann ist es für die Maya-Frauen noch schwieriger. Sie beziehen sich in ihren Forderungen und Ansätzen auf die verschiedensten feministischen Ansätze und geraten damit nicht nur in Konflikte untereinander, sondern auch mit ihren potentiellen politischen Verbündeten. Aura Cumes von der Sozialwissenschaftsfakultät von Lateinamerika - FLACSO - geht in ihrem Artikel der Frage nach, wie sich das von den Mayas eingeforderte Recht auf Unterschiedlichkeit und auf kulturelle Freiheit auf die Geschlechterbeziehungen auswirkt. Wir veröffentlichen eine stark gekürzte Version. Gleichheit versus DifferenzAus der Sicht eines Feminismus, der in erster Linie auf die Gleichheit der Geschlechter abstellt, wird die Betonung der Unterschiedlichkeit bzw. der Differenz mit Skepsis betrachtet. Historisch gesehen rechtfertigen die Kämpfe um Unterschiedlichkeit bei Geschlechtern und Ethnien nicht die Ungleichbehandlung des sozialen, kulturellen oder politischen Status, ebensowenig wie unterschiedlicher Glaube, unterschiedliche Werte oder Lebensformen eine diskriminierende Behandlung erlauben sollten. Die Differenz ist nicht immer ein Indikator für Hierarchie oder Unterdrückung. Das Resultat ist wichtig: wenn sich aus der Differenz Ungleichheit oder Ausbeutung ergibt oder diese rechtfertigt, ist dies nicht wünschenswert. Wenn sich aus der Differenz demokratische Formen ergeben, ist dies erstrebenswert und bedeutet die Anerkennung von Vielfalt. Wenn die Differenz als Beherrschungsmodell angewendet wird, ist dies zu kritisieren, wenn hingegen die Differenz und Vielfalt zur Betonung der Koexistenz unterschiedlicher Lebensformen genutzt wird, ist dies ein positives Charakteristikum. Es gibt intensive Debatten zwischen Vertreterinnen des Gleichheitsfeminismus und jenen des Differenzfeminismus. In Situationen wie der guatemaltekischen kommt man nicht umhin, von der Achtung der Differenz zu sprechen; diese darf nicht ausgeblendet werden. Gesellschaftlichen Gruppen, die untergeordnet leben, darf das Recht nicht verwehrt werden, ihre Verschiedenheit (z.B. als Maya-Frauen) zu artikulieren und als Basis für ihre politische Identität zu nutzen. Multikulturalismus und FeminismusIn welchem Verhältnis stehen Multikulturalismus und Feminismus mit Blick auf die Maya-Frauen? Der Begriff Multikulturalismus wird von unterschiedlichen Seiten benutzt und wird in erster Linie in politischen Programmen verwendet. Er hört sich emanzipatorisch an, aber der Begriff wird auch im Kontext von Herrschaft und Kolonialismus benutzt, was es nicht einfacher macht, ihn einzuordnen und mit ihm zu arbeiten. Für Frauen besteht das Problem nicht in erster Linie darin, dass sie vom einflussreichsten Teil der Gesellschaft nicht wahrgenommen werden, sondern, dass sie in ihrer Identität der Ausbeutung und Unterdrückung ausgesetzt sind. Unter kolonialistischen Vorzeichen sieht es ähnlich aus: Die Existenz unterschiedlicher Identitäten und Kulturen innerhalb der indigenen Bevölkerung diente dazu, verschiedene Herrschaftsformen zu rechtfertigen. Die indigene Bevölkerung war den Eroberern unterstellt, von denen die Unterschiede und der "Multikulturalismus" zweckgerichtet genutzt wurden. In Gesellschaften, die auf eine lange Geschichte von Kolonialismus und Beherrschung zurückblicken, ist es überhaupt nicht einfach, Kultur und Identität als Mechanismen der Emanzipation anzusehen. Denn das Leben hat sich als Verwebung sozialer Beziehungen ergeben, in denen immer Beherrschung und Widerstand dynamisch anwesend sind. Deshalb