Das Recht auf gewerkschaftliche Organisation und Kollektivverhandlungen
Fijáte 429 vom 25. Februar 2009, Artikel 1, Seite 1
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Das Recht auf gewerkschaftliche Organisation und Kollektivverhandlungen
Die guatemaltekische Gewerkschaftsbewegung ist heute sehr schwach. Die Repression während des bewaffneten Konflikts und die vor allem nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen vorangetriebenen Privatisierungen haben das Ihre zur Schwächung der Gewerkschaftsbewegung beigetragen. Mit Ausnahme der Angestellten der noch wenigen überhaupt vorhandenen öffentlichen Dienste (LehrerInnen und Pflegepersonal) gibt es in Guatemala vor allem Betriebsgewerkschaften, die in übergeordneten Organisationen auf nationaler und internationaler Ebene vernetzt sind. Der nachfolgende Text ist die Zusammenfassung eines Berichts, den die guatemaltekischen Mitgliedsorganisationen der Internationalen Gewerkschaftskonföderation (ITUC-CSI) zuhanden des Generalrates der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erarbeitet haben, der vom 2. - 4. Februar in Genf tagte. Widersprüche zwischen nationalen Gesetzen und ILO-Abkommen1952 ratifizierte Guatemala die ILO-Abkommen Nr. 87 und 98 über das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren und Kollektivverträge auszuhandeln. Auch wenn die Gewerkschaftsfreiheit und das Recht, sich einer solchen anzuschliessen, legal anerkannt sind, blockiert das guatemaltekische Justizsystem dessen Umsetzung. Nach wie vor werden gewaltsamen Übergriffen oder ungerechter Behandlung von ArbeiterInnen gerichtlich zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, geschweige denn werden die Täter verfolgt und verurteilt. Im Jahr 2008 konstatierte eine ExpertInnenkommission der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) mit Besorgnis, dass sich die arbeitsrechtliche und die gewerkschaftliche Situation in Guatemala trotz zahlreicher vorangegangener Berichte und Empfehlungen nicht verbessert hat: Im Jahr 2007 wurden fünf GewerkschafterInnen umgebracht, im Jahr 2008 waren es zwölf. Gemäss Artikel 215(c) des guatemaltekischen Arbeitsgesetzes aus dem Jahr 2001 braucht es für die legale Gründung einer Betriebsgewerkschaft die absolute Mehrheit der im entsprechenden Betrieb angestellten ArbeiterInnen. Demgegenüber heisst es in der entsprechenden ILO-Passage: "Die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber ohne jeden Unterschied haben das Recht, ohne vorherige Genehmigung Organisationen nach eigener Wahl zu bilden und solchen Organisationen beizutreten, wobei lediglich die Bedingung gilt, dass sie deren Satzungen einhalten." Die guatemaltekische Prozentregel ist ein grosses Hindernis für die Gründung von Gewerkschaften angesichts der Tatsache, dass bloss 3% der ArbeiterInnen überhaupt gewerkschaftlich organisiert sind. Oft wird auch die Registrierung einer Gewerkschaft hinausgezögert oder gar verweigert. Zudem muss eine Person guatemaltekischer Nationalität sowie aktiveR MitarbeiterIn des entsprechenden Unternehmens sein, um als GewerkschaftsführerIn auftreten zu können. Im Unterschied zu den ILO-Bestimmungen darf gemäss guatemaltekischem Arbeitsgesetz ein Streik nur dann ausgerufen werden, wenn ihn eine Mehrheit der Angestellten eines Betriebes unterstützt und nicht, wenn ihn die Mehrheit der an einem Streikbeschluss abstimmenden Personen unterstützen. Gewissen Berufsgruppen wie z.B. den LehrerInnen, den Angestellten der Post und des öffentlichen Verkehrs sowie den ArbeiterInnen des staatlichen Energiesektors ist es verboten, überhaupt in den Streik zu treten. In der Realität gibt es kein freies Recht auf Gewerkschaftsarbeit, da Drohungen, Ermordungen und Entlassungen viele ArbeiterInnen davor abschreckt, Mitglied einer Gewerkschaft zu werden. Als Beispiel sei der Fall von Pedro Zamora genannt, der im Januar 2007 brutal ermordet wurde. Zamora war Generalsekretär der Gewerkschaft der ArbeiterInnen des Hafenunternehmens des Pazifikhafens Puerto Quetzal und führte