Militärpläne sind plötzlich verschwunden
Fijáte 430 vom 11. März 2009, Artikel 4, Seite 4
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Militärpläne sind plötzlich verschwunden
Guatemala, 07. März. "Es wurde noch nie öffentlich gesagt, aber ich bin mir sicher, dass Sie und die Familien, für die Sie stehen, wissen, was passiert ist (...) In Guatemala ist ein Völkermord verübt worden." Das waren die Worte von Präsident Álvaro Colom anlässlich der Gedenkfeier für den 10. Jahrestag der Präsentation des Berichts der Wahrheitskommission CEH. (¡Fijáte! 429) Auch wenn einige Präsidenten bereits um Verzeihung für die während des internen bewaffneten Konflikts vom Staat begangenen Verbrechen gebeten hatten, gehen, so inforpress centroamericana, Coloms Worte doch in die Geschichte ein als erste offizielle Anerkennung des Genozids. Da die CEH damals keine Namen nennen durfte, beantragte sie zumindest, die Verantwortlichen für die Verbrechen vor Gericht zu bringen. So begann die Vereinigung für Justiz und Versöhnung (AJR) zwischen 2000 und 2001 zwei Strafprozesse gegen die ehemaligen Staatschefs Romeo Lucas García (1978-82, 2006 verstorben) und Efraín Ríos Montt (1982-83) sowie deren jeweilige Militärspitzen und klagte sie unter anderem des Genozids an. Um ihre Klage zu belegen, präsentierte die AJR die Fälle von 16 Massakern, in denen 620 Personen ermordet worden waren, doch bislang fehlte noch die Beweisführung einer Verbindung zwischen den Taten und den Angeklagten. Zu diesem Zweck und im Fall von Ríos Montt beantragten die AJR und die Staatsanwaltschaft die Herausgabe von vier Militärdokumenten: den Plan Victoria, den Plan Sofía, den Plan Operation Ixil und den Plan Firmeza 83. Diese vier Pläne beinhalten mutmasslich strategische Informationen über die Militäroperationen in den Jahren 1978 bis 83. Die Anwälte von Ríos Montt argumentierten, dass diese Pläne dem Militärgeheimnis unterständen, doch nach einem langwierigen Berufungsprozess entschied das Verfassungsgericht im März 2008, dass dies nicht der Fall sei und forderte das Verteidigungsministerium zur Übergabe auf. Angesichts der hohen Erwartungen vor allem seitens Menschenrechtsorganisationen an die Archive, wies der Soziologe Duncan Talomé, Autor der Studie "Militäroperationen in der Ixil-Zone" darauf hin, dass nicht unbedingt alles, was an Kriegsgräueln begangen wurde, in den Plänen wiederzufinden sei und andersherum nicht alles, was die Pläne vorsahen, auch tatsächlich realisiert wurde. Dennoch insistiert der Anwalt Juan Francisco Soto vom Menschenrechtszentrum CALDH, das als Nebenklägerin auftritt, dass die Staatsanwaltschaft auf jeden Fall die Pläne untersuchen und die Verbindung zu den begangenen Taten ziehen müsse. "Wir glauben nicht, dass das Auslöschen der Dörfer eine spontane Aktion war. Wenn man sich die Operationen genauer ansieht, erkennt man ein Muster im Vorgehen, das sich immer wiederholt. Das muss geplant worden sein." Präsident Colom sekundierte die Übergabe- Aufforderung durch die Gerichtsinstanzen im Februar letzten Jahres mit seiner Ankündigung, die Militärarchive generell zu öffnen und ähnlich den Archiven der Nationalpolizei zur Klassifikation freizugeben. Sich dieser Anweisung zu widersetzen kostete Anfang des Jahres den Verteidigungsminister seinen Posten. (¡Fijáte! 426) Doch der militärische Widerstand ist ungebrochen. Im Februar urteilte das Verfassungsgericht erneut zu Gunsten der Herausgabe der vier Militärpläne und setzte das Ultimatum just auf den CEH-Gedenktag. So erschien Verteidigungsminister Abraham Valenzuela am 25. Februar vor der ersten Gerichtsinstanz und erlaubte dem Diensthabenden Richter Einblick in die Pläne Victoria und Firmeza 83. Die anderen beiden Pläne seien "verschwunden". Zur Empörung der klagenden AJR und CALDH, waren sie über diesen Termin nicht informiert worden. Zudem habe der Richter nicht, wie vorher angeordnet, beglaubigte Kopien von den Dokumenten einbehalten, die den klagenden Parteien übergeben werden sollten, sondern schickte