Wer ist wirklich gegen die Zementfabrik?
Fijáte 413 vom 02. Juli 2008, Artikel 3, Seite 4
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Wer ist wirklich gegen die Zementfabrik?
Guatemala, 28. Juni. "Es wird kein Akt der Gewalt toleriert, der den Frieden und die Regierbarkeit angreift", waren die Worte des Präsidenten Álvaro Colóm am letzten Sonntagabend, 22. Juni, mit denen er die Verkündung eines neuen Präventionszustands für die nächsten 14 Tage kommentierte. Seit Oktober haben die BewohnerInnen einiger Gemeinden von San Juan Sacatepéquez gegen die Errichtung einer Zementfabrik protestiert. Sie fürchten in erster Linie eine immense Wasser- und Umweltverschmutzung durch die Zementproduktion, die ihre landwirtschaftlichen Aktivitäten und die eigene Versorgung beeinträchtigen werde. Zwölf der rund fünfzig Gemeinden des Verwaltungsbezirks machten ihre Ablehnung gegen die Fabrik und den geplanten Minenabbau in der Region auch in einem Kommuniqué noch einmal deutlich und berichten von zahlreichen Einschüchterungsversuchen und Drohungen durch die entsprechenden Unternehmen seit der im Mai letzten Jahres eigenständig durchgeführten Volksbefragung. Das Fabrikvorhaben wird verfolgt von dem Zementmonopolunternehmen Cementos Progreso der Familiendynastie Novella, eine der wenigen einheimischen Unternehmensfamilien, die Guatemala durch ihre Interessen und ihren Einfluss dominieren. Am letzten Samstag dann kam es erneut zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, als die BewohnerInnen der Gemeinde San Antonio Las Trojes den Zugang zu dem Zementwerk auf der Finca San José Ocaña blockierten. Dabei brachten sie vier Personen kurzfristig in ihre Gewalt, darunter drei Arbeiter von der inzwischen im Bau befindlichen Fabrik, die bald darauf wieder freigelassen wurden, sowie den 37jährigen Francisco Tepeu Pirir, der sich nicht an der Protestaktion beteiligen wollte. Tepeu Pirir war Führungsperson der lokalen Bevölkerung und setzte sich seit Aufkommen des Konflikts für einen Dialog zwischen den AnwohnerInnen, dem Unternehmen und den Autoritäten ein, um erst einmal alle Interessen und die Auswirkungen des Vorhabens ernsthaft zu klären An jenem Samstag dann nahm offenbar eine organisierte Gruppe die Sache in die Hand, indem sie mit Sturmhauben maskiert sowie mit Macheten, Stöcken und anderen Gegenständen bewaffnet die Blockadeerrichtung anleitete. Die Umstände, in denen sie ihre Geiseln nahm, sind nicht geklärt. Angeblich wurde Tepeu Pirir aus seinem Haus zum Hilfsbürgermeister gezerrt, zusammengeschlagen und dann mit Machetenhieben getötet. Diese Eskalation veranlasste Colóm ähnlich wie im Mai bei den Protesten des Schwerlastverkehrs (siehe ¡Fijáte! 410) mit Hilfe des Präventionszustandsdekrets und der dadurch erfolgenden Einschränkung von Versammlungs- und Waffenrecht sowie des Einsatzes der staatlichen Sicherheitskräfte einzugreifen. So marschierten am Montag rund 1´000 PolizistInnen und Militärs in San Antonio Las Trojes ein und nahmen 43 Personen fest. Diesen werden Vereinigung, Versammlung, unbefugte Demonstrationen, schwerwiegender Widerstand und Störung der öffentlichen Ordnung vorgeworfen. Mehr als zwanzig zusätzliche Verhaftungen von Personen aus der Gegend stehen seit Beginn der Proteste gegen die Zementfabrik aus und sollen in den nächsten Tagen durchgeführt werden. Zudem soll nun ein Dialogrundtisch unter Beteiligung der Präsidialen Menschenrechtskommission und des Friedenssekretariats eingerichtet werden. Menschenrechts- und BäuerInnenorganisationen forderten die Autoritäten zur