"Gott hat Adam und Eva geschaffen, nicht Adam und Esteban" Sexuelle Vielfalt in Guatemala
Fijáte 422 vom 05. November 2008, Artikel 1, Seite 1
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"Gott hat Adam und Eva geschaffen, nicht Adam und Esteban" Sexuelle Vielfalt in Guatemala
Guatemala und Menschenrechte - ein Wortpaar, das als erstes die Assoziation von Kriegsverbrechen, von Verletzung der Rechte der indigenen Bevölkerung, der Frauen, der Kinder, hervorruft. Es gibt in Guatemala aber auch eine kleine Gruppe von Menschen, die sich für die (Menschen-)Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transsexuellen einsetzt. OASIS, in den 90er Jahren als eine Selbsthilfegruppe rund um die Thematik HIV/AIDS und deren medizinischen Aspekte gegründet, hat sich im Laufe der Jahre immer stärker zu einer politischen Lobby- und Menschenrechtsorganisation gewandelt. Ihre Stellung innerhalb der guatemaltekischen Menschenrechtsbewegung ist aber nach wie vor marginal und von Skepsis geprägt. Seitens der Regierung, der Bevölkerung und der Kirche schlägt der Organisation und ihren Mitgliedern offene Diskriminierung bis Homophobie entgegen. Jorge López (Direktor) und Zulma Robles (freiwillige Mitarbeiterin) von OASIS besuchten anlässlich einer Europareise auch Zürich, wo sie an einer Veranstaltung im Rahmen des 25jährigen Jubiläums von Peace Brigades International Schweiz sprachen. Wir fassen das Wesentliche der Veranstaltung zusammen. In der von Krieg und Gewalt geprägten patriarchalen, machistischen und homophoben Gesellschaft Guatemalas war und ist das Thema der sexuellen Vielfalt ein Tabu. Ein Tabu jedoch, das von Staat, Kirche und Bevölkerung mit derselben Doppelmoral behandelt und gelebt wird wie überall auf der Welt. Derweil hierzulande Schwule und Lesben rechtlich teilweise den heterosexuellen Paaren gleichgestellt sind und ihre gesellschaftliche Anerkennung wächst, leben in Guatemala nach wie vor viele Homosexuelle ein Doppelleben bzw. "im Klosett". Schwule, Lesben, Bisexuelle oder Transgender/ Transsexuelle (LGBT) sind in Guatemala Freiwild, und die Aufklärung von Angriffen auf ihre psychische oder physische Integrität versanden meistens in der Straflosigkeit. Diese Tabuisierung und Diskriminierung hat zur Folge, dass es fast keine Daten und Statistiken über die Situation dieser Minderheit gibt. Umso wertvoller ist eine Studie, die OASIS kürzlich veröffentlich hat und die (frei übersetzt) den Titel: "Guatemalas homophobes Gesicht, Menschenrechtsverletzungen und Hassverbrechen aufgrund sexueller Identität" trägt - wobei Jorge López betont, dass er den Begriff Homophobie gerne auf "Homolesbobitransphobie" ausgeweitet haben möchte. Die Organisation hat im Zeitraum von 10 Jahren (1996 - 2005) 64 Fälle solcher Verbrechen untersucht und folgende Statistiken erstellt: 55% der Angriffe enden tödlich, wobei 9% der Ermordeten klare Zeichen von vorgängiger Folter oder Zerstümmelungen aufweisen. 61% der Personen, die wegen ihrer sexuellen Identität Aggressionen jeglicher Art ausgesetzt sind, sind Transsexuelle, was sicher damit zu tun hat, dass sie am sichtbarsten sind, da viele von ihnen in der Prostitution arbeiten. 34% der Angriffe richten sich gegen Schwule und 2% gegen Lesben. López betont, dass Schwule und Lesben oft ein Doppelleben führen oder sich öffentlich nicht outen und deshalb eher vor Übergriffen geschützt sind. Dass in der Statistik die Zahl der Angriffe auf Schwule so viel höher ist als auf Lesben, führt er darauf zurück, dass Frauen gesellschaftlich allgemein stärker unterdrückt sind und sexuelle An- oder Übergriffe aus Scham oder Angst sowieso nicht anzeigen (siehe Hintergrundartikel ¡Fijáte! 