Täter oder Mittäter?
Fijáte 433 vom 22. April 2009, Artikel 1, Seite 1
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Täter oder Mittäter?
Die Rolle des Unternehmenssektors im bewaffneten KonfliktWährend des Jahres 1980 radikalisierten sich die städtischen GewerkschafterInnen und wurden durch die staatlichen Sicherheitskräfte brutal niedergeschlagen. An den 1. Mai-Veranstaltungen jenes Jahres wurden 32 Gewerkschaftsmitglieder im Centenario-Park in der Hauptstadt entführt. Am 21. Juni verschwanden 27 Führungsmitglieder der Nationalen Arbeitszentrale (CNT) und am 24. August 17 weitere. Gemäss dem Bericht vom Projekt der Wiedererlangung der historischen Erinnerung (REMHI) des Erzbischöflichen Menschenrechtsbüros (ODHAG) wurden allein im Jahr 1980 110 GewerkschaftsführerInnen ermordet. Wer waren die Verantwortlichen für diese gewaltsamen Aktionen? In den letzten Wochen wurde anlässlich der Feierlichkeiten des 10. Jahrestages des Berichts der Historischen Wahrheitskommission (CEH) besonders die Schuld des Militärs und der Polizei hervorgehoben. Dabei wurde die Verwicklung des Privaten Unternehmenssektors ausser Acht gelassen. Doch bereits das REMHI-Projekt zeigt die Verantwortlichkeit vieler UnternehmerInnen. Inforpress Centroamericana beschäftigt sich im folgenden Artikel aus der Nr. 1794 mit diesem Thema. In Guatemala sind die Namen derer, die während des internen bewaffneten Konflikts hohe Posten in der Regierung besetzten, bestens bekannt. Aber das allein reicht nicht aus für einen Rechtsprozess. Für einen solchen braucht es Beweise, die belegen, dass es eine Befehlskette gab, die befolgt wurde. Aus genau diesem Grund haben die beiden Archive, das des Militärs und das der Nationalpolizei, in letzter Zeit soviel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, denn dank ihnen können solche Befehlsketten aufgezeigt werden. Ein kleiner Teil des Inhalts des Polizeiarchivs wurde kürzlich öffentlich gemacht (siehe ¡Fijáte! 432). Die zuständige Institution, das Menschenrechtsprokurat (PDH), veröffentlichte einen Bericht, in dem unter anderem geschlussfolgert wird, dass das Militär die Polizei seiner Aufstandsbekämpfungsstrategie unterwarf und sie somit in eine repressive Institution der sozialen Kontrolle verwandelte In Bezug auf die Militärarchive besteht das Problem in der Undurchlässigkeit, die die Institution noch heute schützt. Die Justiz hat das Verteidigungsministerium aufgefordert, am 25. Februar vier Militärpläne offenzulegen, doch die Uniformierten haben diese Anordnung nicht erfüllt. Der amtierende Minister, Abraham Valenzuela, argumentierte, die Pläne seien unter der vorherigen Regierung zerstört worden. Daraufhin richtete Präsident Álvaro Colom eine Kommission ein, deren Aufgabe darin besteht, alle Militärarchive von 1954 bis 1996 zu deklassifizieren (siehe ¡Fijáte! 430). Einige AnalystInnen sind der Ansicht, dass nach der Schaffung dieser Instanz nichts mehr von der Sache zu hören sein wird. Aber es gibt noch eine dritte Art von Aufzeichnungen, die das Tun und Lassen einer weiteren Gruppe von Leuten während des Konflikts dokumentieren. Es geht um die UnternehmerInnen; und die Archive, die sich mit ihnen beschäftigen, sind kein Geheimnis. Die Beteiligung des Privatsektors ist vor mehr als einem Jahrzehnt im REMHI-Bericht beschrieben worden. "In den Monaten vor Mai 1980 organisierte der Unternehmensverband CACIF gemeinsam mit dem Generalstab des Militärs (EMGE) mit einem Riesenaufwand den Plan der tausend Tage, eine gigantische antikommunistische Kampagne, deren Zweck es war, ein Klima zu schaffen, das die folgende Eskalation der brutalen Repression rechtfertigen sollte", beschreibt das REMHI-Projekt. Unter den Unternehmern, die diesen Plan mit erarbeiteten, fand sich der damalige Direktor der Vereinigung der