sollten wir vorsichtig sein, wenn wir sagen "alles Indigene ist Resultat des Kolonialismus", weil damit der Einfluss des indigenen Widerstands und des Kampfes negiert würde. In der Frauen-Debatte taucht gelegentlich aus feministischer Sicht die Haltung auf, dass die Anerkennung kultureller Rechte ein Rückschritt für die Frauenrechte darstelle. Das führt zu der provokanten Frage: Ist Multikulturalismus schlecht für die Frauen? Manche behaupten, dass es vielen Frauen der minoritären Ethnien besser bekäme, wenn die Kulturen, in denen sie geboren wurden, "ausgelöscht" würden und sie die Möglichkeit hätten, sich der weniger sexistischen nationalen Gesellschaft oder Kultur zuzuwenden. Diese ethnozentristische Position wird von seinen Kritikerinnen "diskursiver ideologischer Kolonialismus" genannt und verglichen mit jenen männlichen Positionen, die das Patriarchat verteidigen. In gewisser Weise können solche Positionen aus Haltungen entstehen, in denen jede Infragestellung der indigenen Kultur kategorisch zurückgewiesen wird. Hierbei wird auf die Homogenität der kulturellen Werte und die "Reinheit" der Bräuche abgestellt, so als wären sie machtfrei. Diese Herangehensweise verdeckt die asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau, die Verletzung von Frauenrechten und die Möglichkeit, soziale Beziehungen zu humanisieren. Es verunmöglicht auch, die tiefen Spuren des Kolonialismus und der patriarchalen Strukturen sowie das Machtgefüge in der indigenen Gesellschaft zu enthüllen. Multikulturalismus und GenderIn jedem Fall ist klar, dass die aktuellen Diskussionen in Guatemala seitens der Frauenbewegung und der Maya-Bewegung stark vom Multikulturalismus beeinflusst sind. Auf der einen Seite gibt es ideologische Auffassungen und Diskurse, die aber auf der anderen Seite von den sozialen Akteurinnen in Frage gestellt werden: Die Frauen und Mayas möchten sich von sozialen Praktiken und komplexen Erfahrungen lösen, welche ihnen ausgerechnet ihr unterschiedliches Dasein gebracht hat. Es lassen sich hier verschiedene Auffassungen aufführen. Nach oben |
Eine der Auffassungen wird von Frauen wie Virginia Ajxup vertreten, die von einer positiven, (nicht-kolonialen) Sicht der Vergangenheit der indigenen Bevölkerung inspiriert ist und auf der Maya-Kosmovision beruht. Sie stellt Reflektionen darüber an, wie Frauen "gedacht und behandelt" werden, die sich in ihrer Lebensform und Denkensart von der abendländischen Rationalität distanzieren. Aus ihrer Perspektive gibt es durchaus ein kolonialistisches Erbe, welches das Leben der indigenen Frauen bis heute prägt, aber es gibt - und das wertet sie durchaus positiv - auch die Anerkennung von Gegenseitigkeit, Ergänzung und Dualität zwischen Mann und Frau, welche noch in vielen indigenen Gemeinschaften vor allem in ländlichen Gegenden praktiziert wird. Eine andere Auffassung wird von Frauen wie Irma Alicia Velásquez vertreten. Zwar definieren sich diese Frauen nicht notwendigerweise als Feministinnen, sind aber deren Positionen nicht fern. Sie interessieren sich nicht sehr für die idealisierte Analyse der Maya-Kosmovision, sondern hinterfragen die aktuelle Situation der Maya-Frauen. Auf diesen Grundlagen erarbeiten sie Vorschläge für neue soziale Beziehungen und definieren auf ihre Weise die Komplementarität, die Gegenseitigkeit und die Kultur. Schliesslich gibt es eine dritte Gruppe indigenen Frauen, deren Weg sich nicht um Maya-Organisationen und eine mayanistische Ideologie (Maya-Ideologie) bildet, sondern