eine Kampagne an gegen die Privatisierung des Hafens. Die Kampagne schlug ein effizientes alternatives Investitionsmodell vor, bei dem keine Angestellten hätten entlassen werden müssen. Zamora lag mit der Administration des Hafens im Streit über Menschenrechtsverletzungen, die Entlassung von neun Angestellten sowie die Weigerung, einen Kollektivvertrag abzuschliessen. Bis heute ist niemand für den Mord an Zamora verhaftet worden und seine GewerkschaftskollegInnen und deren Familien wurden telefonisch mit dem Tod bedroht. Nach wie vor schwierig ist es für die Gewerkschaften im Bananensektor: Im Jahr 2007 überfielen illegalerweise Soldaten des guatemaltekischen Militärs den Gewerkschaftssitz der BananenarbeiterInnen von Izabal (SITRABI). Ein Mitglied wurde dabei ermordet, der Generalsekretär der Gewerkschaft verfolgt und durch Überwachung und Schüsse eingeschüchtert. Im Jahr 2008 wurde ein Mitglied einer anderen Bananengewerkschaft (SITRABANSUR) ermordet und die Tochter eines organisierten Arbeiters von bewaffneten Männern vergewaltigt. Weit verbreitet ist auch die Praxis, ArbeiterInnen zu entlassen, die in einem Betrieb eine Gewerkschaft gründen wollen oder sonst gewerkschaftlich aktiv sind. Unter den Betrieben werden so genannte schwarze Listen gehandelt mit den Namen von GewerkschaftsaktivistInnen. Oftmals und vor allem im Maquilasektor schliesst ein Unternehmen seine Tore, sobald sich ein Arbeitskonflikt abzeichnet und die Angestellten sich zu wehren beginnen. Ein paar Wochen später eröffnet dasselbe Unternehmen an einem anderen Ort und unter anderem Namen eine neue Fabrik. So erstaunt es denn auch nicht, dass es bloss in drei von 200 im Land angesiedelten Maquilas gelang, Gewerkschaften zu organisieren, von denen zwei einen Kollektivvertrag aushandeln konnten. Unterdessen ist selbst die Regierung soweit, dass sie unter den Angestellten in den Maquilas Flugblätter verteilen lässt, um sie auf die Möglichkeit gewerkschaftlicher Organisierung sowie auf die Existenz von ArbeitsinspektorInnen hinzuweisen. Diese eigentlich staatlichen Angestellten führen ihre Inspektionen oft sehr zweifelhaft durch, versuchen die Angestellten davon abzubringen, ihre Rechte einzufordern oder geben dem oder der ArbeitgeberIn das Datum der Inspektion im voraus bekannt, worauf diese die entsprechenden Massnahmen ergreifen können, um sich keine Rüge oder Busse einzuhandeln. Aber auch im öffentlichen Sektor, z.B. bei den LehrerInnen, kommt es zu Entlassungen oder Versetzungen von gewerkschaftlich organisierten "unliebsamen" Lehrkräften. Oftmals werden die ArbeiterInnen/ LehrerInnen mit Temporär- oder Tageslohnverträgen eingestellt, obwohl sie ganz "normale" Arbeit verrichten. Der Vorteil für den oder die ArbeitgeberIn liegt darin, dass Angestellten mit Temporärverträgen keine Sozialleistungen bezahlt werden müssen und sie nicht in den Genuss gewerkschaftlicher Rechte kommen. Entlassene oder versetzte ArbeiterInnen werden durch solche ersetzt, die nicht dem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt sind. Ein weiterer Trick, die Arbeits- und Gewerkschaftsrechte auszuhebeln ist, mit einem "Zwischenhändler" einen Subkontrakt auszuhandeln: Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin geht damit einen Geschäfts- und keinen Arbeitsvertrag ein, dieser wird zwischen dem "Zwischenhändler" und den ArbeiterInnen geschlossen, womit den oder die ArbeitgeberIn mit dem oder der ArbeitnehmerIn kein direkter Vertrag (und damit auch keine Verpflichtung) verbindet. Nach oben |