Geschäftsführer, Francisco Pérez de Antón, der gleichzeitig als Präsident der Gruppe Multinversiones fungierte, die der Familie Gutiérrez Bosch gehörte. Laut REMHI waren "der grösste Erfolg dieser Kollaboration die harten Schläge, die die Front Luis Lima der Guerrilla-Armee der Armen (EGP) erlitt, die sich an der Südküste etabliert hatte, in jener Zone, die für die exportorientierten Agrar-Unternehmen von besonderem Interesse war." Aber darüber hinaus war das Ergebnis des Plans der tausend Tage die "totale Zerlegung der legalen politischen Opposition, der Gewerkschaftsbewegung und anderer Initiativen der Volksbewegung". Gegnerische GeschäftspartnerWährend sieben Jahren, sowohl während der 90er Jahre als auch in der aktuellen Dekade, hat der britische Soziologe Roman Krznaric eine Art anthropologische Studie über die guatemaltekische Oligarchie erstellt. Er hat rund dreissig Mitglieder der traditionellen Elite interviewt, von denen viele weitgehend bekannt sind, und unterhielt sich mit ihnen über eine Vielzahl von Themen: Vom Land über die Sicherheit bis hin zur Politik. Aber in seinem noch nicht veröffentlichten Buch "Was die Reichen den Armen nicht erzählen", stellt Krznaric fest, dass nur sehr wenige UnternehmerInnen bereit waren, über die Verwicklung des Unternehmenssektors in den Krieg zu sprechen. Und wenn sie doch etwas sagten, tendierten sie dazu, die Rolle von Gruppen wie dem Unternehmensverband CACIF kleinzureden und eher die Rolle von individuellen UnternehmerInnen hervorzuheben. Und obwohl der REMHI-Bericht klar zu verstehen gibt, dass es nicht verwunderlich ist, dass der CACIF und die Militärs Schulter an Schulter zusammengearbeitet haben, ist gleichzeitig augenfällig, dass zwischen ihnen eine ständige Spannung herrschte. So erläutert Mara Luz Polanco, Dozentin an der Wirtschaftsfakultät der Universität San Carlos, dass der CACIF 1957 entstanden ist aus einer Reihe von paradoxen Erfordernissen: die UnternehmerInnen brauchten die Militärs, aber gleichzeitig mussten sie diese auch im Zaum halten. In einem Artikel mit dem Titel "Die Beteiligung der Wirtschaftselite im Transitionsprozess zur Demokratie", schreibt Polanco, dass der CACIF gerade deswegen gegründet wurde, um der wachsenden Macht des Militärs entgegenzuwirken, währenddessen die Oligarchie die Armee brauchte, um die Sektoren zu bekämpfen, die mit der gerade gestürzten revolutionären Regierung (von Jacobo Árbenz, die Red.) sympathisierten. "Es war offensichtlich, dass die Kriegspolitik, die gerade eingeführt wurde, nicht unbedingt mit den Bedürfnissen des nationalen Kapitals kompatibel sein würde", so die Akademikerin. Diese Art von Bündnissen war fürwahr ein Muster, das in vielen lateinamerikanischen Staaten wiederholt wurde. In einigen Ländern wie z. B. in Nicaragua, brach die Koalition zwischen Militärs und UnternehmerInnen auseinander. In Guatemala bestanden die Spannungen fort, endeten aber nie in einem völligen Bruch. Diesbezüglich erinnert das REMHI, dass gegen Ende der 70er Jahre die guatemaltekische Guerilla, inspiriert von den nicaraguanischen Sandinisten, wieder auflebte und sowohl in der Stadt als auch auf dem Land Allianzen mit den dort geführten Kämpfen der Gesellschaft aufzubauen suchte. "Diese Situation brachte einen grossen Teil der Unternehmensführungen dazu, einen Pakt mit der Militärspitze in der Regierung zu schliessen, um die Volksbewegung zu zerschlagen, die als ein weiterer Arm der Aufstandsbewegung betrachtet wurde. Dieses Bündnis löste die schlimmste Repressionswelle gegen die Volksorganisationen in der Geschichte des Landes aus", so der Bericht. Geld und BlutDiese enge Zusammenarbeit, die immer konfliktreicher wurde, löste sich während der 80er Jahre dann doch auf. Es waren vor allem Wirtschaftsthemen, welche die Allianz zerrissen. Gewisse Militärsektoren und ihre Alliierten hatten sich wichtiger Geschäfte bemächtigt und stellten auf einmal eine Konkurrenz für die traditionellen Eliten dar. Ein besonders empfindliches Thema war die Steuerreform. Das Militär wollte, dass die UnternehmerInnen mehr zahlten, um die Aufstandsbekämpfung zu finanzieren, aber die Unternehmenskammern widersetzten sich. Nach oben |