sofortigen Aufhebung des Präventionszustandes und zur Wahrung der Menschenrechte sowohl der Bevölkerung als auch im speziellen der Verhafteten auf. María Eugenia Díaz vom Menschenrechtszentrum CALDH wies darauf hin, dass besonders die Frauen durch die eingeschränkte Bewegungsfreiheit betroffen seien, da sie noch nicht einmal aus dem Haus könnten, um Nahrungsmittel zu kaufen. Auch seien die Kinder aufgrund der massiven Militärpräsenz in diesen Tagen der Schule ferngeblieben. Díaz erinnerte daran, dass die vornehmlich indigene Bevölkerung von San Juan auf diese Weise in die Erinnerung an die Zeiten des internen bewaffneten Konflikts versetzt würde. Nach oben |
Derweil fürchten die Angehörigen von Tepeu Pirir um ihr Leben und gaben bekannt, Morddrohungen erhalten zu haben, die ausgeführt werden sollen, sobald der Präventionszustand aufgehoben wird. Gleichzeitig behaupteten sie, Beweise zu haben, die mindestens zehn Personen mit dem Mord ihres Verwandten in Verbindung bringen. Zu den von der Familie Tepeu Pirir als intellektuelle TäterInnen Beschuldigten gehören der Militär Hugo Tulio Búcaro, die indigene Führungsfrau in San Juan, Carmela Curup, sowie die indigenen Anwälte Amílcar Pop und Mario Sapper, aber auch Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchú. Die Indígena- und BäuerInnenkoordination CONIC habe sich ebenfalls daran beteiligt, die Gemeinden in Bezug auf die Volksbefragung zu manipulieren. Die Tageszeitung elPeriódico enthüllte bereits eine Woche zuvor diese angedeuteten Zusammenhänge. In ihrem Bericht wird daran erinnert, dass der pensionierte General Búcaro Finanzminister unter Romeo Lucas García war und schon bald in Verbindung gebracht wurde mit Schmuggelbanden des organisierten Verbrechens, zu denen mehrere Militärs gehören. Lange Zeit hörte man nichts von Búcaro, der im Departement San Juan drei Grundstücke besitzt. Offenbar stachelte er die erwähnten Gemeinden zum Protest gegen den Fabrikbau an und erzählte ihnen von den negativen Folgen für Umwelt und Gesundheit. Er selbst habe dabei eine erneute Volksbefragung in die Wege geleitete, nicht ohne die BewohnerInnen für die Abstimmung zu instruieren. Schliesslich wurde diese Consulta jedoch als nicht legal abgeblasen. Angeblich wollte Búcaro erreichen, dass Cemento Progreso von dem Bau der Fabrik auf der ausgewählten Finca absieht und stattdessen eine seiner Ländereien aufkauft entweder für die gesamte Fabrik oder aber zumindest für den Bau von Zufahrtswegen. Unterstützt wurde er dabei von der indigenen Aktivistin Carmela Curup, die an vierter Stelle auf der Wahlliste der indigenen Politorganisation Winaq´ stand, die zusammen mit der Partei Encuentro por Guatemala in der letzten Präsidentschaftswahl Rigoberta Menchú als Kandidatin protegierte. Curup wiederum soll die Vereinigung der Maya-AnwältInnnen und NotarInnen ersucht haben Einspruch gegen die Suspendierung der von Búcaro beantragten Volksbefragung einzureichen. Unterdessen wies der Sprecher von Cemento Progreso das potentielle Kaufinteresse an Búcaros Grundstücken zurück, da dort gar nicht die gesuchten Ressourcen vorhanden wären bzw. sie gar nicht im Zufahrtsbereich lägen. Der Umweltingenieur Manuel Basterrechea widerlegte zudem Búcaros Behauptungen in Bezug auf die katastrophalen Umweltfolgen als falsch oder zumindest nicht belegt und informierte, dass vielmehr bereits einige Massnahmen geplant seien, um Umweltverschmutzungen vorzubeugen. Der Präventionszustand hält offiziell noch bis Ende der Woche an. |
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