Fernando Suazo: Spitze Feder und scharfe Zunge
Fijáte 442 vom 26. August 2009, Artikel 3, Seite 4
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Fernando Suazo: Spitze Feder und scharfe Zunge
Seit März 2006 veröffentlichen wir im ¡Fijáte! regelmässig die Kolumne ¡Hijole! von Fernando Suazo. Wer ist das eigentlich, der da aus dem guatemaltekischen Hinterland immer so treffende - mal nachdenkliche, mal zynische, mal lustige - Kommentare schreibt? Fernando ist 63 Jahre alt, stammt aus dem Baskenland und ist Sohn eines Militärs. Er schloss sich den Dominikanern an und lebte 14 Jahre als Arbeiter-Priester. Wie er nach Guatemala kam und was ihn dazu bewog, das Priesteramt niederzulegen und mit einer Achi-Maya-Frau eine Familie zu gründen, erzählt er im Folgenden. Wir veröffentlichen Ausschnitte aus einem Interview, das Marcelo Colussi kürzlich für Argenpress mit Fernando Suazo geführt hat. Der vollständige Text (auf spanisch) kann bei der Redaktion bezogen oder unter http://www.albedrio.org/htm/entrevistas/albedrio-015.htm heruntergeladen werden. Frage: Wie und wann bist du nach Guatemala gekommen? Fernando Suazo: Ich kam 1984 aus Spanien hierher, um mich vor Ort über die Situation in Guatemala zu informieren. Damals war ich Dominikanerpriester. In Spanien arbeitete ich in einer Arbeiter-Gemeinschaft, in einem dieser Pionierprojekte fortschrittlicher Kreise innerhalb der katholischen Kirche. Es war die Bewegung der Arbeiter-Priester, unsere Denkweise war der Befreiungstheologie, die zu dieser Zeit in Lateinamerika aufkam, sehr ähnlich. Es war die Zeit Francos, ich wurde verfolgt und war zweimal inhaftiert. Nach dem Tod Francos 1975 begann eine eigentümliche Demokratisierungsphase in Spanien. Dazu gehörte die völlige Integration in ein kapitalistisches, konsumorientiertes System. Selbst die Maurer, mit denen wir jahrelang zusammengearbeitet hatten, interessierten sich nur noch für ihre Überstunden und scherten sich einen Teufel um die zunehmende Anzahl arbeitsloser Kollegen. Wir waren ziemlich desillusioniert selbst von den Gewerkschaften, bei deren Gründungen wir mitgeholfen haben. So richteten wir denn unser Interesse Anfang der 80er Jahre vermehrt auf die Entwicklungen in Lateinamerika. Mein Vater war ein Militär und arbeitete in einer Waffenfabrik. Als ich erfuhr, dass diese Waffen an Pinochets Chile geliefert wurden, bekam ich einen grossen Konflikt mit ihm. Auf der einen Seite ernährten diese Waffen unsere Familie, auf der anderen Seite lehnte ich sie aus einer ethischen Perspektive ab. 1984 schickte man mich und zwei Priesterkollegen nach Nicaragua, doch auf unserer Reise kamen wir zuerst nach Guatemala. Was ich hier sah, beeindruckte mich tief, und es war für mich sofort klar, dass ich hierher kommen wollte. Nebst all dem Schrecklichen, das ich hier sah und hörte, ich kam damals schon zum ersten Mal nach Rabinal, hat mich die hiesige, mir bis anhin unbekannte Kultur der Maya-BäuerInnen tief beeindruckt. Ich hatte die europäische Kultur satt, dieser Konsumismus und Individualismus, dieser Mangel an Solidarität, und hier traf ich plötzlich auf eine völlig andere Kultur. Die europäische Kultur baute auf eine übertriebene Rationalität, die sich über das Mysterium lächerlich machte. Hier ist das Mysterium Teil des Alltags, das Magische ist eine Dimension der Realität, mit der man leben muss. Das hat mich stark angezogen, ich habe mich mit Kopf und Herz und grosser Neugierde da hineingegeben. Ich hatte Theologie und Philosophie studiert und gemerkt, dass sich in Europa alles aufs omnipräsente "Ich" konzentriert selbst im Marxismus, da ist es einfach ein kollektives "Ich". Nirgends traf ich jedoch auf die Weisheit, sich dem andern oder für das andere zu öffnen, bis ich hierher kam und wusste, da gehöre ich hin. Frage: Bist du hier auf eine Kultur des "Wir" gestossen? F.S.: Nicht so sehr eine Kultur des "Wir", sondern des "Du". Die Kultur des "Wir" kannte ich von den revolutionären Organisationen Europas. Diese verstanden das "Wir" als die Mehrzahl von "Ich". Hier, ich spreche jetzt konkret von den Mayas und Rabinal, lernte ich eine Kultur der Verschiedenheit kennen. Für mich war das, um es plastisch auszudrücken, wie wenn ein Durstiger Wasser findet oder ein Blinder Licht sieht. Nach oben |