Kann die ökonomische Elite sich von dem Vorwurf ihres Involviertsein in die Verletzung der Menschenrechte erlösen mit dem Argument, just in der blutigsten Epoche des Krieges mit den Militärs gebrochen zu haben? Mindestens drei Studien, alle durchgeführt von AkademikerInnen, die Mitglieder der Wirtschaftselite interviewten, thematisieren die Beziehungen zwischen den beiden dominanten Gruppen während dieser Periode. Dabei kommen sie zu verschiedenen Schlüssen in Bezug auf die finanzielle Hilfe, welche die Unternehmen der Armee in jenen Jahren hat zukommen lassen. So argumentiert die US-Amerikanerin Rachel McCleray, Autorin einer Untersuchung des Selbstputsches des Präsidenten Jorge Serrano Elias im Jahr 1993 mit dem Titel Die Demokratie anordnen: Die guatemaltekischen Eliten und das Ende des bewaffneten Konflikts (1999), dass der einzige Unternehmenssektor, der aktiv mit den Militärdiktaturen von Lucas García und Ríos Montt kooperiert habe, jener der Finqueros gewesen sei: "Auch wenn die nationale Ausweitung der staatlichen Gewalt notwendig war, um die Aufständischen zu bezwingen, war sie nicht integraler Bestandteil der wirtschaftlichen Interessen der industriellen und Handelseliten. Vielmehr diente die vom Staat ausgeübte Gewalt dazu, die Interessen der Agrar-elite zu beschützen", meint McCleary. Einige Finqueros, mit dem zivilen Kommandanten der Flugstreitkräfte-Reserve, Gustavo Anzueto Vielmann an ihrer Spitze, stellten den Militärs ihre Flugzeuge und Hubschrauber zur Verfügung, um Verletzte zu evakuieren und Versorgungsgüter zu transportieren, aber die ökonomische Unterstützung des CACIF "wurde nicht verwirklicht". "Einzelne Unternehmer sammelten Gelder und halfen den Militärs, aber nicht im Rahmen einer organisierten Aktion", schreibt McCleary. Nichtsdestotrotz befindet Román Krznaric, dass die Kooperation zwischen beiden Sektoren möglicherweise viel umfangreicher und organisiert gewesen war. Doch im Moment der Untersuchung sprachen viele der von ihm interviewten Unternehmer wenn überhaupt, nur bei ausgeschaltetem Band über die Beteiligung ihres Sektors am Konflikt. Einer der wenigen, die das Thema ansprechen, identifiziert als "jemand, der in wichtigen Posten von städtischen Unternehmensorganisationen tätig war", erzählt, dass es "zweifellos der Agroindustrie-Sektor und Teile des Industriesektors waren, die am meisten zu verlieren hatten und die die Armee am stärksten unterstützt haben." Ausserdem fügt er hinzu, dass "der Privatsektor, der im CACIF organisiert ist, der wichtigste Sponsor des Militärs während des Krieges gewesen war". Einen weiteren Standpunkt wird in dem Buch Die Domänen der Macht: Der Scheideweg Steuern, von den GuatemaltekInnen Mayra Palencia und J. Fernando Valdez vertreten. Ihnen zufolge war es weniger so, dass eine grosse Gruppe von UnternehmerInnen nicht daran interessiert gewesen sei, die Repression offen zu unterstützen. Sie war vielmehr der Ansicht, dass sie mit den Geldern, die sie dem Staat mittels ihrer Steuern zahlten, genug dazu beitrugen. "Die unterschiedlichen Beweggründe, die hinter den jeweiligen Argumenten der Beteiligten standen, war offensichtlich: Auf der einen Seite forderte eine Regierung, die sich leiten liess von der Aufstandsbekämpfungslogik, ausserordentliche Opfer von ihren grössten Beitragszahlenden, und sie begündete diese Forderung letztlich damit, deren Interessen (und Besitz) zu verteidigen. Und auf der anderen Seite die