Gleicher Lohn für gleich Arbeit!1960 ratifizierte Guatemala die Konventionen Nr. 111 (Diskriminierung) und 1961 die Nr. 100 (Lohngleichheit). Die guatemaltekische Verfassung etabliert das Prinzip der Nicht-Diskriminierung gegenüber Frauen und anerkennt die Rechte der verschiedenen ethnischen Gruppen. Zweifellos sind Frauen auch im Arbeitsbereich nach wie vor grossen Diskriminierungen ausgesetzt. Von der Lohngleichheit mit den (weissen) Männern sind sie weit entfernt, arbeiten sie doch mehrheitlich im Niedriglohnsektor der Textilindustrie, der Landwirtschaft, dem Einzelhandel, im schlecht bezahlten öffentlichen Dienst oder im informellen Sektor. In den Fabriken innerhalb der Freihandelszonen ist es gang und gäbe, dass sich die weiblichen Angestellten einem Schwangerschaftstest unterziehen müssen, bevor sie einen Job bekommen bzw. wird die Schwangerschaft als ein Entlassungsgrund gesehen. Sexuelle Übergriffe sind an der Tagesordnung. Besorgniserregend ist auch die Situation der Hausangestellten, die keinerlei rechtlichen Schutz geniessen. Ihre Patrons sind nicht verpflichtet, ihnen zusätzlich zum Lohn Sozialleistungen zu bezahlen, und so kommen sie nicht in den Genuss der Leistungen des Sozialversicherungsinstituts (IGSS). Die Arbeitssituation der indigenen Bevölkerung ist (im Vergleich zur Ladino-Bevölkerung) durch schlechtere Schulbildung und Armut geprägt. Da ein Grossteil der Indigenas im Landwirtschaftssektor arbeitet, ist ihr gewerkschaftlicher Schutz wegen der oben erwähnten Temporäranstellungen und den repressiven antigewerkschaftlichen Methoden vieler Grossgrundbesitzer sehr gering. Kinderarbeit1990 ratifizierte Guatemala das Abkommen Nr. 138 der ILO über das Mindestalter von Angestellten und 2001 die Nr. 182 über die Eliminierung von Kinderarbeit. Gemäss Artikel 148(e) des guatemaltekischen Arbeitsgesetzes ist die Arbeit von Kindern unter 14 Jahren verboten, ausser sie hätten eine schriftliche Bewilligung des Arbeitsministeriums. Doch die Gesetze zur Verhinderung von Kinderarbeit werden nicht angewendet, einerseits weil die Kontrollen der ArbeitsinspektorInnen zu lasch und zum andern, weil die Arbeitsgerichte zu ineffizient sind. Eine Studie des nationalen Statistikinstituts (INE) kam im Jahr 2000 zum Schluss, dass es im ganzen Land ca. 500'000 Kinder zwischen 7 und 14 Jahren gibt, die in der Lohnarbeit tätig sind, was 20% der entsprechenden Altersgruppe ausmacht. Gewerkschaften gehen davon aus, dass unterdessen das Verhältnis auf 1:3 gestiegen ist. Bei Kindern, die ausschliesslich in der Lohnarbeit tätig sind und daneben nicht noch zur Schule gehen, ist ein Durchschnitt von 58 Arbeitsstunden pro Woche keine Seltenheit. 62% der arbeitenden Kinder sind in der Landwirtschaft tätig, 16% im Handel, der Rest verteilt sich auf Handwerk, Dienstleistungen und Baugewerbe. Ein typisches und sehr gefährliches Feld für Kinderarbeit ist die Herstellung von Feuerwerk. Verbreitet ist die Kinderarbeit auch im Haushalt, wo sie gegen (ungenügende) Kost und (miserables) Logis in ausbeuterischen Verhältnissen schuften. Psychischer und physischer inklusive sexueller Missbrauch ist weit verbreitet. ZwangsarbeitGuatemala ratifizierte das ILO-Abkommen Nr. 29 über Zwangs- und obligatorische Arbeit im Jahr 1989 und das Abkommen Nr. 105 über die Abschaffung der Zwangsarbeit sogar bereits 1959. Obwohl die Inhalte der Abkommen in die guatemaltekische Verfassung aufgenommen wurden, kommt vor allem im Bereich der Hausarbeit die jugendliche Zwangsarbeit oft vor. Auch die Tatsache, dass in der Landwirtschaft die Kinder üblicherweise bloss ein Drittel des Mindestlohnes erhalten, kann als eine Form von Zwangsarbeit interpretiert werden, denn oftmals sind sie durch die Armut gezwungen, sich diesen Bedingungen anzupassen, vor allem wenn die Alternative Entlassung und Arbeitslosigkeit ist. Verschiedene Berichte belegen auch, dass Guatemala Ausgangs-, Durchgangs- und Zielort von Frauen- und Kinderhandel ist, wobei die Opfer sexuell und als Arbeitskraft ausgebeutet werden. In ihren Schlussfolgerungen fordern die Mitgliedorganisationen der Internationalen Gewerkschaftskonföderation Einhaltung und bessere Kontrolle der nationalen und internationalen Richtlinien zu Arbeitsschutz und gewerkschaftlichen Rechten. Es ist leider zu befürchten, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt durch die Wirtschaftskrise verschärft. Ob dies zu einer Stärkung oder zur endgültigen Zerschlagung der Gewerkschaften führen wird, bleibt abzuwarten. |
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