den Verteidigungsminister samt seiner Pläne wieder zurück ins Ministerium, ohne dem Fehlen der anderen zwei Pläne nachzugehen. Doch just in diesen beiden, so behaupten die KlägerInnen, würde unter anderem General Ríos Montt direkt mit den Taten in Verbindung gebracht. Stattdessen setzte der Richter einen neuen Termin fest, an dem die vorgelegten Dokumente auf ihre rechtmässige Veröffentlichbarkeit hin untersucht werden sollten - obwohl das Verfassungsgericht diese längst bestätigt hat. Widersprüchlich erscheinen Aussagen und Tatbestände: Der im letzten Jahr der Regierung von Ex-Präsident Óscar Berger amtierende Verteidigungsminister Cecilio Leiva hatte immer von vier existierenden Plänen gesprochen. Auch im von AJR initiierten Prozesses ging es stets um vier Pläne. Jetzt sollen, so der aktuelle Minister des Ressorts, unter Leiva zwei von den vier Dokumenten vernichtet worden sein. Selbst Präsident Colom ist von dem Verschwinden nicht ganz überzeugt, schliesslich hätten sie seit längerer Zeit unter besonderem Schutz gestanden. Nach oben |
Nun wurde dem Richter, Jorge Mario Valenzuela ein Ultimatum gesetzt: Innerhalb von 48 Stunden habe er zu erklären, was er unternommen habe, um die fehlenden Dokumente aufzutreiben. Ausserdem, so Richter Napoleón Gutiérrez vom Berufungsgericht, habe Valenzuela gar nichts in Frage zu stellen, schliesslich sei von höherer Instanz samtVerfassungsgericht entschieden, dass die Dokumente nicht unter das Militärgeheimnis fallen und zudem eindeutig in dem Prozess gegen die Militärs verwendet werden können. Präsident Colom kündigte bereits eine präsidiale Kommission an, die unter Leitung des Generalinspektors der Armee, Aníbal Flores España, dafür zuständig sein soll, innerhalb von 10 Monaten die Militärarchive aus dem Zeitraum zwischen 1954 und 1996 zu klassifizieren, wobei noch gar nicht bekannt wurde, dass diese Archive offiziell auch überreicht wurden. Derweil informierte auch Verteidigungsminister Valenzuela, eine aus Militärs bestehende Gruppe ausgesendet zu haben, die verloren geglaubten Pläne Sofia und Ixil zu suchen. Aus der Zivilgesellschaft tönt derweil Kritik, dass dies doch sinnvollerweise Aufgabe der Staatsanwaltschaft sei, das Militär nicht gleichzeitig Partei als auch Richter, sprich, verantwortlich für die Sicherung der wahrscheinlich durch die eigenen Reihen selbst verschwunden gelassenen Dokumente sein könne. Unterdessen gerieten zwei prominente mutmassliche Protagonisten der Pläne ins Rampenlicht. General Ríos Montt behauptet, er wüsste, wenn überhaupt, nur vom Plan Victoria 82, doch bestritt er, diesen gebilligt zu haben. General Otto Pérez Molina, der in den 80er Jahren noch in unteren, aber kommandierenden Militärchargen in der Region Ixil stationiert war, wo der Grossteil der Massaker stattgefunden hat, bestätigt indes, die Pläne Victoria und Firmeza 83 - die beiden herausgegebenen - gekannt zu haben. Vom Plan Sofia habe er gehört, wüsste aber nicht, ob es ihn tatsächlich gebe. Die Stiftung Rigoberta Menchú und die unabhängige Abgeordnete Otilia Lux de Cotí sind derweil davon überzeugt, dass Pérez Molina für das Verschwinden der Dokumente gesorgt hat. So behauptet Eduardo de León, Rechtsberater der Stiftung, Pérez´ Beteiligung in der Operation Ixil sei so immens gewesen, dass er, als die geplante Veröffentlichung bekannt wurde, im Kongress alles daran setzte, um diese zu verhindern. Dafür, so de León, habe er - im Gegenzug zur Zustimmung zu den Haushaltsreformen (¡Fijáte! 429) - die Übertragung von 150 Mio. Quetzales ans Militär durchgesetzt, um dieses günstig zu stimmen. Pérez hingegen kontert auf diese Anschuldigung, sie würde gegen ihn erhoben, weil die Patriotische Partei eine so starke Opposition bilde, und forderte Beweise. Dreissig zivilgesellschaftliche Organisationen reichten derweil Klage gegen den Verteidigungsminister Abraham Valenzuela ein und beschuldigen ihn des Ungehorsams, Selbstbegünstigung und Geheimhaltung von Dokumenten. |
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