Und dann war da noch ... Dorfentwicklung á la Drogenbosse
Fijáte 442 vom 26. August 2009, Artikel 4, Seite 6
Original-PDF 442 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 --- Nächstes Fijáte
Und dann war da noch ... Dorfentwicklung á la Drogenbosse
Zacapa, 30. Juli 2009. Die guatemaltekische Polizei, die Streitkräfte und die US-Drogenbehörde DEA hatten ihre Helikopter und Fahrzeuge aufgefahren: Sie wollten vier Brüder der Familie Lorenzana in dem Dorf La Reforma im Departement Zacapa festnehmen. Diese werden des Drogenhandels und der Geldwäsche verdächtigt. Gut möglich, dass das stimmt. Die Autoritäten erfuhren jedoch bei der Festnahme heftigen Widerstand - von Schlägern der Drogenbosse? Nein, das halbe Dorf La Reforma besetzte, bewaffnet mit Knüppeln und Macheten die Strasse zum Dorf und damit zum Wohnort der vier Brüder Lorenzana. Aus verbrannten Reifen wurden Barrikaden errichtet. Ganz normale DorfbewohnerInnen schützten die Familie eines Drogenbosses. Unglaublich? Verrückt? Nein, eher symptomatisch für ein Land der extremen sozialen Gegensätze, die durch neoliberale Reformen noch verschärft worden sind. Und wo Drogenkartelle Einfluss bis auf Ebene der Regierungsfunktionäre haben. Aus der Sicht der DorfbewohnerInnen von La Reforma sind die Lorenzanas vor allem eines: die einzigen Wohltäter, die ihnen ein menschliches Leben ermöglichen. Die guatemaltekische Zeitung Prensa Libre zählt auf, in welcher Weise die Lorenzanas dem Dorf La Reforma hilft: Diese Familie mache Sozialarbeit, damit die gesamte Nachbarschaft zufrieden sei und niemand ihre Geschäfte anzeigt oder sich darin einmischt. Sie richteten eine medizinische Klinik mit Labor ein, die alle DorfbewohnerInnen gratis nutzen könne. Sie verschenken Spielzeug an die Kinder und Saatgut an die Familienväter. Und sie veranstalten Versammlungen, Feste und Speisungen für jene, die darum nachsuchen. Nach oben |
Aus wirtschaftsliberaler Sicht sind die Lorenzanas vorbildliche Bürger, die nicht staatliche Wohltaten erwarten oder einfordern, sondern selbst etwas tun, private Initiative zeigen. Warum soll der Staat für die Errichtung von Kliniken in einem Dorf sorgen, wenn ein Drogenboss aus privater Verantwortung für seine NachbarInnen das auch machen kann? Ist das zynisch? Wahrscheinlich. Für die einfachen BürgerInnen des Dorfes La Reforma jedenfalls wäre die Verhaftung der Lorenzanas möglicherweise das Ende eines vergleichsweise erträglichen Lebens. Es sei denn, der gleiche Staat, der - zu Recht - die Sicherheitskräfte holt, um die Drogenkriminalität zu bekämpfen, würde glaubhaft sicher stellen, dass die BewohnerInnen von La Reforma - und alle BewohnerInnen des Landes selbstverständlich ihr Recht auf medizinische Versorgung, regelmässige Versorgung mit reinem Trinkwasser und Arbeit erhalten würden. |
Original-PDF 442 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 --- Nächstes Fijáte