Ich kam dann als Priester hierher. Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich schon nicht mehr ans Zölibat, aber es wäre mir nie in den Sinn gekommen (nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen), als Zivilist hierherzukommen. Frage: Du hast also das Zölibat in Frage gestellt? F.S.: Schon lange, aber solche Entscheidungen trifft man nicht von heute auf morgen, das sind langwierige Prozesse. Ich bin mit zehn Jahren in die Kongregation eingetreten, das heisst ich lebte zölibatär, bevor ich dazu kam, meine ersten sexuellen Erfahrungen zu haben. Ich lebte in einer vollkommen männlichen Umgebung, 180 Burschen - und die einzige Frau, die wir vor Augen hatten, war die Jungfrau Maria. Ich habe meine Studienzeit in einer sehr offenen Umgebung verbracht. Unsere Lehrer, alles Dominikaner, förderten unsere intellektuelle Neugierde und hörten sich unsere Kritiken an. Aber ich war zu dieser Zeit noch nicht in der Lage, ernsthafte institutionelle Kritik zu formulieren, die auch Änderungen bewirkt hätte. Ich kam aber schon mit dem eingepflanzten Samen der Kritik am Zölibat, an der Institution Kirche und an den offiziellen Interpretationen über die Persönlichkeit von Jesus nach Lateinamerika. Hier verstärkte sich meine Kritik noch und wurde komplexer. Ich begann, über die Rolle der Kirche sowohl in Spanien wie in Lateinamerika nachzudenken, nicht bloss übers Zölibat sondern ganz allgemein über das menschliche Phänomen Religion. Ich habe gelernt, dass man zwischen Religion und Spiritualität unterscheiden muss. Die Spiritualität hilft uns, offen zu sein für die Mysterien und neugierig zu sein auf das Unbekannte. Doch dann kommt die Religion, kapselt alles ein und macht daraus ein Herrschaftsinstrument. Ich richte meine Kritik nicht explizit gegen die katholische Kirche, sondern gegen religiöse Institutionen überhaupt, denen es meist darum geht, sich selber um jeden Preis zu reproduzieren. Jesus ist ein wunderbares Beispiel für einen Dissidenten, dessen Spiritualität von den Hierarchien seiner Zeit unterdrückt wurde. Die meisten religiösen Institutionen, selbst die katholische Kirche, sind inkompatibel mit dem Engagenment für die Armen, wie es Jesus gepredigt hat. Jesus stünde heute an der Seite von Menschen wie Mahatma Ghandi oder Che Guevara. Frage: … und würde sich nicht mit Leuten wie Bush zusammensetzen … F.S.: Im Gegenteil, er würde vor dem Weissen Haus protestieren, und Bush würde ihn töten lassen. Frage: Wie stehst du zur Befreiungstheologie? F.S.: Ich habe eine natürliche Empathie mit ihr. Als ich die Befreiungstheologen las, spürte ich, dass ich vieles von dem, was sie schreiben, bereits in mir hatte. Es ist mir jedoch unverständlich, weshalb die Theologen der Befreiungstheologie weiterhin in einer Institution bleiben, die sich nur selber reproduziert. Frage: Die Befreiungstheologen stellen auch das Zölibat nicht in Frage … F.S.: Sie sehen es als eine persönliche Option. In der katholischen Kirche im Westen ist es eine Bedingung, um überhaupt Priester werden zu können. Es ist eine Bedingung, die weder in der Bibel festgeschrieben ist noch von Jesus gelebt wurde. Das Zölibat ist lust- und frauenfeindlich, beruht auf einer gnostischen Sichtweise und ist ein subtiler Versuch, das menschliche Gewissen zu beherrschen und Schuldgefühle einzupflanzen. Dies hat überhaupt nichts mit Jesus zu tun. Das Zölibat Jesus war eher zufällig, er hatte in seinem Engagement für die Armen und im Kampf gegen die Herrschenden keine Zeit, sich niederzulassen und ein Heim aufzubauen und mit einer Frau zusammenzuleben - er wurde vorher umgebracht. Frage: Das ist eine ziemlich neue Sichtweise auf das Zölibat … F.S.: Ich habe Jahre gebraucht, um zu merken, dass die Moral, die uns die offizielle katholische Kirche predigt, darauf ausgerichtet ist, dass wir uns mehr vor der Lust als vor der Ungerechtigkeit fürchten; mehr vor der Frau als vor dem Tyrann. Für die kirchlichen Oberhäupter ist es einfacher, Franco oder Pinochet die Kommunion zu reichen, als den Frauen kirchliche Verantwortung abzugeben oder sie als Priesterinnen zu weihen. Wie gesagt, es geht um Macht und Herrschaft. Die Lust zu kontrollieren, heisst, die individuellen Gewissen zu kontrollieren, das Thema der Ungerechtigkeit hingegen berührt direkt die herrschaftlichen Dominanzstrukturen, und in diese sind die Religionen ebenso verwickelt wie die Regierenden, die Oligarchie und die Militärs. |
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