Militarisierung auf dem Vormarsch
Fijáte 429 vom 25. Februar 2009, Artikel 4, Seite 5
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Militarisierung auf dem Vormarsch
Guatemala, 18. Feb. Mehr als die Hälfte der guatemaltekischen Verwaltungsbezirke, zusätzlich zu Ortschaften, Dörfern und Wohnbezirken, haben die Präsenz des Militärs beantragt, in dem Ansinnen, auf diese Weise der zunehmenden Delinquenz Einhalt zu gebieten. Víctor Hugo Figueroa, Bürgermeister von Uspantán, Quiché, und ehemaliger Vorsitzende der BürgermeisterInnenassoziation ANAM erklärt: "Die BürgermeisterInnen und die Bevölkerung vertrauen auf die Disziplin der Armee, im Vergleich zu dem Eindruck, den sie von der Nationalen Zivilpolizei (PNC) haben." Der Sprecher der Armee, Hauptmann Francisco Loranca, gibt an, dass diese bereits 362 Anträge aus der Hauptstadt als auch aus anderen Ecken des Landes erhalten habe. Angesichts dieses Bedarfs wurden inzwischen ReservistInnen aufgerufen, sich zu melden. Von diesen sind laut Verteidigungsminister Abraham Valenzuela rund 2´000 GuatemaltekInnen rekrutiert worden, um 172 der Anträge nach Militärpräsenz realisieren zu können. In diesem Rahmen, so kündigte Valenzuela an, wird auch in der mit der ursprünglich militärischen Bezeichnung "Ixil-Dreieck" benannten Region um San Juan Cotzal im Departement Quiché eine Kaserne eingerichtet. Weitere Pläne sehen vor, die Militärbasis in San Marcos wieder zu öffnen und die von Puerto Barrios, Izabal auszubauen. Die Einbeziehung der Armee in die Sicherheitsaufgaben des Staates nahm ihren Anfang mit den kombinierten Patrouillen auf den Strassen der Hauptstadt unter Ex-Präsident Oscar Berger seit 2006. Das hat zu einer steten Erhöhung des Verteidigungsetats geführt. So wurden diesem Ministerium im Haushalt 2009 rund 1,3 Mrd. Quetzales zugewiesen und vor wenigen Tagen ein zusätzliches Plus von 150 Mio. vom Kongress abgesegnet. Präsident Álvaro Colom nutzte bereits wiederholt die Gelegenheit, seine Intention zu verkünden, die Truppen von 15´000 auf 25´000 SoldatInnen nach und nach aufzustocken. Die militärische Unterstützung der Polizei umfasste bislang bereits die Begleitung durch SoldatInnen von Stadt- und Überlandbussen und ihre Präsenz an Bushaltestellen und -bahnhöfen; SoldatInnen stellen die Aussenbewachung der Gefängnisse und führen Landräumungen mit durch. Bislang gibt es schon neun Militärcamps im Gebiet der Hauptstadt in als "rote Zone" bezeichneten Vierteln wie dem als Drogenhochburg bekannten El Gallito der Zone 3 und verschiedenen Punkten in den Aussenbezirken Villa Nueva, Amatitlán und Mixco. Konkret steht dabei dann, so gesehen im Gallito, ein eingerichteter LKW-Anhänger, der einem Eisenbahnwaggon ähnelt, und davor stehen schwerbewaffnete Soldaten locker hinter Sandsackbarrikaden direkt im Marktgeschehen. Ob der klammheimlichen Ausweitung der Präsenz der Armee im zivilen Leben äussern soziale Organisationen regelmässig ihre Sorge ob der Militarisierung des Landes. Schliesslich sei gemäss den Friedensverträgen die Gewährung der öffentlichen Sicherheit Aufgabe der zivilen Autoritäten. Die KritikerInnen machen die verstärkt ans Tageslicht tretende Schwäche der Polizei und die oft bewahrheiteten Vorwürfe der Korruption derselben dafür verantwortlich, dass das Militär gleichwohl so viel Land und Zustimmung in der Bevölkerung gewinnen kann. Allein im Jahr 2008 wurden 64 PolizeiagentInnen festgenommen, denen verschiedene Verbrechen vorgeworfen wurden. Einer der letzten Fälle betraf einen 45jährigen Offizier und seinen 31jährigen Agentenkollegen, die Ende Januar gefasst wurden - verdächtigt des schweren Raubs und Mordes. Ein weiterer - längst bekannter -Aspekt ist der generelle Mangel an PolizistInnen. Berechnungen, die sich auf Daten des Nationalen Statistikamtes (INE) stützen, besagen, dass in manchen Departements gerade einmal einE PolizistIn zuständig ist für 3´000 EinwohnerInnen. Nach internationalen Standards beträgt die Idealproportion 1:300. Für 2009 sieht das INE voraus, dass die Bevölkerung die 14 Millionenmarke übersteigt. Im bestmöglichen Fall bräuchte es dafür rund 40´000 PolizistInnen, Ende 2008 wurden in Guatemala jedoch gerade einmal 19´191 AgentInnen gezählt, von denen jedoch nur die Hälfte tatsächlich aktiv ist, der Rest ist beurlaubt oder aus anderen Gründen freigestellt. "In das Militär zum Zweck der öffentlichen Sicherheit zu investieren, ist ein Fehler, der die Institutionalität des Landes schwächt", so Menschenrechtsprokurator Sergio Morales. "Die SoldatInnen sind dafür da, die Souveränität des Landes zu gewähren, und die Polizei für die Sicherheit. Wenn diese geschwächt ist, muss sie eben gesäubert und in sie investiert werden." Nach oben |
