Rosenbergs Video
Fijáte 435 vom 20. Mai 2009, Artikel 3, Seite 4
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Rosenbergs Video
Guatemala, 17. Mai. Es war ein 15 minütiges Video, das es geschafft hat, nicht nur die normale Verfallszeit von Skandalnachrichten deutlich zu überschreiten und bereits wenige Stunden nach seiner Veröffentlichung in aller Munde zu sein, sondern einen Gesellschaftssektor, nämlich die AnhängerInnen des Unternehmertums, sieben Tage hintereinander auf die Strasse zu bringen, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. Schnell waren das Video und seine Botschaft auch international bekannt. In ihm ist der angesehene Rechtsanwalt und Präsident des Schlichtungszentrums der Handelskammer, Rodrigo Rosenberg Marzano, zu sehen. Er erklärt in seinem am 7. Mai aufgenommenen Monolog, dass er, wenn das Video gesehen werde, ermordet sein wird. Und zwar "durch den Privatsekretär des Präsidenten, Gustavo Alejos und seinen Geschäftspartner Gregorio Valdez, mit der Billigung des Präsidenten Rodrigo Rosenberg wurde am Sonntagmorgen, 10. Mai, beim Fahrradfahren in der Nähe seines Wohnhauses in Guatemala-Stadt erschossen. Bereits auf der Trauerfeier am Nachmittag verteilte Luis Mendizabal 150 DVDs mit der Videobotschaft. Laut eigener Angaben hatte Rosenberg ihm, der sich als langer und guter Freund des Ermordeten beschreibt, am Freitag ein Paket in die Hand gedrückt mit der Bitte, den Inhalt zu verteilen, wenn ihm etwas zustossen sollte, denn das sollte nicht einfach so stehen bleiben. Am Montag dann brachten alle Gegensätzliche ReaktionenBereits am Montagnachmittag versammelten sich zum ersten Mal zwei Gruppen im Stadtzentrum, an nahen Orten und aus gegensätzlichen Motivationen. Aus der einen Gruppe, Familienangehörigen von Rosenberg und deren FreundInnen und Bekannte, die die Trauernden begleiteten, wurde bald der Ruf laut, Colom solle sein Amt niederlegen, wenn nicht sofort, dann doch zumindest während der Ermittlungen. Die andere Gruppe formierte sich aus BewohnerInnen der städtischen Randsiedlungen, die mit der "solidarischen Tüte", die das Regierungsprogramm des Rates für Soziale Kohäsion an bedürftige Familien verteilt, eine monatliche Unterstützung der Regierung erhalten (siehe Hintergrundartikel). Aufgestockt wurde diese Gruppe aus kurzfristig per Hubschrauber eingeflogenen BürgermeisterInnen aus dem Landesinneren. Diese Fraktion skandierte zu Gunsten des Präsidenten. Beide Gruppierungen demonstrierten tatsächlich parallel jeden folgenden Tag im Stadtzentrum und auf einer Grossveranstaltung zum abschliessenden Höhepunkt am Sonntag. Zunächst wurden sie nur durch Angehörige des Menschenrechtsprokurats ( Spekulationen über SpekulationenDafür wurden aber unter der Woche zum einen Details und Hintergründe von Zusammenhängen und Personen bekannt, zum anderen kursierten schnell Gerüchte, Diffamationen und Beschuldigungen. Für Klarheit soll die Internationale Kommission gegen Die Zeitungen und Radiosendungen sind derweil übervoll von interpretierenden Kommentaren, doch niemand hat eine zufriedenstellende Antwort. Und obwohl die meisten dabei eine gründliche kriminaltechnische Ermittlung und Aufklärung der Morde fordern, gleiten die Diskurse doch schnell von der juristischen Ebene des Mord-Verbrechens ab in die Politisierung der Situation und der Infragestelltung der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im Lande. Der des Mordes beschuldigte Präsident Colom gibt dabei erneut eine wenig klare und überzeugende Figur ab und macht sich somit angreifbar. Wieder einmal greift er auf seine Schlussfolgerung zurück, es handele sich bei dieser Aktion um den Plan, seine Regierung destabilisieren zu wollen. Konkret unterstellt er der Neben seinem eigenen und eben dem Mord an dem 74jährigen Textilimporteur Musa, der Mitglied in der Nationalen Kaffeee-Vereinigung Anacafé, der Export-Vereinigung Agexport und ehemaliger Präsident der Industriekammer war, und dessen 49jährigen Tochter Marjorie, die ihren Vater wie jeden Mittag zum Essen nach Hause abholte, als beide