Hunger: eine ungelöste Krise
Fijáte 443 vom 9. September 2009, Artikel 6, Seite 4
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Hunger: eine ungelöste Krise
Guatemala, 4. Sept. Neben der weltweiten Finanzkrise, der Schweinegrippe H1N1 und dem Denguefieber, von politischen Problemen ganz zu schweigen, trifft nun Guatemala eine Nahrungsmittelknappheit, an der vorwiegend die Landbevölkerung leidet. Hervorgerufen wurde sie durch das Ausbleiben von Niederschlägen während der Regenzeit, was die ohnehin prekären Bedingungen in dem sogenannten trockenem Korridor (die Departements Jalapa, Jutiapa, Chiquimula, Zacapa, El Progreso, Izabal und Baja Verapaz) noch verstärkt. Die Ernteverluste bis dato auf über 40 Millionen Quetzales geschätzt, gleichzeitig sind die Preise für Mais auf bis zu 160 Quetzales pro Zentner angestiegen, ein Höchststand seit Mai 2007. Laut Inforpress Centroamérica leben 80% der Bevölkerung in Armut und 49% der Kinder sind unternährt, also mehr als in Haiti oder Bolivien. Eine Studie vom August 2008 gibt an, dass 45,6% der Kinder nicht so gross sind, wie es ihrem Alter entspricht oder chronisch unterernährt sind, wobei mehr Kinder auf dem Land als in der Stadt betroffen sind, und vor allem diejenigen, deren Muttersprache nicht Spanisch ist. In Jalapa starben mittlerweile schon zwei Kinder an Unterernährung. Es wurde auch die fehlende Unterstützung von Seiten der Kirchen und Firmen, der internationalen Kooperation und der Regierung kritisiert. Am 19. August rief der Menschenrechtsprokurator Sergio Morales beim Verfassungsgericht die Autoritäten dazu auf, sich der Krise anzunehmen. Sein Anliegen wurde vom Zivilgericht gewährt. Auf Initiative und unter Koordination der PDH haben sich auch mehrere soziale Organisationen, Kirchen und die Universität San Carlos zur Anti-Hunger-Front (Frente contra el Hambre) zusammengetan - um den Hunger zu bekämpfen, Notfallzentren einzurichten und mit der Regierung weitere Aktionen zu planen. Die Regierung ist sich der Situation wohl bewusst. Im Juni diesen Jahres überprüfte das Sekretariat für Lebensmittel- und Ernährungssicherheit (SESAN) die Lebensmittelsicherheit und kam zum selben Schluss. Der Vorsitzende, Juan Aguilar, der inzwischen seinen Posten - aus gesundheitlichen Gründen - aufgegeben hat, gab zu, dass die Regierung unfähig war, diese Krise vorzubeugen. Sie sei auf klimatische Veränderungen zurück zu führen, aber auch darauf, dass die Maisreserven der meisten Familien zwischen Juni und August zu Ende gehen, d.h. nicht nur die Trockenheit, sondern auch strukturelle Probleme Schuld daran seien. Man könnte sich fragen, ob damit der Massenanbau von Afrikanischer Palme und Industriemais zur Herstellung von Agrodiesel gemeint ist, oder die ungerechte Landaufteilung, die dazu führt, dass GrossgrundbesitzerInnen weite Flächen brach liegen lassen. Laut Präsident Álvaro Colom ist dies ein Problem, das sich über die Jahre verschlimmert hat und nicht während nur einer Regierungszeit gelöst werden kann. Eine punktuelle Lösung sei das Programm "Mi Familia Progresa" der Frau des Präsidenten, Sandra Torres de Colom, welches sehr medienträchtig ist, sonst aber von BäuerInnen kritisiert wird, da es zu Divisionen in den Gemeinden führt - die Verteilung wird oft über Parteien getätigt und teilweise gegen Wählerstimmen "verkauft", um z.B. Volksabstimmungen über Megaprojekte zu beeinflussen - und die gezahlten Beträge seien nicht ausreichend. Nach oben |
Die Regierung reagierte auf diese Krise mit mehreren Massnahmen. So wurde am 24. August ein Gefahren- und Lebensmittelnotfallplan verabschiedet, der versucht, weiterhin Mais und Bohnen zu importieren. Dies ist allerdings keine sehr effektive Methode, da die Preise dieser Produkte allgemein gestiegen sind. Der Plan spricht ausserdem dem Landwirtschaftsministerium (MAGA) 60 Millionen Quetzales zum Kauf von Saatgut zu. Weiter wurden am zusätzliche 140 Millionen Quetzales und 56'000 Solidaritäts-Lebensmittel-Beutel versprochen. Am 1. September begann ein Dialog mit der internationalen Gemeinde um zu sehen, ob Notfallunterstützung von dieser Seite aus möglich ist. Eine Umfrage soll ergeben, wo genau die am meisten betroffenen Menschen leben und wie viele es sind. Von internationaler Seite übergab das Welternährungsprogramm der Regierung 200 Tonnen Mais, Bohnen und Mehl. Allerdings erklärten die Vereinten Nationen, dass aufgrund der Weltwirtschaftskrise das Programm Vitacereal, welches 150'000 Personen mit chronischer Unterernährung in 14 Departements mit Nahrungsmitteln beliefert, ab Oktober suspendiert wird. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN wird ihrerseits 5000 Familien unterstützen, indem sie Lehrprogramme zum Umgang mit Bodenfeuchtigkeit durchführt und trockenheitsresistente Samen überreicht. Wenn diese Familien damit Ernteerfolge erzielen, sollen sie die Samen dieser Pflanzen an andere BäuerInnen weitergeben und somit einen Multiplikationseffekt erzielen. Dieses Programm ist auf 4 Jahre festgesetzt und wird voraussichtlich 18 Millionen Dollar kosten. Am 3. September stattete der UN-Berichterstatter über das Recht auf Ernährung, Olivier De Schutter, Guatemala einen ofiziellen Besuch ab. Trotz allem lies das Gesundheitsministerium verlauten, dass es in Guatemala keine Hungersnot gebe und auch keine schlimme Unterernährung, da laut einer Studie an 13'000 Minderjährigen nur 0,89% unterernährt seien und nicht die 10%, die von der WHO als Kriterium für Hungersnot angegeben werden. Nicht die Hungersnot sei das Problem, sondern die Trockenheit und Lebensmittelunsicherheit. Letztere kam zustande, weil die Familien kein Geld haben um Lebensmittel zu kaufen, und nicht, weil keine Lebensmittel verfügbar wären. Demnach würde auch kein Notstand ausgerufen werden, welchen die Kooperationsländer aber benötigen, um Guatemala Hilfe zukommen lassen zu können. Dennoch alarmierten verschiedene Organisationen die Öffentlichkeit. Die bisher eingeleiteten Massnahmen seien unzureichend, um sich der Lebensmittelkrise zu stellen, nicht nur im trockenen Korridor, sondern im gesamten Gebiet, in dem bis Ende des Jahres 2 Millionen Guatemalteken betroffen sein könnten. Die Kosten würden sich eher auf 500 Millionen Quetzales belaufen und es wäre notwendig, den BäuerInnen den Zugang zum Landbesitz zu ermöglichen, d.h. eine Agrarreform durchzuführen. ProRural und andere Programme des Rat des sozialen Zusammenhalts müssten reorganisiert werden. Am 2. September räumte die SESAN ein, dass wohl etwa 400 Millionen Quetzales nötig wären, um sich der Ernährungskrise zu stellen, jedoch nur 140 Millionen dafür aufgewendet werden könnten, die 300'000 Familien des trockenen Korridors zu Gute kämen. |
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