die aus Frauen- und feministischen Organisationen hervorgegangen sind. Diese Frauen bezeichnen sich mehr oder weniger als Feministinnen und haben den entsprechenden Diskurs und die Lebensweise in ihren Wortschatz und ihr tägliches Leben integriert. Von dieser Position ausgehend haben sie sich nichtsdestotrotz der mayanistischen Anschauung angenähert und entdecken und definieren ihre oft und lange Zeit geleugnete ethnische Identität neu. Vertreterin dieser Strömung ist z.B. die Frauen-Gruppe Kaqlá. Interessant in dieser dritten Gruppe ist auch die Haltung, vorsichtig hinsichtlich der Meinungen von Maya-Intellektuellen zu sein, da von dieser Seite häufig ein relativ geschlossenes Weltbild entworfen wird, welches nicht so nah an der Lebenswirklichkeit indigener Frauen steht. Gegenwärtig streben die Maya-Frauen weiter sowohl die soziale wie auch die Geschlechtergerechtigkeit an. Angesichts der verschiedenen Ansätze bleibt es jedoch schwierig, die Zusammenarbeit zu organisieren. Wenn die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern mit der ethnischen Frage gekreuzt ist, werden Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen erzeugt. Noch gibt es einerseits Frauengruppen, die das Ethnische nicht mitdiskutieren wollen, und andererseits ethnische Gruppen, die die Frauenfrage ausklammern möchten. Postkolonialer FeminismusPostkoloniale Gesellschaften gründen nicht bloss auf der Ungleichheit zwischen Indigenen und Nicht-Indigenen, sondern auch auf einer ungleichen Behandlung von Männern und Frauen. Unterdrückungsmechanismen wie Rassismus, Klassendenken oder das Patriarchat wirken sich unterschiedlich auf Männer und Frauen aus. Soziale Bewegungen, welche die Anerkennung von Differenz und politischer Identität fordern, machen oft den Fehler, sich nur auf ein Differenz-Thema zu konzentrieren: Geschlechterdifferenz ODER Klassenunterschied ODER Ethnische Verschiedenheit. Dass sich diese Unterdrückungsmechanismen überkreuzen und ergänzen, wird in der Analyse oft ausgeklammert und führt zu einer Art Konkurrenz zwischen den Unterdrückten, was eine gemeinsame Bekämpfung des unterdrückenden Systems verhindert und dieses in gewisser Weise gar legitimiert. In der Realität der indigenen Frauen Guatemalas führt dies dazu, dass sie sich für eine eindimensionale politische Identität entscheiden müssen und ihre spezifischen Forderungen als Frau, Indígena und sozial Benachteiligte nicht berücksichtigt werden. Die hergebrachte Vorstellung von Nation hat die Frauen und die indigenen Bevölkerung nicht beachtet, sondern sie zu Objekten der Folklore und des Marktes gemacht. Der Mayanismus hingegen strebt die Bildung einer "nationalen Einheit" an, die auf verschiedenen Politikfeldern die ererbte Hegemonie des Staates eingrenzen soll. Dieser hergebrachte Staat hat sich aus der Geschlechterperspektive als nicht sehr vorteilhaft erwiesen. Aber das patriarchale und machistische System einzig als Ergebnis der Kolonialisierung zu sehen, wie dies viele Mayas tun, greift definitiv zu kurz. Ebenso müsste die Unterdrückung von Geschlecht, Ethnie und Klasse, die Frauen UND Männer auf unterschiedliche Weise betrifft, einer genauen und integralen Analyse unterzogen werden. Von daher stellt sich die Frage, ob ein Staat nach Maya-Vorstellungen nicht Fehler des aktuell bestehenden Staates reproduziert. Für die Frauen ergibt sich ein Fallstrick, wenn das Bekämpfen einer Unterdrückungsform zur Stärkung einer anderen führt. |
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