UnternehmerInnen, die Ergebnisse forderten für das Geld, das sie bereits entweder per Steuern oder via Direktzahlung - der so genannten "Kriegssteuer" an die Guerilla - beigetragen hatten. Möglicherweise ist der beste Beweis für die Komplizenschaft zwischen den wirtschaftlichen und militärischen Mächten, die von Marta Elena Casaús Arzú in einem 1993 erschienenen Buch erwähnte Tatsache: Beide Gruppen teilten sich selbst in den härtesten Zeiten des Krieges Posten in der Staatsverwaltung. "Während der letzten Jahrzehnte", schreibt sie, "in denen die traditionellen Mächte auf den Autoritarismus und die Aufstandsbekämpfung setzten, delegierten sie bestimmte politische Aufgaben an Militärs, reservierten sich aber zugleich zwei oder drei Schlüsselministerien, wie das der Landwirtschaft, Wirtschaft und Finanzen und in manchen Momenten das Aussenministerium. Namen wie Arenales Catalán, García Granados, Ibarra Ibarguen und Díaz Durán gehören zu den Familiennetzwerken." Wie verantwortlich sind sie?Die Koautorin von "Die Domänen der Macht", Mayra Palencia, ist der Ansicht, dass die UnternehmerInnen bis zu einem gewissen Punkt auf jeden Fall verantwortlich sind für all das während des Krieges geschehene Leid. "In diesem Land wussten hauptsächlich zwei Sektoren ganz genau, was während des Konfliktes passierte: der Privatsektor und das Militär. Und auch wenn man nicht sagen kann, dass dem Privatsektor die gleiche Verantwortung für all das Blut anzulasten ist wie den Streitkräften, muss doch gesagt werden, dass keinE einzigeR UnternehmerIn seinen/ihren Mund aufgemacht hat gegen die vom Militär begangenen Grausamkeiten." In "Was die Reichen den Armen nicht erzählen", erklärt der erwähnte anonyme Unternehmer, dass die Eliten aus einem einfachen Grund nicht protestierten: "Der Unternehmenssektor machte sich um seine ökonomische Position Sorgen. (…) In Wirklichkeit war die Guerilla ein Angriff gegen die UnternehmerInnen - der Agrarwirtschaft wie der Industrie. Die Rolle des Unternehmenssektors war ganz klar: totale Unterstützung für das Militär." Da sie diese "totale Unterstützung" gegeben haben, folgert Krznaric nach all seinen Interviews, dass viele UnternehmerInnen, genauso wie viele Militärs vor Gericht gestellt gehörten. "Warum sollte man nicht von ihnen fordern, dass sie sich sich für ihre Taten verantworten?" Gemäss dem britischen Autor ist es an der Zeit, dass AktivistInnen, AnwältInnen und internationale Organisationen die Verwicklung der Oligarchie in den Krieg ernster nehmen. Auch weist er darauf hin, dass es weitreichende Gerüchte gebe über die Finanzierung von Todesschwadronen durch UnternehmerInnen, räumt aber ein, dass es dafür wenige Beweise gebe. Krznaric nennt als Beispiel aus dem Bericht der Wahrheitskommission (CEH) den Fall der Zuckerfabrik Pantaleón, im Besitz der Familie Herrera. Während der 70er und 80er Jahre wurden die GewerkschafterInnen dieser Zuckerrohrplantage systematisch getötet. Die Gewerkschaften haben ausserordentlich lange ausgeharrt, so die CEH, aber Mitte der 80er, erschöpft durch den Terror, optierten sie dafür sich aufzulösen. Ein weiteres Beispiel ist das von Panzós, Alta Verapaz, wo das Militär 1978 53 Menschen massakrierte. Die Opfer waren BäuerInnen, die das Land einforderten, welches ihnen durch die Agrarreform von Präsident Árbenz übergeben worden war und das während der Konterrevolution den Grossgrundbesitzenden wiedergegeben wurde. Gemäss der CEH "veranschaulicht dieser Fall den Einfluss, den der Sektor der LandeigentümerInnen auf den Staatsapparat ausübte, damit dieser zu ihren Gunsten die Konflikte über Landbesitz entscheide, in dem die bewaffnete Gewalt gegen arme BäuerInnen eingesetzt wurde und das Militär in die Landproblematik hineingezogen wurde." |
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