¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Eine unerträgliche Frage
Fijáte 437 vom 17. Juni 2009, Artikel 6, Seite 6
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¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Eine unerträgliche Frage
Am 12. Mai entschieden die MacherInnen der öffentlichen Meinung - oder der kollektiven Emotionen -, dass es nicht mehr nötig sei, den Leuten weiterhin den Gebrauch von Masken zum Schutz vor der Grippe zu empfehlen (die sie auch nicht mehr Schweinegrippe nennen, weil dies unschön klingt und das Image der Fleischindustrie darunter leiden könnte). An diesem Tag überrannten sie die Öffentlichkeit mit einem neuen Thema, das uns für eine Weile beschäftigen sollte: Das postume Video des Anwalts Rosenberg. Die Berge und Täler Guatemalas können Geschichten erzählen von unzähligen Morden durch Eroberer, Kolonialisten, Finqueros und völkermordende Militärs, die alle ungestraft blieben und von denen es - leider - keine postumen Videos gibt. In den letzten Jahren haben wir uns daran gewöhnt, dass uns die Medien täglich von Morden, Bluttaten und kollektiver Ohnmacht berichten - auch dies ohne erklärende Videos. Diese Toten hatten keine Freundeshand zur Seite, die Expertin in Staatsstreichen und der Manipulation von Massenemotionen ist, und so haben wir nie erfahren, ob diese Toten für oder gegen jemanden gestorben sind. Doch jetzt ist es anders. Diesmal wird uns eine Geschichte geliefert die Edgar A. Poe würdig ist, mit dem pikanten Detail, dass der Präsident höchstpersönlich, seine Frau und andere enge Mitarbeiter darin angeklagt werden. (Zu welchem Zeitpunkt haben wohl die Golpisten (Umstürzler) - Verzeihung, die "Logisten" (Logistiker) des Videos realisiert, dass ihnen Rosenberg tot mehr nützt als lebendig? Diese Frage stellte sich mir nach der Lektüre eines Artikels von Margarita Carrera in der Prensa Libre vom 18. Mai.) Aber, wie die LateinerInnen sagen: Quod nimis probat, nihil probat (wer zuviel beweist, beweist gar nichts); deshalb waren viele vom ersten Moment an skeptisch gegenüber dem Übermass an beschuldigenden Beweisen, die uns Anwalt Rosenberg (Bevollmächtigter der wichtigsten Unternehmen der Oligarchengruppe Bosch Gutiérrez) in seinem Video vorzulegen versuchte. Die Eile, mit der Präsident Colom und seine Angehörigen beschuldigt wurden, statt bei der Staatsanwaltschaft die entsprechende Anklage zu erheben, schien uns verdächtig. Zu viele weisse Markenhemden waren unmittelbar nach Veröffentlichung des Videos auf der Strasse, um den Kopf der Exekutive zu fordern. Befremdend mutete das ungewöhnliche Vertrauen in die Putschisten an, welche das Video mit dem beschuldigenden Testament produzierten und verteilten. Komisch auch, dass das Opfer, das seinen Tod voraussah, seine sonntägliche Sportroutine nicht änderte … In früheren Epochen wurde der massive Tod von Indígenas, Campesinos und politisch Andersdenkenden unsichtbar gemacht. Selbst heute spricht man in der offiziellen Geschichtsschreibung von diesen Toten nicht, im Schulunterricht kommen sie nicht vor. Auch heute noch berichten die Medien nicht über die gewaltsam Ermordeten im Zusammenhang mit der staatlichen Repression bei Landräumungen oder bei Konflikten mit transnationalen Unternehmen oder Megaprojekten. Diese Toten haben in unserer Presse keine Stimme, denn sie würden gegen die Besitzer des Landes anschreien. In einem klaren Kontrast zu dieser Informationspolitik beeilen sich heute die Medien lustvoll, die ekligsten Blutstories zu verbreiten, und statt die Mächtigen anzuklagen, zeigen sie systematisch den Staat an, bringen ihn um sein Ansehen und machen ihn lächerlich. Die neoliberale Strategie dahinter, die Institutionen des Staates auf ein Minimum zu reduzieren und gleichzeitig die öffentlichen Dienste zu privatisieren, z.B. die öffentliche Sicherheit, ist offensichtlich. Nach oben |
Diese Kultivierung der Angst der Massen könnte auch wahlpolitischen Interessen derer entsprechen, die nach der "harten Hand" rufen. Während der letzten Wahlkampagne fand eine tragische Zunahme von Verbrechen gegen Frauen und Angestellte des öffentlichen Verkehrs statt, die mit allem Brimborium in den Medien breitgewalzt wurden und von denen es vor allem in Bezug auf die Ermordung von Busfahrern hiess, dass sie eine auffällige Ähnlichkeit haben mit der Politik der harten Hand in El Salvador. Die gewalttätigen Kampagnen, unter denen wir in den letzten Monaten zu leiden hatten, scheinen die gleiche Unterschrift und eine ähnliche Absicht zu haben: Die Regierung zu destabilisieren, die auf ihrer Fiskalpolitik besteht und Chávez und anderen lateinamerikanischen Linksregierungen zuzwinkert - aber nicht mehr als zuzwinkert. Die Ermordung von Rosenberg und das entsprechende Video sowie die unmittelbare virtuelle Kommunikation, welche dieses auslöste, scheinen in die Richtung dieser Destabilisierungsversuche zu deuten. Auch bei ihnen bleiben die haarigen Hände zwiespältiger Typen verdeckt. Selbstverständlich machen die Konspiratoren dadurch, dass sie zwiespältig sind, die Angeklagten im Video nicht zu Engeln. Es geht hier nicht um Gut oder Böse. Auch Colom ist von Skorpionen umgeben; es ist sogar möglich, dass der eine oder andere von ihnen auf beiden Seiten dient. Die Mafia ist durchtrieben und undurchschaubar. Es ist möglich, dass die CICIG schreckliche Dinge enthüllt, inner- wie ausserhalb des Präsidentenpalastes. Und so lautet die Frage, die uns den Atem raubt: Können unsere Institutionen aushalten, was die CICIG aufdeckt oder müssen wir zu dem Schluss kommen, dass die Straflosigkeit unumgänglich ist, damit dieses Land weiter funktioniert? |
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