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Bildung allein ist noch kein Garant für Entwicklung

Fijáte 430 vom 11. März 2009, Artikel 1, Seite 1

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Bildung allein ist noch kein Garant für Entwicklung

Gerade wir AkademikerInnen haben hier eine grosse Verantwortung, räumen wir doch der "educación popular" viel zu wenig Platz ein, sei es im Studium, aber auch in der Praxis. Insofern sind wir Teil des herrschenden Systems.

Argenpress: Welche Bildung ist wichtiger, die formelle oder die informelle? Heute spielen die Massenmedien genauso eine wichtige oder gar eine noch wichtigere Rolle als die klassische Schule z.B. bei der staatsbürgerlichen Bildung, bei der Entwicklung von Werten und Denkweisen. Wo bleibt in diesem Setting die "educación popular" von damals? Wo müsste ein progressiver Bildungsansatz einsetzen?

Carlos Aldana: Es scheint, dass heute für die Entstehung von Werten und Ideologien die informelle Bildung einen immer grösseren Stellenwert erhält. Die formelle Bildung ist wichtig, um sich als BürgerIn zu bewähren, um sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, während die informelle Bildung hilft, den Alltag zu verstehen. Ihre Wirkung ist grösser, aber sie ist im Gegensatz zur formellen Bildung nicht zertifiziert.

Was aber stimmt, ist, dass für die Entwicklung von Werten und Zugehörigkeit die Medien eine wichtigere Rolle spielen als die traditionelle Schule. Die grosse Mehrheit der Lehrpersonen konnte mit dem Rhythmus des technologischen Wandels nicht mithalten, wie es die informelle Bildung (z.B. der Medien) erfordert. Deshalb erzielt die formelle Bildung auch nicht dieselbe Wirkung und hat keinen längerfristigen Einfluss auf die SchülerInnen und Studierenden.

Die traditionelle Schule ist auch nicht in der Lage, ein kritisches Verhältnis zu sich selber zu entwickeln und daraus neue, befreiende Vorschläge zu kreieren. Deshalb fehlt es vielen Lehrpersonen sowie den Autoritäten des Bildungswesens am Engagement für die Sache der Bildung, sie verfallen in Konformismus, in eine nicht progressive, klassische und traditionelle Sicht der Dinge. In diesem Sinne könnte man von einem politischen Analphabetismus sprechen.

Deshalb könnte die "educación popular", die in Lateinamerika in den 60er und 70er Jahren eine wichtige Alternative zur formellen Bildung darstellte, eine neue Form der Pädagogik und ein neuer sozio-politischer Ansatz war, auch heute eine Chance nicht bloss für die Campesinos und Indígenas, sondern auch für die Ausbildung der DozentInnen sein. Dies ist eine der grossen Herausforderungen: Wie können wir den PädagogikstudentInnen, den zukünftigen LehrerInnen, die Werte der "educación populer" näherbringen, die durchaus mit den wissenschaftlichen Paradigmen zu vereinbaren sind. Es ist sogar sehr wichtig, Ansätze des holistischen (ganzheitlichen) Lernens oder der "biomolekularen Revolution" (Gentechnologie) mit der "educacion popular" zu verbinden. "Educación popular" ist nicht bloss eine Methode, es ist die politische Vision einer Pädagogik, deren Ziel die Schaffung eines Bewusstseins für soziale Veränderungen in den Menschen ist.

Dabei verschiedene Welten miteinander zu verbinden, ist eine wunderbare und verheissungsvolle Chance für die akademische Welt. Dies zu tun, versuche ich in meiner täglichen Praxis.

Argenpress: Wie sollen wir aus der Sicht der "educación popular" dem Ansturm der audiovisuellen Medien (VGFernsehenNF, Internet, Videospielen) begegnen, die heute nicht mehr wegzudenken sind und selbst die formelle Schule zu verdrängen drohen?

Carlos Aldana: Die Jugendlichen von heute wachsen in einem soziovirtuellen Raum auf. Ihr Umfeld, ihr Referenzrahmen, ihr Leben ist geprägt von natürlichen Elementen, von kulturellen Faktoren und von virtuellen Elementen. Bis vor wenigen Jahren beeinflussten auch uns vor allem noch die ersten beiden Punkte unser Leben: Man beschäftigte sich mit der Natur und der Kultur, die beide von der Gesellschaft, in der man lebte, geprägt waren. Nun ist das Virtuelle dazugekommen, und man muss dies sehr ernst nehmen. Das Virtuelle existiert und wird weiterexistieren und sich weiterentwickeln, sowohl quantitativ wie qualitativ.

Eine alternative Pädagogik muss sich heute mit diesen Veränderungen auseinandersetzen. Man muss sie kennen, um ihre möglichen schädlichen oder kreativen Einflüsse zu beurteilen. Wir können es uns nicht leisten, diese Veränderungen zu ignorieren. Aber wir müssen uns auch bewusst sein, dass alle Virtualität der Welt die historischen Probleme nicht einfach auslöschen. Es wird weiterhin Armut, Ungerechtigkeit, Marginalisierung und VGRassismusNF geben. Wir dürfen uns nicht verblenden lassen von dem Virtuellen, aber wir müssen wissen, wie auch wir es nutzen und aus ihm Vorteile ziehen können.

Argenpress: Mit den VGPrivatisierungenNF im Rahmen der neoliberalen Politik des Kapitalismus der letzten Jahre ist auf der ganzen Welt die Bildung zur Handelsware verkommen und der service publique wurde immer mehr zurückgedrängt. Wie kann dem begegnet werden?

Carlos Aldana: Das Informelle kann nicht privatisiert werden. Man wird die organisatorischen Kapazitäten der Volksbewegung nicht privatisieren können, deshalb ist es auch wichtig, mit diesen Sektoren weiter zu arbeiten. Es gibt Leute, die sagen, dass die "educación popular" heute keinen Sinn mehr macht. Ich glaube, sie macht mehr Sinn denn je.

Wir haben heute eine gewaltige Krise im Finanzsystem, was wir seitens der "educación popular" ausnützen müssen. Wir befinden uns in einer strukturellen Krise. Ich will damit nicht sagen, dass die Welt vor dem Untergang steht, aber wir befinden uns in einer tiefen Krise, die uns vielleicht die Chance für die Entwicklung neuer Modelle bietet. Es ist eine Chance, die kritische Debatte über die Privatisierungen wieder neu aufzunehmen. Der Höhepunkt der Privatisierungen ist vorbei, denn die Krise diktiert andere Prioritäten. Ob die Privatisierungsideologie aufgeschoben oder aufgehoben ist, wage ich nicht vorauszusagen. Viel ist in den letzten Jahren im Bildungsbereich privatisiert worden, aber es gibt noch einen Rest, der verschont blieb, und den gilt es nun zu verteidigen.

In Guatemala existieren unglaubliche Daten: Im Vorschul- und im Sekundarbereich ist die Zahl der privatisierten Angebote immens. Im Sekundarbereich zum Beispiel besuchen 77% der SchülerInnen eine Privatschule. Das ist eine gefährliche Tendenz: Die "besten" Jahre ihrer Jugend in der Zeit, wo sie ihre Werte, ihre Ideologien und ihr Weltbild entwickeln, befinden sich diese Jugendlichen in privaten Institutionen, die jede auf ihre Weise politischen oder ideologischen Interessen gehorchen. Diese Entwicklung muss rückgängig gemacht werden.


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