420). Auf der Täterseite werden 29% der Übergriffe von "Unbekannten" ausgeführt, in 17% sind RegierungsvertreterInnen involviert (PolizistInnen, ÄrztInnen, RichterInnen), 6% werden von privaten Sicherheitskräften ausgeführt und 2% der Kirche zugeschrieben. Jorge López nennt als Beispiel für letzteres den Fall einer Wohngemeinschaft, in der ein schwules und ein lesbisches Paar lebten und die eines Sonntagmorgens von Mitgliedern einer evangelistischen Gruppierung regelrecht gestürmt wurde, um an ihnen ein Exempel von Exorzismus statuieren zu wollen. Als Beispiel für die Einstellung der katholischen Kirche zitiert López den ehemaligen Präsidenten der guatemaltekischen Bischofskonferenz, Rodolfo Quezada Toruño, der davon spricht, dass man Homosexualität respektieren solle, jedoch nicht über das Thema der eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft diskutieren will - schliesslich sei der Zweck einer Ehe die Fortpflanzung. Als Beispiel für den Umgang mit dem Thema sexuelle Vielfalt seitens der Regierung nennt er den im Jahr 2000 unter der Stadtregierung des damaligen Bürgermeisters und späteren Präsidenten Oscar Berger durchgeführten "Plan Metropolis", dessen Ziel es war, die Prostitution aus dem Stadtbild zu entfernen. Mittel und Zweck dazu war und ist die Repression, OASIS stellt ab 2000 eine markante Zunahme von Übergriffen fest. Und der Satz, der diesem Artikel den Titel gibt "Gott hat Adam und Eva geschaffen, nicht Adam und Esteban", stammt von niemand geringerem als dem aktuellen Präsidenten, Álvaro Colom. Mit der Unterzeichnung der Friedensabkommen Ende 1996 haben sich für soziale Organisationen neue politische Aktionsfelder und Spielräume geöffnet, was auch von den Gruppierungen genutzt wurde, die sich für die Anerkennung der sexuellen Vielfalt einsetzen. In dieser Phase politischer Öffnung traten auch erstmals Homosexuelle mit ihren Forderungen nach Anerkennung ihrer Rechte an die Öffentlichkeit. Nach oben |
Vor allem im Fall der Schwulen ging es nebst dem Outing auch um die medizinische Betreuung von Menschen mit HIV/AIDS. Gemäss Jorge López von OASIS gibt es in Guatemala rund 61'000 Personen, die wissentlich HIV-positiv sind, 12'000 davon benötigen dringend eine antiretrovirale Therapie, 6000 davon haben Zugang dazu. Rund die Hälfte dieser Therapien wird durch Projekte der internationalen Kooperation ermöglicht, der Rest läuft über das guatemaltekische Krankenversicherungswesen oder über das Gesundheitsministerium. López kritisiert die Regierungspolitik in Sachen HIV-Prävention und Behandlung von AIDS. Angesichts der Tatsache, dass rund 20% der Schwulen und 4,5% der SexarbeiterInnen HIV-positiv sind, im Vergleich zu 0,3% der Gesamtbevölkerung, würde doch der grösste Teil der Unterstützung auf den letztgenannten Sektor konzentriert. Er sei absolut damit einverstanden, dass HIV-positive schwangere Frauen und ihre zukünftigen Kinder versorgt würden, aber die Augen gänzlich vor dem Thema HIV und Homosexualität zu verschliessen, sähe er als eine Zeitbombe, erklärt López. Auch wenn eine sogenannte Feminisierung der Krankheit zu beobachten sei, müsse unbedingt und vor allem auch unter der indigenen Bevölkerung sowohl über Homosexualität wie auch über HIV aufgeklärt werden. Als Ladino aus dem mehrheitlich indigenen Quetzaltenango stammend weiss López, wovon er spricht. Er selber sei von seiner Familie gezwungen worden, um den Schein zu wahren, ein paar Jahre mit einer Frau zusammenzuleben, die von seiner Homosexualität wusste. Das definitive Outing habe bedeutet, dass er von Xela weg und in die Hauptstand gezogen sei. Ähnliches erzählt er von den beiden jungen