Der Staat muss seine Karten offenlegen
Fijáte 434 vom 06. Mai 2009, Artikel 4, Seite 4
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Der Staat muss seine Karten offenlegen
Guatemala, 30. April. Seit dem 21. April müssen alle Institutionen, die staatliche Gelder erhalten und ausgeben, Rechenschaft über ihre Geldflüsse ablegen, und zwar in aktualisierter Version vor jeder Person, die Informationen haben möchte. Und zwar ohne bürokratische Hürden (siehe ¡Fijáte! 421). Diese Pflicht obliegt neben den Ministerien, Regierungssekretariaten und staatlichen Instanzen auch den Gemeindeverwaltungen und den staatlich finanzierten Nicht-regierungsorganisationen. Auch die Treuhandfonds müssen auf Anfrage offengelegt werden. Das im Oktober verabschiedete Gesetz sieht zwei Zugangsvarianten vor: die persönliche Anfrage am obligatorisch dafür eingerichteten Informationsschalter in den Behörden und Geschäftsstellen, oder via Internet. Das Verteidigungsministerium, die Steuer-Superintendanz (SAT) und die Bankenaufsicht waren die ersten in der Vervollständigung ihrer Informationen, schalteten die entsprechenden Internetseiten jedoch erst um Punkt 0:00 Uhr des 21. April frei. Die Ministerien des Inneren, der Arbeit und der Gesundheit sowie die Präsidialen Sekretariate der Frau, der Sozialen Werke der Präsidentengattin (SOSEP) und der Sozialen Wohlfahrt hängen derweil völlig hinterher. Sie haben zwar die Internetseiten eingerichtet, jedoch keine Information hineingestellt oder entschuldigen sich mit technischen Problemen. Andere versuchen sich vor dem Blick hinter ihre Kulissen zu winden, indem sie Informationen unvollständig oder verallgemeinert darstellen oder aber zusammengehörige Informationen verstreut auflisten. Das Ministerium für Kommunikation, Infrastruktur und Wohnungsbau probierte es gar mit einer institutionseigenen Resolution, laut der die Informationen im Zusammenhang mit dem Strassenbau und der Telekommunikation nicht zu veröffentlichen seien, da dadurch staatliche Interessen verletzt würden. Erst auf einen Revisionseinspruch der beiden Abgeordneten Rosa María de Frade y Rodolfo Aníbal García hin, die sich für das Gesetz von Anfang an eingesetzt hatten, wurde die Resolution wieder zurückgezogen. Minister Luis Alejos entschuldigte sich bei der Bevölkerung, man habe einen Fehler gemacht. Es habe eine Begriffsverwechslung von "vorbehaltlichen" und "vertraulichen" Daten gegeben. Das Menschenrechtsprokurat (PDH), das zuständig ist für die Überwachung der Einhaltung des Gesetzes, beobachtet zudem, dass vor allem die Kommunen Schwierigkeiten haben, ihre Verpflichtungen in Sachen Informationsfreigabe zu erfüllen. Von 229 überprüften Gemeindeverwaltungen hätten nur 60 die geforderte BürgerInneninfostelle eingerichtet, 26 seien dabei und 143 hätten noch nicht einmal damit angefangen. Als Gründe für die Verzögerung werden fehlende Ressourcen, unzureichendes Wissen über die Gesetzesfunktion und schliesslich der mangelnde Platz genannt, um ein entsprechendes Büro zu eröffnen. Vizepräsident Rafael Espada überreichte im Rahmen des Eröffnungsaktes Manfredo Marroquín, dem Leiter der Organisation Acción Ciudadana, der guatemaltekischen Dependance von Transparency International, auf deren Anfrage die Gehaltsliste seines Ressorts. Er hatte im Vorfeld bereits angekündigt, dass Informationen in Bezug auf die Nationale Sicherheit sowie von laufenden Verhandlungen internationaler Abkommen, die ratifiziert werden müssen, seiner Ansicht nach nicht publik gemacht werden könnten, letztere