erschossen wurden, denunziert Rodrigo Rosenberg in dem Video zudem die Beteiligung von Präsident Colom in schmutzigen Machenschaften innerhalb der halbstaatlichen Laut Rosenbergs Deklaration habe Colom mittels seines Sekretärs Alejos und Gregorio Valdez, der Coloms Präsidentschaftskampagne sowohl finanziell als auch logistisch unterstützte, Khalil Musa gebeten, zum einen in den Vorstand der BANRURAL als auch in den von Anacafé einzutreten. Dabei habe Musa, so Rosenberg, keine Ahnung davon gehabt von den "illegalen und Millionen-Geschäften, die Tag für Tag in der BANRURAL verhandelt werden, die von der Geldwäsche bis zur Abzweigung von öffentlichen Geldern für nicht-existierende Programme der Dame des Präsidenten, Sandra de Colom, gehen, sowie die Finanzierung von Firmen beinhalten, die es nur auf dem Papier gibt und die vom Dabei hätten die Genannten nur Musas guten Namen nutzen wollen und seine Amtsübernahme über Monate hinausgezögert, während die Karten innerhalb der Bank neu gemischt werden sollten. Tatsächlich sollte Khalil die Posten gar nicht bekommen, hätte er - so Rosenberg - doch gleich die Unabhängig vom Wahrheitsgehalt von Rosenbergs Aussage, machen die vehementen Reaktionen der konservativen Gesellschaftssektoren doch deutlich, dass das Video letztlich als Anlass dient, das in ihren Augen übervolle Fass zum Überlaufen zu bringen, sehen sie sich doch durch die sowohl realisierten wie angekündigten politischen Entscheidungen und Massnahmen Coloms empfindlich in ihren Interessen berührt. Nicht nur hat die CICIG inzwischen erste Erfolge vorzuweisen und zeigt auf, dass es tatsächlich möglich ist, verkrustete Straflosigkeitsschichten aufzubrechen - der Prozess wegen Millionenhinterziehungen gegen Ex-Präsident Colom in BedrängnisInnerhalb einer Woche sammelte der reaktionäre Sektor, unterstützt vom Unternehmerverband |
Zweifelhafte MittelsmännerAuch die beiden Mittelsmänner von Rosenberg, die genannten Luis Mendizabal, der die DVDs verteilte, und Mario David García, der das Video aufgenommen hat, tragen mit ihren Lebensläufen zur Polemik bei. Luis Mendizabal, der sich selbst politisch als ultra-rechts bezeichnet und in einem Interview mit der Tageszeitung Mario David García, Anwalt und Journalist mit einem eigenen Radioprogramm im Radiosender Gegen Ende der Aufnahme ruft Rosenberg nicht nur dazu auf, dem Unternehmerflügel und seinen Gremien zu vertrauen, die Rechtsstaatlichkeit im Land wieder herzustellen, sondern appelliert explizit an Vizepräsident Y Ahora?Fraglich ist, ob alle Sektoren, die die vollständige Aufklärung des Falles einfordern, tatsächlich daran interessiert sind, dass alle Details ans Tageslicht kommen, denn dass die Morde in Zusammenhang mit weitverzweigten und langgehegten parallelen Netzwerken stehen, liegt wohl auf der Hand. Doch es stellen sich noch viel handfestere Fragen: Wenn sich Rosenberg bedroht fühlte, warum ist er nicht zur Staatsanwaltschaft, Polizei oder gleich zur CICIG gegangen, um Anzeige zu erstatten? Laut Mendizabal wollte er am Montag nach Und wenn er sich in der Form, wie er es darstellt, des Mordes bedroht fühlte: woher nahm er das Vertrauen, allein aufs Fahrrad zu steigen und sich zu exponieren? Warum haben weder Mendizabal noch García, die vom Inhalt des Videos wussten, sich um Rosenbergs Sicherheit bemüht? Eine der vielen Spekulationen um Rosenbergs Mord geht davon aus, dass dieser hinters Licht geführt wurde: Dass die Colom-Kritiker, die von den BANRURAL-Disputen wussten, ihm erzählten, Colom und seine Crew wollten ihn umbringen und nachdem er das Video aufgenommen hatte, hätten sie ihn selbst umgebracht. Nach wenigen Tagen, in denen Colom seine Aktivitäten eingestellt hatte, um sich mit der CICIG, auf der alle Hoffnung ruht, den Fall aufzuklären, dem diplomatischen Korps und der Staatsanwaltschaft zu treffen - wobei ihm letzteres gleich als Einmischungsversuch angekreidet wurde - nahm er seine Agenda inzwischen wieder auf. Das Video ist im Internet auf youtube.com einzusehen. |
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