Steine im Weg von Justitia
Fijáte 440 vom 29. Juli 2009, Artikel 4, Seite 4
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Steine im Weg von Justitia
Guatemala, 27. Juli. Die Myrna Mack-Stiftung hat 32 so genannte "Flaschenhälse" ausgemacht, die der Justiz im Weg stehen und die Straffreiheit in Strafprozessen begünstigen. Zu diesem Ergebnis kam die Stiftung nach der Analyse von 19 Mordfällen an Männern und Frauen, die zwischen 2005 und 2007 vor Gericht verhandelt wurden. Dabei ist es ohnehin schon ein kleines Wunder, dass es gewalttätige Morde überhaupt bis vor Gericht schaffen, von minderen Straftaten ganz zu schweigen. In der Studie "Straflosigkeit, Stigma und Gender" werden zehn Morde an Männern und neun an Frauen untersucht, die im Departement Guatemala stattfanden. Diese Auswahl führte zu der Erkenntnis, dass die Faktoren Geschlecht, Alter, soziale Schicht und das äusserliche Erscheinen der Opfer und der TäterInnen Einfluss auf den Prozess haben. Dieses Phänomen gilt auch für Morde, die in der Provinz ausgeführt werden. Zu den Faktoren, die mit zur Straffreiheit führen, gehören in der Etappe vor dem Prozess Fehler hinsichtlich der Bearbeitung des Tatortes, die Nichterfüllung von Aufbewahrungs- und Verwahrungsmassnahmen von Beweisen und Tat-Beteiligten, der Mangel interinstitutioneller Koordination, hoher bürokratischer Aufwand und Schwächen in der wissenschaftlichen Ermittlung. In der Zwischenphase identifizierte die Stiftung das Fehlen jeglicher Methodologie in den Streitfällen, die unvollständige Konstruktion von Hypothesen sowie in 14 der 19 analysierten Fälle nicht exakte juristische Klassifizierungen und haltlose Beweise in der Anklage. In der Urteilsphase dann beobachtete Stiftung die Nichterfüllung des Prinzips der Kontinuität, Probleme im ZeugInnenschutz und Mängel in den von den Gerichten verkündeten Urteilen. Entsprechend wundert die Information wenig, dass die Staatsanwaltschaftsabteilung für Verwaltungsdelikte allein in diesem Jahr 823 Anzeigen gegen PolizistInnen, StaatsanwältInnen und andere BeamtInnen erhalten hat. Die meisten lauten allgemein auf Autoritätsmissbrauch, Nichterfüllung von Pflichten und Justizverzögerung. Carlos Castresana, Chef der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIC), versichert derweil in einem Interview mit der Tageszeitung Prensa Libre, die CICIG habe die Mitglieder der illegalen Körperschaften und klandestinen Apparate identifiziert, die im Land operieren. Auch wenn er keine Namen nennt, erklärt der spanische Anwalt, dass diese Informationen Ergebnis der Analysen der Fälle seien, in denen die Kommission ermittelt. Dabei ist es gelungen, zahlreiche bestehende Netzwerke auszumachen, und es steht nun aus, die Beweise dafür aufzubringen, um Rechtsprozesse einzuleiten und die Gruppierungen aufzudecken. Angesichts der Möglichkeit, dass das Mandat der CICIG nach Ablauf der ersten zwei Jahre vor kurzem nicht verlängert worden wäre, habe man vorsorglich einen Bericht geschrieben, der allein dem Generalsekretariat der Vereinten Nationen bekannt sei, und in dem die Namen der Personen, Unternehmen und Gruppen, die diese Strukturen ausmachen, aufgeschlüsselt sind. Der Bericht liegt derzeit nur der CICIG als interne Grundlage für ihre weiteren Untersuchungen vor. "Die geheimen Strukturen innerhalb der Institutionen sind weiterhin intakt, in einigen Fällen sind sie dort selbst entstanden, und zwar vor 20 oder 30 Jahren, gegründet im Zusammenhang des bewaffneten Konflikts. Die Friedensverträge haben bereits vorweg genommen, dass sie zerschlagen werden müssten, doch dies wurde nicht getan. Und bis zum heutigen Tag haben sie sich zu einer Form des gemeinen Verbrechens oder auch des organsierten Verbrechens entwickelt", erläutert Castresana. Es gebe Organisationen, die inzwischen moderner geworden seien, andere seien modifiziert worden, einige Persönlichkeiten dieser Netze seien von der nationalen Bühne verschwunden, andere hätten sich integriert. Hinsichtlich der Frage, wer diese Netzwerke konstituiert, weiss Castrsana: "Sie involvieren viele Sektoren, nicht nur den Verwaltungsapparat der Justiz, der Regierung, des Kongresses oder des Gerichtswesens, sondern auch von Unternehmen, Kommunikationsmedien, Anwaltskanzleien und andere". Die Ermittlungen weisen auf, dass es sich um diverse Netze handelt, die von verschiedenen Personen geführt werden, die wiederum in Verbindung stehen mit zahlreichen Interessensgruppen und die sich ihrer Straffreiheit sicher sind. "In Sachen Justizverwaltung sprechen wir von RichterInnen, StaatsanwältInnen und AnwältInnen", konkretisiert der CICIG-Chef. Zudem versichert dieser, dass es innerhalb der Staatsanwaltschaft Strukturen gibt, die sich explizit darum kümmern, dass bestimmte Fälle nicht