würden aber nach Inkrafttreten der Öffentlichkeit zur Einsicht zur Verfügung gestellt. Derweil haben die ersten Einblicke in die Geldflüsse für eine erste Empörungswelle gesorgt. So sind nun unter anderem die Zahlungen bekannt geworden, die die FunktionärInnen des Verfassungsgerichts erhalten. Demnach bekommt einE gewöhnlicheR VerfassungsrichterIn mit Gehalt und diversen Zusatzleistungen im Jahr rund 1 Mio. 175.185 Quetzales, somit im Monat rund 100.000 Quetzales (ca. US-$ 13.000). Dazu nutzen manche von ihnen noch die Gelegenheit, auch Reise- und ÄrztInnenkosten über das Verfassungsgericht abzurechnen. Die Mitte April abgelöste Gerichtspräsidentin, Gladys Chacón - die RichterInnen wechseln jahresweise den Posten - liess auf diese Weise zwischen Juli 2006 und März 2009 Ausgaben über rund 680´000 Quetzales für Auslandsreisen, chirurgische Eingriffe und Medikamente abdecken. Nach oben |
Knapp vier Minuten nach Inkrafttreten wurde indes die erste von insgesamt bislang drei Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz zum Informationszugang eingereicht, die letztlich jedoch alle bereits vom Verfassungsgericht zurückgewiesen wurden. Für den im Menschenrechtsprokurat zuständigen Kommissionssekretär Juan Archila ist es nun das Wichtigste, die BürgerInnen dazu aufzufordern, ihre Rechte auf Information in Anspruch zu nehmen, denn, so Archila, in dem Masse, wie sie dieses nutzen, werden die Institutionen sich auch bemühen, das Gesetz in seinen Vorgaben zu erfüllen. Und es ist just das Menschenrechtsprokurat (PDH), das - so analysiert die Myrna-Mack-Stiftung ausführlich - mit dem Reglement des Auskunftsdienstes über Menschenrechtsverletzungen (SEREVIDH) das Gesetz zum Informationszugang untergräbt. In dieser Vorlage erläutert das Prokurat, wer unter welchen Umständen die Erlaubnis erhält, Einblick in das Historische Archiv der Nationalpolizei nehmen zu dürfen (siehe ¡Fijáte! 432). Im Zweifel entscheidet Menschenrechtsprokurator Sergio Morales persönlich und nimmt sich zudem das Recht heraus, Personen, die sich den Verhaltensanordnungen nicht fügen, den weiteren Zugang zu den Akten zu verweigern. Laut Reglement muss jede antragstellende Person ausführliche Informationen hinsichtlich ihres Interesses preisgeben, die die persönlichen Angaben im jetzt gültigen Informationszugangsgesetz weit überschreiten. Ausserdem werde der Einblick nur erlaubt, wenn die in den Dokumenten namentlich genannten Personen ihre Einwilligung dafür gegeben hätten. Alle anderen Namen würden unkenntlich gemacht. Die Myrna-Mack-Stiftung betrachtet dies als groben Verstoss gegen den Charakter des Archivs, das ja gerade dazu dasein sollte, die Identifizierung von AkteurInnen von Menschenrechtsverletzungen zu ermöglichen. Die Forderung, die in den Dokumenten genannten Personen um Autorisierung zu bitten sei insofern unsinnig, weil die InteressentInnen ja durch die Schwärzung gar nicht wissen, an wen sie sich richten müssen. Die Stiftung hebt hervor, dass der Eigentumsanspruch des Prokurats auf das Historische Polizeiarchiv sich lediglich auf das hergestellte Material wie digitalisierte Dokumente und von den Dokumenten gemachte Fotos beziehen könne, aber auf keinen Fall auf den Inhalt dieser Akten, der ohne jegliche Einschränkung oder gar autoritäre Kontrolle der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden müsse. Das Prokurat verstosse also mit seinem Reglement klar gegen einige Artikel der Verfassung und des Informationsgesetzes. |
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