indigenen Mitarbeitern bei OASIS. Das Thema Sexualität sei unter der indigenen Bevölkerung generell ein Tabu, von sexueller Vielfalt zu sprechen entsprechend schwierig und heikel. Nichtsdestotrotz existiere sie ebenso wie die Promiskuität - auch unter der indigenen Bevölkerung. Die Arbeit von OASIS ist vielseitig und sehr eindrücklich. Da alle Mitarbeitenden sich zur LGBT-Gemeinde zählen, sind sie auch "Betroffene" und identifizieren sich entsprechend mit ihrer Arbeit. Zulma erklärte, wie schwierig es anfänglich gewesen sei, die SexarbeiterInnen zu organisieren, da unter ihnen auch eine gewisse Konkurrenz herrsche. Auch sei Rassismus ein Hindernis bei der Organisierung der SexarbeiterInnen. Ein Grossteil vor allem der transsexuellen SexarbeiterInnen seien AusländerInnen, die sich wegen der Diskriminierung gezwungen sahen, ihre Herkunftsorte zu verlassen. Entsprechend schwierig sei es auch, eine Konstanz zu erhalten, denn für die meisten sei Guatemala nur eine Zwischenstation auf dem Weg in den vermeintlich toleranteren Norden. Die Arbeit von OASIS besteht einerseits in der rechtlichen, aber auch in der medizinischen Beratung. Die Organisation hat ein eigenes Labor, wo HIV-Tests durchgeführt werden. Jorge López, ausgebildeter Informatiker, hat sich zum Fachmann in Sachen HIV/AIDS sowie anderer sexuell übertragbaren Krankheiten entwickelt, übernimmt aber auch seelsorgerische Aufgaben, denn oft werden erkrankte Personen bis in den Tod gepflegt und begleitet. Er kümmert sich auch um die Mittelbeschaffung und stellt einen Rückgang der Gelder (auch der internationalen Zusammenarbeit) sogar für die medizinischen Projekte fest, seit die Organisation vermehrt auch politische Lobbyarbeit macht. Seit ein paar Jahren organisiert OASIS jedes Jahr im Juni anlässlich des Christopher Street Day ein "Desfile de Diversidad Sexual", ähnlich den hiesigen Gay-Parades. Da unklar war, wie die Bevölkerung darauf reagieren würde, erbaten sie sich im ersten Jahr den Schutz anderer Menschenrechtsorganisationen. Dieser wurde ihnen zwar gewährt, doch spricht Jorge López davon, dass sie mit ihrem Thema schräg in der Menschenrechtslandschaft stünden - MenschenrechtsaktivistInnen seien auch bloss ein Abbild der restlichen Bevölkerung und nicht vor Sexismus und Homophobie gefeit. Überhaupt kritisiert er an der guatemaltekischen Menschenrechtsbewegung, dass sie sehr sektoriell sei und sich nur für die Belange ihrer jeweiligen Zielgruppe (Indígenas, Frauen, Kinder, Opfer des Krieges etc.) einsetze. Das sektorielle Denken der Menschenrechtsbewegung scheint auch hierzulande weit verbreitet zu sein, denn wie sonst ist es zu erklären, dass die Guatemala-Solidaritäts-Szene mit Ausnahme der organisierenden Peace Brigades praktisch vollständig durch Abwesenheit glänzte? Verschiedentlich sind auch MitarbeiterInnen von OASIS bedroht oder gar ermordet worden. Am 17. Dezember 2005 wurden den beiden als Prostituierte arbeitenden OASIS-Mitglieder und Transvestiten Zulma Robles und Rahel Paulina Marrot laut Augenzeugen von Polizisten in den Kopf geschossen. Paulina wurde getötet, Zulma überlebte schwer verletzt. Da Zulma als einzige Zeugin des Angriffs bereit war, eine Aussage zu machen, war sie weiteren Angriffen seitens der Täter ausgesetzt mit dem Ziel, sie einzuschüchtern, was jedoch nicht gelang. Sowohl sie wie auch andere Mitglieder von OASIS werden regelmässig von Peace Brigades International begleitet, und nicht zuletzt dient auch die Europareise dazu, die Organisation, ihre Arbeit und ihre Mitglieder bekannt zu machen - und dadurch internationale Aufmerksamkeit zu wecken. |
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