vorankommen und dass 98% der Straflosigkeit nicht nur in der Verantwortung dieser Institution liegt, sondern auch in den Händen der Polizei und der RichterInnen. "Wir benennen und erheben Disziplinarverfahren gegen diejenigen, von denen wir annehmen beweisen zu können, dass sie es sind, die Stöcke in die Radspeichen stecken", meint Castresana und bestätigt die Untersuchungsergebnisse der Myrna Mack-Stiftung. Bereits 2003 schrieb die Internationale Menschenrechtskommission CIDH, dass diese Gruppen assoziiert sind mit dem Drogenhandel, Geiselnahmen, Morden mit Charakteristika sozialer Säuberung, Schmuggel, Raub im grossen Stil, sowie Übergriffen und Drohungen gegen MenschenrechtsaktivistInnen, Justizangestellten, ZeugInnen, JournalistInnen, GewerkschaftlerInnen und andere Sektoren. Nach oben |
Inzwischen hätten diese Strukturen den Einsatz ihrer geheimdienstlichen Methoden und Techniken perfektioniert, die dank einer komplexen Arbeitsteilung funktionieren und sowohl auf finanzielle Ressourcen zurückgreifen können als auch volle Straffreiheit geniessen. Laut Angaben ihres Leiters ist die CICIG dabei, Beweise zusammenzutragen, die die Informationen über diejenigen stützten, die in die Netzwerke verwickelt sind: "Eine Sache ist es, über die Informationen zu verfügen, die andere ist, Beweise dafür zu haben. In Guatemala ist es einfach, an Informationen zu kommen, denn es gibt viele Quellen, doch dann heisst es, diese zu belegen, um dich abzusichern, dass sie dich nicht auf eine falsche Fährte bringen." Ein wesentliches Hindernis zur Aufdeckung dieser Strukturen sei der Mangel an legalen Instrumenten. "Deswegen reiten wir so darauf herum, dass wir die Werkzeuge, sprich die Verabschiedung bestimmter Gesetze brauchen und unsere Beschwerde lautet: "Ihr überlasst uns die Fälle, ihr überlasst uns die Verantwortung vor der öffentlichen Meinung, diese Fälle zu lösen, aber ihr gebt uns nicht die Werkzeuge, die wir dafür brauchen", richtet sich Castresana an den Kongress und fügt hinzu: "Es gibt kein einziges Gesetz, das die tatkräftige Mitarbeit von Personen autorisiert, die in Blutverbrechen involviert sind. Und es gibt keine Gerichte mit erweiterter Kompetenz bzw. für Schwerstverbrechen, um solche Fälle in die Hauptstadt zu bringen, die ganz offenkundig nicht in den Gerichten im Landesinneren verhandelt werden können. Die Arbeit ist inzwischen im Gange und wird keine kurzfristigen Ergebnisse zur Folge habe, solange die nötigen Rechtsinstrumente nicht verabschiedet werden, die wir einfordern. Nach zwei Jahren in Guatemala weiss Castresana, dass neben den klandestinen Apparaten die endemische Korruption Fortbestand hat. Auch wenn ein neues Justizsystem geschaffen wird, werden auf diese Weise die Kriminalitätsraten nicht sinken. Das grösste Herausforderung, mit der sich laut Castresana das Land konfrontiert sieht, ist die wachsende Präsenz des organisierten Verbrechens: "Das schwerwiegendste Problem ist die Koordination zwischen dem transnationalen organisierten Verbrechen mit dem lokalen organisierten Verbrechen und der gemeinen Kriminalität. Das heisst, dass wenn die Familien seit vielen Jahren mit Drogen, Menschen und anderem handelten, sprechen sie sich heute gut mit anderen Familien ab, die aus dem Ausland kommen, und mit den Jugendbanden. Das ist ein sehr ernstes Problem und es muss schnell darauf reagiert werden, um es zu unterbinden, so lange noch Zeit ist", warnt Castresana. Trotz aller Besorgnis nimmt der CICIG-Chef auch Veränderungen wahr: "Es ist bereits ein Wandel in Institutionen wie der Polizei und der Staatsanwaltschaft im Gange. Etwas langsamer geht es im Gerichtswesen, und die Wahrnehmung der Bevölkerung beginnt sich auch zu verändern. Wir versuchen nun, ein "Mikrosystem der Justiz" zu schaffen mit einer reduzierten Gruppe an PolizistInnen, AnwältInnen und RichterInnen. Sie werden der Samen sein, der später Ergebnisse hervorbringt." In den letzten zwei Jahren hat sich die CICIG 15 Rechtsprozessen angenommen, in sieben davon hat sie sich als Nebenklägerin aufstellen lassen. Gemäss Castresana wird die Kommission keine weiteren Fälle mehr annehmen, da die Mission der CICIG nicht in der Aufklärung von Fällen bestehe. "Unsere Funktion besteht darin, die Probleme aufzuzeigen und zu versuchen, dass die Polizei und die Staatsanwaltschaft deutlich fähiger werden, die Fälle vernünftig aufzustellen und in den Gerichten einen sauberen Gesprächspartner haben. Demzufolge liegt die absolute Priorität in der Erneuerung des Obersten Gerichtshofes und des Berufungsgerichtes und zwar unter Konditionen, die es den GuatemaltekInnen erlauben, dem System zu vertrauen und eines Tages gar stolz auf ihre Gerichte zu sein", detailliert Castresana. |
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