Fraglich ist, wer von den Autoritäten oder Betroffenen letztlich wirklich nach dem Militär ruft. Diese Frage stellt sich unter anderem beim "Plan sicheres Quiché", angekündigt von der Sicherheitskommission des Departementalen Entwicklungsrates in Santa Cruz del Quiché, der angeblich zur Bekämpfung der Kriminalität umgesetzt werden soll. Mario Morales Toj von der Sicherheitskommission erläutert: "Der Plan umfasst die Wache durch PolizeiagentInnen und Militärs unter Einsatz von Streifenwagen und Motorrädern. Gemäss der Autoritäten werden sich Personen vor diesen Patrouillen identifizieren müssen, Fahrzeuge werden durchsucht und Gegenstände beschlagnahmt, die genutzt werden könnten zum Autodiebstahl, sowie nicht-registrierte Schusswaffen und Drogen. In diesem Zusammenhang werden zwei mobile Militärkasernen geöffnet, die voraussichtlich in Sacapulas und Joyabaj stationiert werden, strategische Punkte, da sie die Verbindung zu Huehuetenango, der mexikanischen Grenze und der Hauptstadt bieten. Schliesslich ist für dieses Jahr - mit argumentativem Rückgriff auf den Anstieg des Drogenhandels in der Region - die Eröffnung einer Militärbrigade im Ixcán vorgesehen, die von dort aus die umliegenden Bezirke mit ihren Leuten unterstützen soll. Der "Plan sicheres Quiché" sieht vor, mobile Einsatzkommandos aus 10 PolizistInnen, 10 SoldatInnen, zwei Delegierten der Verbrechenspräventionsabteilung vom Innenministerium und zwei BewohnerInnen des jeweiligen Ortes auf Streife zu schicken. Wie die Rekrutierung von diesen nicht-ausgebildeten ZivilistInnen konkret aussieht, wurde noch nicht bekannt gegeben. Problematisch ist sie ohnehin und angesichts der offiziellen Gewalten- und Aufgabenteilung - und der guatemaltekischen Geschichte - gar nicht erst zu rechtfertigen. Besonders brisant ist die Militarisierung in den genannten Orten im Quiché deswegen, da hier der interne bewaffnete Konflikt ausserordentlich gewütet und zahlreiche Massaker an der indigenen Bevölkerung vom Militär verübt wurden. Im Ixcán bestehen zusätzlich seit Jahren anhaltende Konflikte zwischen Bevölkerung und Autoritäten um Landtitel, grundlegende Versorgung sozialstaatlicher Dienstleistungen sowie um das fortschreitende Eindringen von Rohstoffabbaufirmen und den Bau von Wasserkraftwerken. So stellt denn auch Haroldo Shetemul in seinem Kommentar in der Tageszeitung Prensa Libre die "Millionenfrage", wie er selbst sagt: "Was wird eine Militärkaserne inmitten eines Munizips machen, um eine Jugendbande zu bekämpfen? Werden die SoldatInnen ihre schweren Geschütze auffahren, die ausschliesslich zur Bekämpfung einer militärischen Streitmacht gedacht sind, mitten in einer zivilen Ansiedlung? Wird die Armee befugt sein, Festnahmen, Ermittlungen und Hausdurchsuchungen durchzuführen? Die militärischen Streitkräfte sind ausgebildet, um die nationale Souveränität vor äusseren Bedrohungen zu verteidigen, oder, wie im internen bewaffneten Konflikt, irreguläre Kampftruppen. (…) Die Wieder-Militarisierung birgt das Risiko, die Zivilpolizei vor der Bevölkerung noch weiter zu diskreditieren. Doch wenn diese nichts taugt, warum löst der Präsident sie nicht besser auf und ruft eine effektivere ins Leben, anstatt sie ständig schlecht zu machen und das Militär zu bevorzugen? (…) Neben der Tatsache, dass Colom mit seiner Entscheidung die Friedensverträge mit Füssen tritt, lenkt er die Aufmerksamkeit, der die Polizei mithilfe eines grossen chirurgischen Eingriffes dringend bedarf, komplett ab." |
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